Resolution der IV. Internationale

Die Zukunft liegt in einer komplett veränderten Automobilindustrie, die sich im Kampf gegen den Klimawandel den öffentlichen Verkehrsmitteln verschrieben hat. Denn der Individualverkehr ist schlecht fürs Klima. Er bringt aber noch weitere Nachteile.

Auch E-Autos stellen keine geeignete Alternative für den Klimaschutz dar – im Gegenteil. Um den Klimawandel wirklich bekämpfen zu können, brauchen wir völlig andere Akzente im Transportwesen als bisher. Und das geht mit dem Kapitalismus nicht, betont das Internationale Komitee der Vierten Internationale in seiner Resolution, die wir hier wiedergeben.

Um gegen den Klimawandel angehen zu können, muss u. a. das gesamte Transportsystem vollständig gedreht und umgebaut werden, denn es ist derzeit für ein Fünftel (in einigen Ländern bis zu einem Viertel) der Produktion von Treibhausgasen verantwortlich. Von 1970 bis 2004 stiegen im ölbasierten Verkehrssektor (Autos, SUVs, LKWs, Schiffe, Flugzeuge) die CO2-Emissionen um 222 %. Prognosen zufolge werden sie bis 2030 um weitere 80 % zunehmen. Zwischen 2015 und 2019 wurden jährlich mindestens 90 Millionen Fahrzeuge produziert. Doch jedes einzelne Auto steht 90 % der Zeit still, was den Bau von Parkplätzen und Garagen erforderlich macht. Diese Fahrzeuge bewirken 78 % der CO2-Emissionen, die durch den Bau, die Instandhaltung und die Nutzung von Straßen und Autobahnen verursacht werden (der Rest kommt von Bussen, Straßenbahnen und Zügen). Außerdem ist diese Art des Individualverkehrs marktgesteuert und verstärkt daher die Ungleichheit. Wir können uns die „Autokultur“, die die Gesellschaft in den letzten 75 Jahren dominiert hat, nicht mehr leisten.

Trotz der Dringlichkeit, den Verkehr und den Bestand an Privatautos erheblich zu reduzieren, wird es ein schwieriger Kampf sein, die Autoindustrie in eine Industrie umzuwandeln, die für den öffentlichen Verkehr produziert. Es gab jedoch in gewisser Hinsicht schon ein Modell: Während des Zweiten Weltkriegs wurde die gesamte US-Autoproduktion gestoppt, da Washington die Werke für die Kriegsproduktion beschlagnahmte. Ein noch weitreichenderer industrieller Umbau ist heute notwendig, um unsere Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen drastisch zu reduzieren.

Darüber hinaus sind Autounfälle ein großes Problem. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation sterben jedes Jahr 1,35 Millionen Menschen bei Autounfällen, 50 Millionen erleiden schwere Verletzungen. Etwa sieben Millionen sterben durch Luftverschmutzung, vielleicht eine Million durch Emissionen fossiler Brennstoffe aus Fahrzeugen oder durch deren Wartung.

Die Autoindustrie war ein zentraler Motor der Industrialisierung im letzten Jahrhundert. Dieser Industrie vorgelagert gibt es ein ganzes Netzwerk, das nach Öl bohrt bzw. es durch Fracking fördert und Mineralien schürft. Diese werden in Chemikalien, Reifen, Glas, Stahl und Plastik umgewandelt und dann zu den Montagewerken verschifft. Der Autoindustrie nachgelagert existiert ein umfangreicher Markt mit Ausstellungsräumen, Reparaturwerkstätten, Tankstellen und Schrottplätzen. Wenn wir analysieren, wie das Streben nach Profit mit der Notwendigkeit der Produktionsausweitung verbunden ist, erkennen wir, dass wir viel mehr tun müssen, als unsere Welt zu „dekarbonisieren“. Wir müssen auch die anderen natürlichen Ressourcen, die in die Herstellungsprozesse einfließen, bewerten und neu zuordnen. Aufgrund der Tatsache, dass das Privateigentum und die damit verbundene Profitwirtschaft diese Krise verursacht haben, sind die Führungen dieser Unternehmen nicht in der Lage, den Turnaround zu vollziehen.

Soweit sie den Ernst der Krise erkannt haben, haben diese Kapitalist*innen darauf reagiert, indem sie die Umstellung auf Elektrofahrzeuge als Lösung anbieten. Das reduziert zwar den Verbrauch von fossilem Treibstoff im Benzintank, berücksichtigt aber nicht die Gesamtbelastung, die durch die Produktion und die Nutzung solcher Fahrzeuge entstehen. Demgegenüber schlagen wir regionale oder lokale Arbeiter*innen-Teams vor, die ein effizientes Verkehrs- und Transportsystem entwickeln und betreiben können, das allen zur Verfügung steht.

E-Autos sind keine Lösung für die bestehenden ökologischen Probleme

Mainstream-Medien, Teile der Bourgeoisie und große Teile der Öffentlichkeit sehen in der Umstellung auf Elektrofahrzeuge eine Lösung für die Probleme, die durch Treibhausgase im Verkehrssektor entstehen. Es gibt jedoch entscheidende Gründe, warum dies nicht funktioniert und weshalb die eh schon bestehenden ökologischen Probleme damit womöglich noch verschärft werden:

  • Bevor sie überhaupt gefahren werden, bringen Elektrofahrzeuge einen enormen „ökologischen Rucksack“ mit: Die Herstellung der Batterien erfordert einen hohen Energieverbrauch und einen hohen Rohstoffeinsatz, sodass man ein Elektroauto 8 Jahre lang fahren muss, bevor eine Reduzierung des Gesamt-CO2-Ausstoßes im Vergleich zu einem benzinbetriebenen Auto erreicht wird. [1]
  • Selbst diese 8 Jahre zur Erreichung einer besseren Bilanz des CO2-Ausstoßes würden nur gelten, wenn die zu verbrauchende elektrische Energie zu 100 Prozent ökologisch wäre, was völlig illusorisch ist. Der bestehende Strommix (hauptsächlich Kohle, Gas, Öl, regenerative Ressourcen) wird sich in den nächsten Jahren nicht wesentlich ändern. Wenn also eine nennenswerte Anzahl von E-Autos (selbst wenn man E-LKWs und E-Busse mit Batterien außer Acht lässt) zum Einsatz käme, müssten zusätzliche Strommengen aus fossilen Brennstoffen gewonnen werden. Außerdem würde eine enorme Menge an neuer Infrastruktur benötigt (Millionen von Ladestationen etc., die eine Menge zusätzlicher CO2e-Produktion erfordern). [2]
  • Es gibt bedeutende Rebound-Effekte [3]:
  • Die massenhafte Nutzung von E-Autos würde mehr Verkehr erzeugen, da die Menschen denken, dass dies ein ökologisches Fahrzeug ist (weil es keinen Kraftstoff verbrennt). Dies umso mehr, als ein solches Auto wesentlich teurer ist und die Leute denken könnten, sie müssten es häufiger benutzen, damit es „ökologisch effektiv“ ist. Gleichzeitig würden diese Menschen seltener öffentliche Verkehrsmittel nutzen.
  • Aufgrund der geringen Reichweite dieser Autos (ca. 200 km, nur der große Tesla erreicht 400 km, im Winter sind diese Zahlen noch bescheidener) und weil man mehrere Stunden zum Aufladen der Batterie benötigt, sind 59 % der E-Autos Zweitwagen. Diese zusätzlichen Autos tragen zu den allgemeinen Nachteilen dessen bei, was man die „Autogesellschaft“ nennen kann.
  • Und es gibt einen Rebound-Effekt, der schon heute sichtbar ist: E-Autos werden die steigende Produktion von SUVs verlängern

Völlig unabhängig davon, dass alle anderen Nachteile des motorisierten Individualverkehrs (siehe unten) fortbestehen würden, gibt es einige zusätzliche ökologische Nachteile, die man kennen sollte und die von den Befürworter*innen und Nutzer*innen von E-Autos völlig ausgeblendet werden:

  • Wichtige Rohstoffe würden massiv ausgebeutet werden. Für ein E-Auto braucht man die vierfache Menge an Kupfer (bis zu 80 kg pro Auto). Bis 2027 wird sich der Abbau von Kupfer verzehnfachen (betroffen sind vor allem die Länder Brasilien, Peru, Chile und Argentinien).
  • Die Produktion der Batterien erfordert die Verarbeitung großer Mengen sehr wertvoller Rohstoffe: Lithium, Graphit, Kobalt und Nickel. Die heutige Produktion von Lithium beläuft sich auf 200 000 Tonnen, bis 2025 wird sie auf 600.000 Tonnen ansteigen. Tesla-Ingenieure rechnen mit einem Bedarf von 2‒3 Millionen Tonnen.[4] Eine Tonne Lithium erfordert den Einsatz von 1,9 Millionen Liter Wasser.
  • Der größte Verursacher von Treibhausgasen im Verkehrssektor ist der motorisierte Individualverkehr. Aber auch der Transport von Containern rund um die Welt, Kreuzfahrtschiffe und der Flugverkehr sind sehr schädlich. Letzterer ist beispielsweise dreimal so schädlich wie die Nutzung eines Autos und 19-mal so schädlich wie die Nutzung eines Zuges (gemessen in Personenkilometern). Nicht nur die Nutzung von Autos durch Einzelpersonen ist verheerend, auch die zunehmende Nutzung von LKWs (bei gleichzeitigem Abbau der Eisenbahn) für den Transport von Gütern ist extrem schädlich und zwar nicht nur auf der ökologischen Ebene.

Eine Veränderung des Verkehrssektors nicht nur aus ökologischen Gründen ist dringend erforderlich.

Warum der motorisierte Individualverkehr tödlich ist, auch wenn man die ökologischen Auswirkungen außer Acht lässt.

1. Sehr hohe Zahl von Todesopfern

Wir müssen uns vor allem darüber im Klaren sein, dass diese Art von Verkehrssystem eine sehr hohe Zahl von Todesopfern verursacht. Allein in der EU starben im Jahr 2018 bei Autounfällen 25.000 Menschen, 135.000 wurden schwer verletzt. Die von der WHO veröffentlichten Zahlen des Road Safety Reports 2018 (Zahlen für 2016) zeigen, dass in den USA mehr als 39.000 Menschen starben, in Indien mehr als 299.000 und auf der Welt 1.323.666 (dies sind nur die offiziell registrierten Todesfälle). Diese hohe Zahl an Todesopfern ist nur durch die hohe Gefährdung zu erklären, die die „Autogesellschaft“ mit sich bringt, also der motorisierte Individualverkehr und die übermäßige Nutzung von LKW, Flugzeugen und Containerschiffen. Um die Proportionen richtig einzuordnen, können wir das Beispiel Japan in den Jahren 1966 bis 1975 heranziehen: Damals gab es 190 Tote durch Zugunfälle, aber 46 486 Tote durch Autounfälle, obwohl die Züge in diesem Zeitraum mehr Menschen transportierten als die, die mit dem Auto unterwegs waren. Das entspricht einem Verhältnis von 1:245.[5] Seit der Erfindung des Autos beläuft sich die Zahl der Todesopfer auf über 48 Millionen, was der Opferrate eines Weltkriegs entspricht.

2. Langzeitwirkungen der Schadstoffe

Hinzu kommt: Man darf die Langzeitwirkungen der Schadstoffe nicht vergessen, die von Autos und LKWs ausgestoßen werden. Besonders verheerend sind Feinstaub (zu einem großen Teil verursacht durch Emissionen von Pkw und Lkw, vor allem durch Reifen und Bremsen) und NOx. In den meisten Großstädten wird der von der WHO festgelegte Grenzwert weit überschritten.[6] In Shanghai mussten die Ärzte bis zum Ende des 20. Jahrhunderts 1000 an Lungenkrebs Erkrankte pro Jahr operieren. Fünfzehn Jahre später stieg die Zahl auf mehr als 10.000. Die WHO hat errechnet, dass weltweit jedes Jahr etwa 4,5 Millionen Menschen an Feinstaub sterben (zu einem großen Teil hervorgerufen durch den Straßenverkehr).

Und es gibt noch einen weiteren Faktor, der unsere Gesundheit beeinflusst: Der Auto- und Flugverkehr ist ein wichtiger Verursacher des zunehmenden Lärms, der in beträchtlichem Umfang Herzinfarkte, Schlaflosigkeit, Bluthochdruck, Nervenzusammenbrüche und andere schwere Krankheiten hervorruft.[7]

3. Raum- und Stadtplanung

Die Priorität der Investitionen und der Infrastruktur liegt in den Bereichen, in denen das Kapital ein Maximum an Profiten realisieren kann, was ‒ für den Verkehrssektor ‒ nicht nur den Bau von Autobahnen, sondern auch den gesamten Städtebau betrifft. Die Struktur der Städte ist völlig deformiert, sodass sie für Autos und nicht für Fußgänger*innen oder Radfahrer*innen geeignet sind. Das behindert den öffentlichen Verkehr und macht die Städte nicht nur ungesund, sondern auch zu Orten, an denen man nicht wirklich leben oder seine Freizeit verbringen möchte. Somit ist die Urbanität stark eingeschränkt, was den Kampf um das „Recht auf Stadt“ (Henri Lefebvre) umso dringlicher macht.Gleichzeitig beeinträchtigt das auto-zentrierte Verkehrssystem die Infrastruktur auch auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene. Fast jede zurückgelegte Wegstrecke wird länger. In den 1970er Jahren legte ein Westeuropäer im motorisierten Alltagsverkehr etwa 9 000 km pro Jahr zurück. Im Jahr 2006 waren es bereits 14 000 km. Das liegt im Wesentlichen nicht an mehr Reisen, sondern an den längeren Wegen zum Arbeitsplatz, zum Einkaufen und so weiter.

Der Stadtplaner Martin Wagner (im Exil in den USA) verglich Berlin Ende der 1920er Jahre mit New York 1957. Das Ergebnis dieser Untersuchungen ist eindeutig: Die Anzahl der Wege (d. h. jegliche Fortbewegung), die ein Mensch in einem Jahr zurücklegen muss (oder will), hat sich in diesen Jahren nicht wesentlich verändert. Sie betrugen etwa 1000 pro Jahr und 650 davon könnten zu Fuß zurückgelegt werden, wenn … der Städtebau nach ökologischen und sozialen Kriterien erfolgen würde. Neuere deutsche Statistiken zählten eine durchschnittliche Anzahl von Fahrten von 1216 pro Jahr. Der Anstieg ist vor allem auf die Entdeckung neuer Fahrten, wie z. B. die Begleitung von Kleinkindern, zurückzuführen, die ‒ zum großen Teil ‒ nicht notwendig wären, wenn die Wege für die Kinder kurz genug wären, d. h. so kurz wären wie vor hundert Jahren und wenn eine vernünftige Stadtplanung umgesetzt würde.

4. Platzraubende Autogesellschaft

Die Autogesellschaft ist zudem auch sehr platzraubend, vor allem für die Nutzung der nur privat genutzten Fahrzeuge, da sie achtmal so viel Platz für den Transport benötigen wie die Bahn (gemessen in Personenkilometern). Die Straßenbahn benötigt im Vergleich zum PKW 40-mal weniger Platz. Auf kurzen Strecken benötigen LKWs 15-mal so viel Platz wie Züge, bei kleineren LKWs (und kürzeren Strecken) liegt das Verhältnis bei 70:1.

Platz raubt die Autogesellschaft noch auf zwei weiteren Ebenen: Da ist zum einen der endlos fortgesetzte Autobahnbau, der Bau von noch mehr Parkplätzen, der Bedarf an immer mehr Land, auf dem Rohstoffe abgebaut werden usw. Die zweite zusätzliche Ebene: Das Worldwatch Institute (Washington) hat herausgefunden, dass die Produktion von Ethanol eine enorme Menge an Land benötigt: Für ein Auto, das mit Ethanol fährt, wird eine landwirtschaftliche Fläche benötigt, die 16,5mal größer ist als diejenige, die ein Kleinbauer in einem Jahr für seinen Lebensunterhalt benötigt. Heute hungern fast 900 Millionen Menschen, während jedes Jahr 142 Millionen Tonnen Getreide und Raps in „Biosprit“ umgewandelt werden, genug um 420 Millionen Menschen zu ernähren. Da immer mehr Ackerland in Flächen für den Anbau von „Pflanzen für den Tank“ umgewandelt wird, fehlen diese Flächen für die Produktion von Nahrungsmitteln. Und es darf nicht vergessen werden: Je nach Region werden bis zu 3500 Liter Wasser benötigt, um einen Liter „Biosprit“ zu produzieren.

5. Wachstum der „Autogesellschaft“

Durch das ununterbrochene Wachstum der „Autogesellschaft“ wurden nicht nur die durchschnittlich zurückgelegten Wegstrecken länger, die Menschen müssen auch immer mehr Zeit dafür aufbringen, vor allem auf dem Weg zum Arbeitsplatz. In den Städten ‒ von Mexiko-Stadt bis Peking, von Los Angeles bis Neu-Delhi ‒ verbringen die Menschen täglich Stunden im Stau. Schon 1998 zählte eine deutsche Statistik 67 Stunden Stau pro Jahr für die Menschen im Auto (das ist mehr Zeit, als sie beim Sex verbringen). Im Jahr 2018 lag der durchschnittliche Zeitaufwand für Staus bei 120 Stunden pro Jahr und Fahrer*in.[8]

Außerdem wird die Zahl der Autos weltweit zunehmen. Im Jahr 2010 gab es eine Milliarde Autos; im April 2019 waren es schon 1,24 Milliarden; bis 2025 erwarten aktuelle Studien 1,8 Milliarden und bis 2050 2,7 Milliarden (das sind 2700 Millionen!). Inklusive LKW, Busse und so weiter werden wir im Jahr 2025 2,1 Milliarden Fahrzeuge auf den Straßen haben, also doppelt so viele wie 2010.[9] Hinzu kommt, dass die produzierten und genutzten (!) Autos mit immer mehr Pferdestärken ausgestattet sind. Im Jahr 2017 wurden in den USA 11 Millionen SUV verkauft, nicht eingerechnet die wachsende Zahl (und wachsende Motorleistung) von Pickups.

Alles zusammengenommen stehen wir vor dem Klimakollaps, wenn wir nicht einen grundlegenden Umbau des gesamten Verkehrssektors erzwingen.

6. Die „Autogesellschaft“ ist teuer.

Kauf und Unterhalt eines Autos ist viel teurer als die Nutzung eines vernünftigen öffentlichen Verkehrssystems. Unabhängig von den ökologischen und anderen oben genannten Effekten wird jedes Auto von der Gesellschaft (d. h. von den Steuerzahler*innen) hoch subventioniert.

Obwohl der weit verbreitete Begriff „externe Kosten“ eigentlich irreführend ist (da diese Kosten nicht von außen kommen, sondern dem autobasierten Verkehrssystem strukturell inhärent sind), sind die Ergebnisse der verschiedenen Studien recht eindeutig und einigermaßen deckungsgleich. Die wichtigste ist die Untersuchung „External Effects of Transport. Accident, Environment and Congestion Costs of Transport in Western Europe“. In der Studie von 2004 werden die Zahlen für das Jahr 2000 angegeben. Demnach beliefen sich diese Kosten in der damaligen EU-15 zusammen mit Norwegen und der Schweiz (wir nennen sie EU-17) auf 7,3 % ihres BIP, ohne die Staukosten mitzuzählen. Die größten Anteile hatten die Auswirkungen auf das Klima (30 % der „externen Kosten“) und die Auswirkungen auf die Gesundheitsversorgung vor allem in Krankenhäusern (24 %).

Inzwischen ‒ da die Autos, vor allem die SUVs, immer größer werden und der Straßenbau immer teurer wird ‒ kommen wir auf bis zu 10 % des BIP für die sogenannten „externen Kosten“, erst recht, wenn wir die Staukosten und die steigenden Kosten für die größere Infrastruktur für LKWs (wie die „Gigaliner“ etc.) berücksichtigen.
Dies entspricht den Untersuchungen der Universität Dresden, dass (in Deutschland) jedes Auto mit 2000 Euro pro Jahr subventioniert wird. Das sind 45.000 Euro an Subventionen für ein Auto durch die Gesellschaft. Andere Studien gehen von noch höheren Zahlen aus, wie z.B. die von IWW/INFRAS. Für das Jahr 1996 errechnete diese Institution bereits jährliche Subventionen von 4.000 DM (=2.250 €) für jedes Auto pro Jahr![10] Tatsächlich wäre nur ein kleiner Teil der Bevölkerung in der Lage, zusätzlich zum Kaufpreis weitere 25.000 € für ein neues Auto zu bezahlen. Das bestehende System ist also eine riesige Subventionsmaschine für die gesamte ölbasierte Wirtschaft, vor allem für die Autoindustrie.

Der Kapitalismus kann die Probleme nicht lösen

Das bestehende gesellschaftliche und politische System wird mehrheitlich von mächtigen fossilen Konzernen dominiert, die viel Kapital in diesen speziellen Teil der Wirtschaft investiert haben, der sie zu einer ölbasierten Wirtschaft macht. Schon seit Jahrzehnten sind unter den zehn größten Konzernen der Welt jeweils fünf bis sieben „fossile“ (die folgende Rangliste ist die von 2017, in der wieder sieben Konzerne „fossil“ sind): Royal Sinopec (im Ölsektor und gleichzeitig Nr. 3 der zehn größten Konzerne); China National Petroleum (Öl; Nr. 4); Shell (Öl, Nr. 5); Toyota (Autoindustrie; Nr. 6); Volkswagen (Autoindustrie; Nr. 7); BP (Öl; Nr. 8); Exxon (Öl; Nr. 9).

Dieser mächtige Sektor der kapitalistischen Wirtschaft ist zugleich der Impulsgeber der kapitalistischen Entwicklung: Seit der Wiederherstellung eines „normalen“ Zyklus der kapitalistischen Entwicklung (Mitte der 70er Jahre) hatten wir fünf Zyklen und das waren immer gleichzeitig die Zyklen der Autoindustrie (im Moment sind wir am Ende von Zyklus 6). Am wichtigsten ist, dass mit neuen Produktions- und Transportmethoden seit den 1970er Jahren globale Lieferketten aufgebaut wurden, die LKWs, Flugzeuge, Eisenbahnen und Schiffe einsetzen, um die Produktionskosten zu senken. Diese verschiedenen Transportmittel befördern standardisierte Container von einem Teil der Welt zum anderen. Diese Technologie zur Vergünstigung und Beschleunigung langer Transporte basiert u. a. auf dem Abbau von Zollschranken und verbesserter Kommunikation. Die Technologie ermöglicht die Koordination einer globalen Aufteilung von Aktivitäten und erlaubt eine zunehmende Arbeitsteilung. Sie beginnt mit der Beschaffung von Rohstoffen, weist aber die Materialmontage und die Komponentenproduktion den Gebieten mit niedrigeren Löhnen zu, während sie gleichzeitig strenge technische Standards vorschreibt. Das Management legt außerdem Wert auf eine schlanke Produktion und Just-in-Time-Lieferung, um den Bedarf an Lagerbeständen drastisch zu reduzieren. Obwohl die Logistik der globalen Lieferkette je nach Branche unterschiedlich ist, hat sie in der Automobilindustrie allein in den OECD-Ländern zu einer Senkung der Gesamtkosten um 11 % geführt.[11] Angesichts der Störungen, die das COVID-19-Virus verursacht hat, überdenken allerdings einige Unternehmen das Ausmaß ihrer globalisierten Wertschöpfungskette.

Die Reichweite der ölbasierten Wirtschaft (der fossilen Wirtschaft) geht weit über die Autoindustrie hinaus: Dazu zählen vor allem der Schifffahrtssektor, die Luftfahrt (Flugverkehr) und natürlich der Energiesektor (Strom, Heizung). Die gesamte Infrastruktur der Wirtschaft und unsere Lebensweise (vom Städtebau bis hin zum gesamten Verkehrs- und Transportsektor) werden vom fossilen Sektor der Wirtschaft bestimmt.

Die Abkehr von dieser Art des Wirtschaftens wird nicht allein durch starke Argumente möglich sein. Es wird eine Mehrheit der Bevölkerung davon überzeugt werden müssen, dass wir eine völlige Kehrtwende brauchen, wenn wir, unsere Kinder und Enkelkinder, eine lebenswerte Zukunft haben sollen. Breite Koalitionen ökologischer und sozialer Kräfte werden die Interessen der Konzerne bekämpfen müssen. Das bedeutet ‒ aufgrund der damit verbundenen Implikationen ‒, dass dieser Kampf mit dem Kampf für ein anderes Wirtschafts- und Gesellschaftssystem verbunden werden muss. Für diesen Umbau wird eine totale Umkehr aller Investitionen notwendig sein. Nur die Gesellschaft als Ganzes wird in der Lage sein, das zu leisten und umzusetzen. Die Enteignung des Kapitals wird eine Voraussetzung sein, aber das allein wird nicht ausreichen. Es ist ähnlich wie bei der Befreiung der Frauen, der unterdrückten Nationalitäten usw.: Ohne die Abschaffung der Autogesellschaft wird der Sozialismus nicht möglich sein und die Abschaffung der Autogesellschaft wird nicht ohne Sozialismus möglich sein.

Für die Umwandlung der Autoindustrie in eine Industrie zum Bau von öffentlichen Verkehrsmitteln ist es unabdingbar, dass die Arbeiter*innenklasse und die breite Öffentlichkeit auf jeder Stufe der Rohstoffgewinnung, der Produktion, des Transports und der Wartung die entscheidenden Akteure sind. Das heißt, ein Netzwerk von Arbeiter*innen- und Gemeinschaftsorganisationen wird notwendig sein, um das neue System zu entwerfen, konkret zu planen und praktisch umzusetzen. Diese Strukturen werden auch die passenden Arbeitsbedingungen unter Berücksichtigung der Entlohnung und Sicherheit der Arbeiter*innen und der Gemeinschaft sicherstellen. Dies beinhaltet die Reduzierung und Angleichung der Arbeitszeiten, die Maximierung der Fähigkeit aller, sich an der Planung zu beteiligen, wie auch die Neugestaltung der Arbeitsplätze, um Wissen und Zufriedenheit zu verbreiten. Bezahlte Freizeit wird für eine breite Palette von Bedürfnissen garantiert werden. Das Gefälle zwischen dem Globalen Norden und Süden wird unter diesen Bedingungen beendet werden und andere Formen der Diskriminierung durch die demokratische Beteiligung aller beseitigt werden können. Natürlich wird es Fehler geben, aber diese können durch die transparenten Prozesse der demokratisch organisierten Analyse, Bewertung und Entscheidungsfindung korrigiert werden.

Was sind unsere Ziele?

Wenn wir unsere Forderungen kundgeben, appellieren wir nicht an die Regierungen (oder – um genau zu sein ‒ an die herrschende Klasse als Ganzes), sondern wir sprechen klar aus, welche Veränderungen wir für notwendig erachten und für die es sich zu kämpfen lohnt. Dieser Kampf muss von unten, von allen beherrschten Klassen ausgehend geführt werden. Dabei machen wir deutlich, dass es auch im Kapitalismus möglich ist, den öffentlichen Verkehr zu stärken, und wir unterstützen solche Kämpfe. Dabei vertreten wir die Position, dass die Kosten für die Umstellung von den großen Unternehmen zu zahlen sind, die schließlich davon profitieren, dass die Arbeitenden in die Betriebe kommen. Aber auch staatliche Gelder sollen dafür locker gemacht werden. Die Entscheidungen für den konkreten Ausbau des öffentlichen Verkehrssystems sollten bei breitesten regionalen oder lokalen Arbeiter*innen- und sonstigen lokalen und regionalen Kollektiven liegen.

Zu unseren Forderungen sowie kurz- und langfristigen Zielen gehören:

  • Massiver Ausbau der öffentlichen Verkehrssysteme mit Schwerpunkt auf der Wiedereinführung, dem Bau und der massiven Ausweitung des Straßenbahnverkehrs und ‒ wo möglich ‒ der Wiedereinführung und Verbreitung von Oberleitungsbussen.
  • Umstellung der Autoindustrie auf den Bau öffentlicher Verkehrsmittel (Züge, Straßenbahnen, Oberleitungsbusse etc.)
  • Kostenlose Nutzung aller öffentlichen Verkehrsmittel in den Städten und im Umland.
  • Umstrukturierung der Städte, so dass die meisten Ziele (Arbeitsplatz, Einkaufen …) zu Fuß erreichbar sind.
  • In Verbindung mit diesen Maßnahmen und mit Ausnahme der Notdienste: Autos raus aus den Städten.
  • Angemessene Besteuerung des Flugverkehrs, sodass der Flugverkehr um mindestens 70 bis 80 % zurückgeht. Verbot des gesamten Flugverkehrs unter einer Entfernung von 1000 km.
  • Rückbau der weltweiten Lieferketten für die Industrie, sodass die Containerschifffahrt auf ein winziges Maß reduziert wird.

Im Kampf für ein anderes Verkehrssystem ist die Umstellung der Autoindustrie absolut unabdingbar. Da die Produktion und der Betrieb von öffentlichen Verkehrsmitteln (Bus, Bahn etc.) weit davon entfernt sind, vergleichbare Profite wie die Massenproduktion von Autos zu erzielen, wird es niemals möglich sein, die betroffenen Kapitaleigner*innen zu einer solchen Umstellung zu bewegen. Der Kampf für eine entschädigungslose Enteignung und Vergesellschaftung dieser Produktionsmittel ist also die große Herausforderung im Kampf gegen den Klimawandel und für ein sozialeres und gesünderes Verkehrssystem.

Übersetzung: Jakob S.


Anmerkungen

[1] Um eine Kilowattstunde Speicherkapazität der Batterie zu produzieren, muss man 150–200 Kilo CO2-Äquivalente (CO2e) produzieren. Zur Produktion der Batterien für ein kleines E-Auto muss man 6 Tonnen CO2e freisetzen, für einen Tesla S (85 kWh) sind es 17 Tonnen CO2e. Um eine Vorstellung von den Größenverhältnissen zu bekommen: Ein Durchschnittsbürger in Deutschland hat einen CO2e-Ausstoß von 8,9 Tonnen (in Österreich 6,9 Tonnen, in den USA 15 Tonnen) pro Jahr.

[2] Nicht zu vergessen ist die auch bei E-Autos fortgesetzte Instandhaltung von Autobahnen und Straßen als Teil der Infrastruktur: In den USA betrugen 2014 die durchschnittlichen Kosten für den Umbau einer Sammelstraße in einem kleinen Stadtgebiet 1,5 Millionen Dollar und bei einer schon bestehenden Fahrbahn einer großen städtischen Autobahn 7,7 Millionen Dollar pro Meile.

[3] Mit „Rebound-Effekt“ werden in der Energieökonomie mehrere Effekte bezeichnet, die dazu führen, dass das Einsparpotenzial von Effizienzsteigerungen nicht oder nur teilweise verwirklicht wird. Da die Effizienzsteigerung oft mit Kosteneinsparungen beim Verbraucher verbunden ist, führt dies dazu, dass 1) das Produkt intensiver genutzt wird, 2) zusätzliche Produkte der gleichen Art erworben werden oder 3) dass die Verbraucher die freigewordenen Mittel für andere energieverbrauchende Produkte und Dienstleistungen verwenden. (Nach Wikipedia – ursprünglich bezeichnet der Begriff einen Abpraller von Brett oder Korbring beim Basketball.)

[4] Um eine Vorstellung von den Größenordnungen zu bekommen: Für ein Smartphone braucht man 3 Gramm, für einen Laptop 50 Gramm, für ein Tesla-E-Auto: 50 kg.

[5] The Economist 31. 8. 1985

[6] Der von der WHO definierte Grenzwert für Feinstaub liegt bei 45 μg/m3 an 35 Tagen im Jahr.

[7] Die von der EU definierten Grenzwerte: 45‒50 dB(A) für die Nacht und 55‒60 dB(A) für den Tag werden in vielen Städten, besonders in der Nähe der Flughäfen, überschritten.

[8] In Berlin: 154 Stunden, in München: 140 Stunden https://de.statista.com/infografik/4761/zeitverlust-im-stau-je-fahrer/. Die Kosten wurden von verschiedenen Forschern errechnet: 80.000 Mio. Euro allein für Deutschland. | In Wien: 109 Stunden, Spitzenreiter > in Bogota: 272 Stunden, in Rom: 254 Stunden und in Dublin: 246 Stunden.
(Global Traffic Scorecard des Verkehrsinformationsanbieters Iindrix 2018)

[9] Es wird erwartet, dass die maximale Anzahl von E-Autos 150 Millionen erreichen wird, was bedeutet, dass die Zunahme von Benzinautos größer sein wird als die von E-Autos.

[10] In Deutschland (1996) zahlten die Autobesitzer 63,7 Milliarden DM Steuern, aber gleichzeitig gab die Gesellschaft 301 Milliarden DM für die autobezogenen Teile des bestehenden Verkehrssystems aus.

[11] Siehe https://www.bu.edu/transportation/CTS2002G.pdf