Bundeskonferenz der ISO (Internationale Sozialistische Organisation in Deutschland)
Seit der letzten Bundeskonferenz der ISO vor zwei Jahren erleben wir eine massive Verschärfung der Angriffe auf abhängig Beschäftigte und auf die demokratischen und Menschenrechte, zunehmende Gewalt nach innen und außen sowie eine Zunahme des gesellschaftlichen Verfalls und der Krise der politischen Institutionen.
Folgende Entwicklungen seien besonders hervorgehoben:
► Der Krieg in und um die Ukraine hat in Deutschland – auch bedingt durch die plötzliche Unterbrechung der preiswerten Zufuhr russischen Erdgases – einen Energieschock und einen sprunghaften Anstieg der Inflation ausgelöst. Und es wurde eine außenpolitische Wende herbeigeführt. Durch den russischen Angriffskrieg wurde eine Kriegsstimmung gegen Russland hervorgerufen, infolge deren eine zunehmende Militarisierung auf Kosten der Gesellschaft durchgedrückt werden konnte. Die Abhängigkeit von russischem Gas wurde durch die deutlich teurere Abhängigkeit von amerikanischem Flüssiggas ersetzt, Lieferketten wurden auf Grund der Sanktionen unterbrochen. In Kombination mit einer Überproduktionskrise und den Folgen der profitgetriebenen Transformation wichtiger Produktionsprozesse hat eine Rezession eingesetzt.
► Zum Krieg in der Ukraine ist der Genozid Israels an den Palästinenser:innen in Gaza und die Verdrängung der palästinensischen Bevölkerung im Westjordanland hinzugekommen; zudem weitet Israel den Krieg derzeit auf den Libanon aus.
Die bedrohliche Eskalation beider Kriege findet vor dem Hintergrund der US-Aggression gegen China und dem Wettlauf zwischen zwei ungleichen imperialistischen Blöcken um die Kontrolle der Ressourcen und der Handelswege statt. Die innerkapitalistischen und innerimperialistischen Widersprüche entladen sich zunehmend in regionalen und Stellvertreterkriegen, die das Potential haben, einen dritten Weltkrieg auszulösen, sowie in einer beispiellosen Militarisierung. Es gibt gegenwärtig 59 Kriege in allen Teilen der Welt mit Millionen ziviler Opfer; der Anteil von Kriegen zwischen Staaten hat zugenommen. Dabei mischen immer imperialistische Staaten durch Waffenlieferungen und politische Einflussnahme mit. Wir sind in eine neue Epoche von Kriegen um eine Neuaufteilung der Welt eingetreten.
► Die Bedrohung durch den Krieg hat das Gefühl der Bedrohung durch die Zerstörung des Klimas in den Hintergrund gedrängt. Tatsächlich macht sich die Zerstörung des Klimas aber immer deutlicher bemerkbar. Die Unzulänglichkeit bürgerlicher Klimapolitik und letztlich ihr Unwille und ihre strukturelle Unfähigkeit, auf eine sozial gerechte und ökologisch nachhaltige Wirtschaftsweise umzuschalten, werden immer offensichtlicher. Selbst einfache, wirkungsvolle Klimamaßnahmen werden entweder ignoriert oder sogar zurückgedrängt.
Hier gibt es ein wahres Rollback. Wesentliche Kipppunkte der Klimazerstörung sind bereits erreicht. Dabei sind die Kriege aktuell die schlimmste Form der Klima- und Naturzerstörung. Und die Kampagne für eine Renaissance der Atomkraft nimmt an Fahrt auf.
► Diese Tendenzen werden durch den Wahlsieg von Trump in den USA massiv verschärft werden. Seine Administration setzt sich aus Milliardären, Gewerkschaftsfeinden und Kriegstreibern zusammen. Die hinter ihm stehende extrem rechte Heritage Foundation hat ein Programm (nicht nur) für seine Präsidentschaft entworfen, das sich in folgenden Punkten zusammenfassen lässt:
1. eine radikale Wende in der Handelspolitik in Richtung mehr Protektionismus, unter anderem durch die Errichtung höherer Zollschranken und anderer Handelshemmnisse;
2. massiver Druck u. a. auf Deutschland, verstärkt die Rolle als Hilfspolizist des US-Imperialismus zu spielen – und dafür auch die Schuldenbremse auszusetzen;
3. institutioneller Um- bzw. Abbau der US-Administration im Interesse von Großkonzernen wie dem Musk-Imperium; Abbau von großen Teilen des öffentlichen Dienstes durch Privatisierung;
4. Ausbau der fossilen Energie und die Abwendung von den Klimazielen im Interesse der Öl-, Kohle- und Gaskonzerne;
5. Verfolgung einer extrem reaktionären, rassistischen, sexistischen, kultur- und wissenschaftsfeindlichen Agenda, die von evangelikalen Kreisen bestimmt wird;
6. die systematische Verfolgung der pro-palästinensischen Bewegung und ihrer Unterstützer (dieses „Projekt Esther“ ist Teil des Projekts 2025);
7. der geplante Einsatz des Militärs zur inländischen Strafverfolgung.
Kapital und Arbeit in Deutschland
► Die Krise in der Automobil- und der Autozulieferindustrie bedroht Hunderttausende von Arbeitsplätzen und viele Ausbildungsplätze. Sie hat viele Gründe: insbesondere die zunehmende Konkurrenz mit China und den rückläufigen Absatz von E-Autos. Dabei handelt es sich nicht um eine Profitkrise, die Gewinne belaufen sich jeweils auf zweistellige Milliardenbeträge, die Aktionäre wollen schlicht die Rendite verdoppeln. Der Umstieg auf E-Autos – der sowieso keine ökologische Lösung ist – bleibt aber auch stecken, weil die meisten Autokonzerne nicht bereit sind, in das weniger profitable Massengeschäft einzusteigen und die Ausgaben für eine geeignete flächendeckende Infrastruktur scheuen; der Staat übernimmt sie allerdings auch nicht. Gleichzeitig wird der öffentliche Verkehr, zumal auf der Schiene, nicht nur vernachlässigt, sondern in verschiedenen Bereichen sogar weiter abgebaut.
► Die Konversion der Autoindustrie zu einer allgemeinen Mobilitätsindustrie, die die Hardware für die Verkehrswende herstellt, wird kaum in Betracht gezogen; statt dessen steigen Unternehmen aus dem Autosektor in die Rüstungsproduktion ein, wo hohe, quasi staatlich garantierte Profite winken – und das mit Unterstützung von Teilen der IG Metall.
► Auf die verschärfte weltweite Konkurrenz reagieren die Konzerne vor allem in der Auto- und der chemischen Industrie trotz weiterer Milliardenprofite mit der Kündigung langjähriger Betriebsvereinbarungen zur Beschäftigungssicherung, mit der Verlagerung der Produktion in Niedriglohnländer und mit der Drohung, Standorte zu schließen bzw. extrem zu schrumpfen.
Die Angriffe auf gewählte Interessenvertretungen in den Betrieben und die Behinderungen von Gewerkschaftsarbeit nimmt Ausmaße an, die im Nachkriegsdeutschland bislang unbekannt waren. Tesla, ein Unternehmen, das versucht, gewerkschaftsfrei zu werden und vor der Kündigung von Betriebsratsmitgliedern nicht zurückschreckt, wird vielen Unternehmern zum Vorbild. Sie kündigen die „Sozialpartnerschaft“ auf.
► In Deutschland haben die Gewerkschaftsführungen auf solche Angriffe vielfach keine Antworten; sie reagieren defensiv, bieten keinen überzeugenden politischen Ausweg aus der Krise der kapitalistischen Produktionsweise, weil sie sich weigern, ein politisches Mandat konsequenter gewerkschaftlicher Gegenmacht wahrzunehmen. Damit überlassen sie das Feld der extremen Rechten, die gegen die Energiewende hetzt und gesellschaftlichen Unmut auf die Migrant:innen umleitet. Leider funktioniert das auch im Betrieb.
Damit tragen Gewerkschaften und betriebliche Interessenvertretungen selber zu ihrer Schwächung bei. Antworten auf die Kriegsgefahr, die Klimakrise wie auch auf die notwendige Transformation industrieller Produktionslinien können nicht nur betrieblich und schon gar nicht auf dem Wege des Co-Managements gefunden und gegeben werden.
► Staatlicher Interventionismus beschränkt sich, wie schon in der Finanzkrise 2008 und während der Pandemie, auf die Subventionierung der großen Industrie. Die öffentliche Infrastruktur wird weiter entweder privatisiert oder vernachlässigt, die Daseinsvorsorge funktioniert nicht mehr – das gilt nicht nur für die Deutsche Bahn, es betrifft genauso das Gesundheitswesen, die Kultur, die Schulen, den öffentlichen Nahverkehr, selbst die öffentliche Verwaltung… Vereinen, die anstelle des Staates wichtige öffentliche Aufgaben erledigen, wird die finanzielle Unterstützung gekürzt, der Bezug von Bürgergeld wieder sanktionsbewehrt, Asylsuchende mit dem Entzug von Bargeld schikaniert. Die große Koalition für den Abbau der sozialen Funktionen des Staates und den Ausbau seiner repressiven Funktionen reicht von Rechtsaußen bis zu den Grünen und der SPD.
► Die kapitalistische Gesellschaft, ihre Produktionsweise wie ihre Institutionen, haben einen Grad an Krisenhaftigkeit erreicht, der nur noch als Systemkrise bezeichnet werden kann und gegen den einzelne Reformmaßnahmen wie der Green New Deal nichts ausrichten können.
Mit seinem passgenau auf maßgebliche Kapitalinteressen abgestimmten „Wirtschaftswendepapier“ hat FDP-Chef Lindner bewusst den Bruch der Ampelregierung herbeigeführt. Erneut sollte die „Schuldenbremse“ als Hebel angesetzt werden, um besondere finanzielle Belastungen auf die Haushalte für die Daseinsvorsorge abzuwälzen und bei Sozialem und Infrastruktur noch mehr zu kürzen sowie dringende ökologische Investitionen auszubremsen. Die „Schuldenbremse“ ist ein großes Hindernis auf dem Weg zu sozial-ökologischen Reformen.
Jetzt steht der zweite Akt der sogenannten Zeitenwende bevor – mit Merz als Kanzler. Eine weitere Rechtsverschiebung auf Regierungsebene ist zu erwarten.
Die Rechtswende
► Die vielfältigen Krisen, mit denen die Gesellschaft konfrontiert ist, befördern das Bewusstsein, dass es so nicht weitergehen darf. Unter diesen Bedingungen wird in Ermangelung starker und selbstbewusster Strukturen der Selbstorganisation und einer glaubwürdigen linken Partei mit Massenunterstützung der Ruf nach einer starken autoritären Führung laut, nach jemandem, der oder die durchgreift und den „Laden in Ordnung bringt“.
► Das ist die Stunde der AfD. Sie wird an der Unfähigkeit der bürgerlichen Mitte groß, noch einen gesellschaftlichen Zusammenhalt zu sichern, und treibt diese Mitte vor sich her. Sie betreibt Politik mit der Angst, konstruiert rassistische Sündenböcke und spielt die Rolle einer Partei, die sich „das traut, was die anderen Parteien noch nicht wagen“. Die AfD hat kaum ein eigenes Programm; sie radikalisiert die egoistischen Tendenzen in der Gesellschaft bis hin zur Gewalttätigkeit, ihr Antrieb ist Zerstörung und Entsolidarisierung. Migrant:innen, die Schwächsten der Gesellschaft, werden als Sündenböcke ausgeguckt.
► Die Krise verschärft die soziale Ungleichheit und damit auch die Angriffe auf schwächere Gruppen der Gesellschaft. Den durch den Abbau des Sozialstaats beförderten Zerfall des gesellschaftlichen Zusammenhalts bekommen verstärkt Frauen und queere Menschen zu spüren. Die statistisch erfassten Fälle von Gewalt gegen Frauen, insbesondere häuslicher Gewalt, nehmen zu. Auch politisch ist eine Auseinanderentwicklung zwischen den Geschlechtern zu verzeichnen: junge Männer sind zunehmend anfällig für rechte Parolen, junge Frauen hingegen engagieren sich stärker für fortschrittliche Themen. Die extreme Rechte – bis hinein in konservative Krise – nutzt diese Entwicklung für Angriffe gegen jede Position einer selbstbestimmten und antipatriarchalen Sexualität.
Die Hetze gegen Migrant:innen, aber auch gegen Bezieher:innen von Bürgergeld nimmt einen offen menschenverachtenden Ton an. Rassismus und soziale Ausgrenzung gehen Hand in Hand, das wird besonders deutlich beim staatlich und gesellschaftlich verleugneten Antiziganismus.
► Die angeblich rebellischen Attacken der AfD gegen das politische Establishment dienen ihr dazu, bestehende demokratische Strukturen zu schwächen, damit die Partei ihr autoritäres Programm leichter durchsetzen kann.
Die bürgerlichen Parteien setzen der AfD nichts entgegen, im Gegenteil, sie hetzen selbst und befeuern den Rassismus. Damit wächst die Saat, die sie selbst ausgesät haben. Sie stimmen nicht nur in die Hetze gegen Migrantinnen und Migranten ein, sie machen sich zu Vorreitern der Abschiebepraxis. Sie schaffen selbst ein zunehmend reaktionäres und autoritäres Klima, indem sie eine Staatsräson dekretieren, gegen die kein Widerspruch geduldet wird. Maulkörbe und Gesinnungsterror, lang überwunden geglaubt, sind wieder an der Tagesordnung.
► Die politischen Institutionen der parlamentarischen Demokratie und der bürgerliche Rechtsstaat sind keine stabile Schranke gegen die autoritären Tendenzen. Sie brechen ein, wie wir im Thüringer Landtag erleben konnten. Die demokratische Fassade ist rein formal. Diese Demokratie kann mit ihren eigenen Waffen geschlagen werden. Das weiß die AfD – und wir wissen es auch.
Deshalb verteidigen wir umfassende demokratische und soziale Rechte, aber wir verteidigen nicht die Verfasstheit der bürgerlichen Demokratie. Gegen rechts hilft nur links.
► Linke wie auch Gewerkschaften haben keine wirksame und glaubhafte Strategie zur Bekämpfung dieser Entwicklung. Infolgedessen zerlegt sich die Linke.
►Auch die Partei Die Linke steckt in einer Existenzkrise, deren Ausgang allerdings offen ist. Dennoch bleibt sie mit rund 55.000 Mitgliedern die einzige linke Kraft, die bundesweit bekannt und aktionsfähig ist. Die Linke steht in wichtigen Fragen gegen die vorherrschende Mehrheitsströmung: Bereicherung durch Ausbeutung, Spaltung durch Rassismus, Militarisierung und Kriegsvorbereitung.
Bei wenigen Gegenstimmen und Enthaltungen am 1. Dezember 2024 von der 5. Bundeskonferenz der ISO angenommen
Die Resolution erschien zuerst auf der Website der ISO