Anti*Capitalist Resistance
- Die tragische Ermordung von drei kleinen Kindern durch einen 17-Jährigen in Southport im Juli 2024 wurde von opportunistischen faschistischen Kräften dazu genutzt, eine Reihe von Unruhen in ganz England zu organisieren. Sie haben eine Reaktion der organisierten Arbeiterbewegung und der bedrohten muslimischen Gemeinschaften ausgelöst.
- Der anfängliche „Grund“ für diese Proteste wurde schnell aufgegeben, da sie zu Vorwänden für gewalttätigen Rassismus wurden, der sich gegen Moscheen, Hotels, in denen Asylbewerber:innen untergebracht sind, und jeden einzelnen Schwarzen, den sie finden konnten, richtete. Zwar war die Zahl der Teilnehmenden an den Gegenprotesten oft höher als die der Reaktionäre, aber das war nicht immer der Fall, und selbst dort, wo es der Fall war, blieben die [örtlichen, vorwiegend migrantischen] Gemeinschaften [communities] nach dem Ende der antirassistischen Proteste verwundbar.
- Was wir sehen, sind die Folgen des jahrzehntelangen Neoliberalismus: Unsere Gemeinschaften sind kaputtgemacht worden, wir alle sind in Konkurrent:innen auf einem globalen Markt verwandelt worden, Sparpolitik hat unser Leben auf ein absolutes Minimum reduziert, rassistische Boulevardzeitungen verbreiten Hass auf Einwanderer:innen, um Auflage zu machen, und Politiker:innen sowohl der Tories als auch der Labour-Partei schüren die Stimmung gegen Einwanderer:innen, um Stimmen zu gewinnen. Die Folgen dieser Entwicklung sind jetzt zu spüren.
- An den Krawallen selbst waren zwar nur ein paar tausend Menschen beteiligt, aber sie deuten auf eine rechtsextreme Partei hin, die immer selbstbewusster wird und glaubt, dass sie eine viel breitere Anhängerschaft um sich hat. Am Wochenende vor den tragischen Ereignissen in Southport hielt Tommy Robinson auf dem Trafalgar Square eine Kundgebung mit rund 15.000 Menschen ab, die er als die „größte patriotische Kundgebung“ in der Geschichte bezeichnete, und sprach auch von fast 100.000 Menschen.
- Diese Ausschreitungen sind ein weiteres Beispiel für die wachsende Bedrohung durch den Faschismus, der immer mehr rechtsextreme, populistische und autoritäre Menschen anlockt. Verschwörungstheorien und Online-Gerüchte, die von faschistischen Social-Media-Accounts verstärkt wurden, ermutigten die Menschen, auf die Straße zu gehen. Sie befürworten Klimaverschwörungstheorien ebenso wie rassistische Lügen über Einwanderer:innen. Viele, die an diesen Unruhen beteiligt waren oder mit ihnen sympathisierten, weisen die Anschuldigung zurück, sie seien rechtsextrem oder faschistisch.
- Die Rechtsextremen konzentrieren sich nicht mehr ausschließlich auf die Ethnie, sondern sprechen davon, dass der Multikulturalismus das Problem sei, sie nehmen Muslime ins Visier, behaupten aber, dass dies nicht aufgrund der Ethnie geschehe, sondern weil „sie eine andere Kultur sind“; sie behaupten, dass sie nicht Schwarze ins Visier nehmen, sondern Einwanderer und Flüchtlinge, was, wie jeder weiß, ein Code für Schwarze ist. Sie beschweren sich nicht über zu viele nicht-weiße Menschen in Filmen oder Fernsehsendungen, sondern argumentieren, dass der moderne Film und das moderne Fernsehen „zu woke“ seien. Diese Codes, Slogans und Schlussfolgerungen sind der Sumpf, in dem reaktionäre Ideen schwimmen ‒ plausible Legitimationen, während man einen Ziegelstein auf eine Moschee wirft. Dieses Framing ermöglicht es ihnen sogar, eine kleine Gruppe von Angehörigen ethnischer Minderheiten anzuziehen, die die islamfeindliche Agenda unterstützen oder ihre begrenzten Sicherheiten im Kapitalismus schützen wollen, indem sie sich in den Chor des Hasses gegen neu ankommende Flüchtlinge einreihen ‒ ein Ansatz, der „die Leiter hochzieht“.
- Seit einigen Jahren macht ein Großteil der extremen Rechten gemeinsame Sache mit dem Zionismus und den Anhänger:innen des israelischen Staates. Beide Gruppen versuchen, Antisemitismus als Gegnerschaft gegen den Zionismus und gegen Israel und nicht als gegen Juden und Jüdinnen gerichteten Rassismus umzudefinieren und damit die Kritik eher gegen die Linke als gegen die Rechte zu richten. Beide Gruppierungen verfolgen letztlich dasselbe Ziel: die Umsiedlung von Jüdinnen und Juden aus Großbritannien in den israelischen Apartheidstaat.
- Dieselben Leute haben es auch auf Trans-Personen abgesehen. Tommy Robinsons Demo wurde am Trans Pride Day ausgerufen, und ein Ordner der Trans-Demo wurde angegriffen. Jeder, der am Rande steht, jeder, der nicht ihrem starren Ideal eines weißen, cis-heterosexuellen, rechtsgerichteten und „patriotischen“ Lebens entspricht, ist ein Angriffsziel.
- Der Wandel von dem Auftreten als klassische Nazis (wie es die National Front einst tat) zu einem eher amorphen „postfaschistischen“ Rechtspopulismus ist nur eine Weiterentwicklung ihrer Strategie. Sie wissen, dass sie mehr Menschen erreichen können, wenn sie ihre Sprache mäßigen, aber hinter dem Gerede über Multikulturalismus ist klar, dass sie einen totalen Krieg gegen jeden führen wollen, der nicht in ihre Vision eines rein weißen Großbritanniens passt.
- Diese gewalttätigen nationalistischen Rassisten hoffen, die Menschen zu organisieren, die sich von zunehmend rechten Weltanschauungen angezogen fühlen, die Flüchtlingen die Schuld an der Wohnungsnot geben, Einwanderer für niedrige Löhne verantwortlich machen und Trans-Personen beschuldigen, ihr Konzept von Geschlecht zu untergraben. Trotz ihrer Behauptung, Frauen und Kinder zu schützen, sind sie zutiefst frauenfeindlich und lehnen die feministischen die Forderungen der nach körperlicher Autonomie der Frauen ab. Die Rechten wollen Frauen in ein traditionelles Familienleben zwingen und in manchen Fällen aus der Erwerbsarbeit ausschließen.
- Ihre Empörungs-Politik gibt allen die Schuld, nur nicht den Mächtigen ‒ die ganze Wut richtet sich gegen einige der am stärksten Ausgegrenzten und Schwachen in unserer Gesellschaft.
- Entscheidend ist, was die Labour-Regierung unternimmt, um die Lebensqualität der Menschen zu verbessern, und ob sie Rassismus anprangert, wenn er sich manifestiert. Wenn Rachel Reeves, die Finanzministerin der Labour-Regierung Starmer, den Sparkurs fortsetzt, wird das Problem nur noch schlimmer. Gewerkschaften und kommunale Kampagnen müssen für eine Abkehr von dieser Politik der Kürzungen kämpfen, die nur noch mehr Menschen in die Arme der extremen Rechten treibt.
- Auch wenn es wichtig ist, gegen die „boot boys“[i] zu mobilisieren, sollten wir die Bedrohung durch die Faragisten[ii] und die Tory-Rechte nicht herunterspielen, deren Politik und Rhetorik Gefühle normalisiert haben, die leicht zu der Ermordung von Asylbewerbern an diesem Wochenende hätten führen können
- ACR ist solidarisch mit den Bevölkerungsgruppen, die diesen gewalttätigen Ausschreitungen ausgesetzt sind, und mit denjenigen, die befürchten, dass sie die nächsten sein könnten.
- Die Rechtsextremen müssen bekämpft werden, solange ihre Demonstrationen noch klein sind ‒ angesichts des sinkenden Lebensstandards und der zunehmenden Krisen im Kapitalismus werden sie wahrscheinlich weiter zunehmen. Die Verteidigung unserer Städte, Unterkünfte für Asylbewerber und Anwaltskanzleien für Einwanderer durch die Mobilisierung der Bevölkerung ist von zentraler Bedeutung.
- Selbstverteidigung von Gemeinschaften, die sie mit ihrem gewalttätigen Rassenhass ins Visier nehmen, ist keine Straftat, sondern legitim. Wir können uns nicht auf die Polizei verlassen, um uns zu schützen. Die Polizei ist selbst institutionell rassistisch und queer-feindlich, und die Forderung nach mehr Polizeibefugnissen setzt nur den jüngsten Trend zum Autoritarismus fort.
- Die Gewerkschaften und die Arbeiterbewegung müssen dem Kampf gegen die extreme Rechte eine höhere Priorität einräumen. In der Arbeiter:innenbewegung muss eine offene Debatte darüber geführt werden, wie diese reaktionäre Welle besiegt werden kann. Die Gewerkschaften müssen dieses Thema auf allen Ebenen diskutieren und dafür sorgen, dass es auf dem Kongress der TUC[iii] im September diskutiert wird. Die Gewerkschaften sollten die Initiative zur Organisation von Solidaritätsveranstaltungen und Kundgebungen ergreifen, die all jenen, die sich gegen die Rechtsextremisten aussprechen wollen, einen Raum bieten, dies zu tun, und sich aktiv an der Organisation von Gegenmobilisierungen zu faschistischen Demonstrationen beteiligen; sie müssen auch ihre Gleichstellungsarbeit fortsetzen und verstärken, indem sie sich gegen alle Formen der Unterdrückung und Diskriminierung wenden.
- Die großen Proteste in Liverpool gegen die extreme Rechte und die Allianzen, die zwischen der Linken und den für Palästina mobilisierten Gemeinschaften aufgebaut werden, zeigen, wie wir eine Massenbewegung aufbauen können, um diese Ideen und die faschistischen Schläger zu besiegen. Das große gewerkschaftliche Kontingent auf der Trans Liberation Demonstration am 27. Juli zeigt ebenfalls einen Weg nach vorne, indem es die Arbeiterbewegung mit breiteren sozialen Themen verknüpft, die das Leben der Menschen auf praktische Weise verbessern können.
- Die Proteste [der extremen Rechten] müssen auch politisch besiegt werden. Wir müssen für die Art von Politik eintreten, die den Missständen und der Verzweiflung, die die extreme Rechte anheizen, entgegenwirken kann. Wir besiegen den Faschismus, indem wir den Menschen zeigen, dass der Sozialismus funktioniert und dass die Arbeiterbewegung für die Verteidigung des Lebensstandards kämpfen kann.
- Wir sagen:
- Aufbau von gemeinsamem Widerstand gegen die Rechtsextremen und Faschisten
- Verteidigung von Migrant:innen, Flüchtlingen und Trans-Menschen
- Faschistische Drohungen abwehren, Moscheen verteidigen
- Selbstverteidigung ist legitim
- Organisiert den Widerstand gegen die Austeritätspolitik von Labour
- Aufbau einer ökosozialistischen Massenbewegung, die für gesellschaftliches Eigentum, partizipative Demokratie und radikalen Überfluss kämpft, um der Verzweiflung und dem Hass der extremen Rechten entgegenzuwirken.
- August 2024
Aus dem Englischen übersetzt und mit Anmerkungen von Wilfried Hanser
Quelle: „Solidarity and Unity Now“
[i] Boot boys: hier für Skinheads, entspricht dem Ausdruck „Stiefelnazis“; „boot boy“ oder einfach „boots“ hatte ursprünglich eine andere Bedeutung, nämlich für das niedrigste männliche Personal in Haushalten.
[ii] Faragisten: Anhänger:innen von Nigel Farage, dem Chef der rechtpopulistischen Partei „Reform UK“, war einer der Hauptpropagandisten des Brexit.
[iii] TUC (Trade Union Congress): Dachorganisation der Gewerkschaften in Großbritannien. Er vereint 65 Gewerkschaften mit ca. 6,5 Millionen Mitgliedern. Der TUC ist Mitglied im Internationalen Gewerkschaftsbund (IGB) und Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB). In der Mitgliederliste des IGB wird die Mitgliedschaft mit 5.977.178 angegeben (Stand 2017).