›Ob ihr richtig steht, seht ihr, wenn das Licht angeht‹
Gespräch mit Thomas Schmidinger
Das Faktenwissen über linke Gruppierungen palästinensischer Herkunft, früher unter Linken weit verbreitet, ist nicht mehr da. Viele jüngere Linke beziehen sich – positiv oder negativ – auf etwas, von dem sie relativ wenig wissen.
Thomas Schmidinger hat mit seinem neuen Buch versucht, Licht ins Dunkel zu bringen. Darüber sprach mit ihm Lisa Bolyos von der Zeitschrift Augustin.
Dein Buch liest sich wie ein kleiner Almanach des Scheiterns der Linken in Palästina. Was sind die Gründe dafür?
In der ersten Phase ging es vor allem um den Versuch, eine binationale kommunistische Partei aufzubauen, die 1943 aber zerfallen ist. Man war gegen die Teilung Palästinas und erst mit dem Umschwenken der Sowjetunion dafür. Diese kleine kommunistische Partei ist daran gescheitert, dass sie in beiden Communitys – im jüdischen Jischuv und in der palästinensischen Gesellschaft – sehr marginalisiert war und mit der Akzeptanz eines Teilungsplans viel zu spät gekommen ist, um noch eine Relevanz in der Frage zu entwickeln.
In ihrer Hochphase war die palästinensische Linke zu großen Teilen eine Diaspora-Linke. Sie entstand als Teil einer Linksentwicklung des arabischen Nationalismus und war selbst linksnationalistisch. Das war sowohl Teil ihres Erfolgs, als auch der Kern ihres Scheiterns: Alle anderen Fragen – Klassenfragen oder die Gleichheit der Geschlechter – wurden der nationalen Frage untergeordnet.
So schuf die Linke eine radikalere Variante des palästinensischen Nationalismus, die sich stärker auf antikoloniale nationale Befreiungsbewegungen bezog – wahlweise auch auf die Sowjetunion oder die Volksrepublik China – als die Fatah, damalige Hauptorganisation der PLO.
Im Zuge der Intifada entstand die Hamas.
Die Muslimbrüder, die sich vorher in bezug auf Israel politisch eher enthalten hatten und auf deren Agenda vor allem die innerpalästinensische Islamisierung stand, stiegen ganz massiv in den Wettbewerb ein, wer der radikalere Antizionist ist. Da haben es die linken Gruppierungen nicht mehr geschafft, ein anderes politisches Projekt zu formulieren. Sie wurden zwischen der säkularen Fatah und der islamistischen Hamas aufgerieben.
Der 7.Oktober war gewissermaßen der vorläufige Endpunkt dieser Entwicklung. Zwei der historisch wichtigsten Organisationen der palästinensischen Linken, die DFLP und die PFLP, haben als kleine Verbündete der Hamas mitgemacht.
Wie sich anhand der Erklärungen der anderen organisierten linken Gruppierungen herausgestellt hat, haben auch sie alle den 7.Oktober zumindest bejubelt und es seither nicht geschafft, irgendeine andere Idee zu formulieren, wie denn dieses Palästina, das sie wollen, ausschauen könnte, und was es vom Palästina der Hamas oder der Fatah unterscheidet. Und schon gar nicht, wie eine mögliche Koexistenz mit dem jüdischen Staat oder zumindest der jüdisch-israelischen Bevölkerung möglich wäre.
Wieso hat der radikale Nationalismus die soziale Frage hier völlig verdrängt?
Dass sich innerhalb der PLO der 1970er Jahre nicht der linke Flügel, sondern die Fatah durchgesetzt hat, hat sicher unter anderem damit zu tun, dass die linken Gruppen ihre panarabistische Agenda nie ganz aufgegeben haben.
Die PFLP und die DFLP kommen aus dem »Bund der arabischen Nationalisten«, der sich als panarabische revolutionäre Bewegung verstanden hat, die eben auch Veränderungen in anderen arabischen Staaten wollte. Die arabischen Staaten haben dann aber tendenziell eher die Fatah unterstützt, die ihnen weniger gefährlich schien.
Jene arabischen Staaten, die linke palästinensische Gruppierungen unterstützt haben – wie Syrien, Libyen, phasenweise auch der baathistische Irak – hatten nicht die solidarische Unterstützung linker Befreiungsbewegungen im Sinn, sondern die Herausbildung von Gruppen, die im Sinne ihrer staatlichen Agenda handelten. Darum hat Syrien zum Beispiel die PFLP/Generalkommando, eine Abspaltung der PFLP, unterstützt, die auch im syrischen Bürgerkrieg auf der Seite des syrischen Regimes zum Einsatz kam. Auch gegen andere Palästinenser!
Währenddessen hat die Fatah es geschafft, sich auf internationalem Parkett als relativ gemäßigte, diplomatisch ansprechbare nationale Kraft zu etablieren, nicht zuletzt mit Unterstützung des ehemaligen österreichischen Bundeskanzlers Bruno Kreisky. Das ist dann in den Oslo-Prozess gemündet, der aber natürlich nicht zu dem gewünschten Resultat, einer friedlichen Lösung des Nahostkonflikts, geführt hat.
In den 80er- und 90er Jahren unterstützten also islamisch orientierte Regime die Hamas, säkulare Staaten hatten als Ansprechpartner die Fatah. Vor diesem Hintergrund und angesichts des Zerfalls der Sowjetunion und der außenpolitischen Mäßigung Chinas hatten linke palästinensische Gruppen kaum noch Unterstützung von außen. Mit der PFLP oder der kommunistischen Partei, die später die Volkspartei geworden ist, zu kooperieren, hatte für niemanden mehr einen Nutzen.
Sie haben es auch nicht geschafft, ihre Ideologie so zu erneuern, dass sie nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und zu Beginn des Oslo-Prozesses etwas hätten formulieren können, das größeren Teilen der palästinensischen Bevölkerung als glaubhafte Alternative erschienen wäre.
Den Oslo-Prozess können wir auf vielen Ebenen als vergebene Chance betrachten. Was wäre eine sinnvolle Position der Linken dazu gewesen?
Wenn man heute abseits der Öffentlichkeit mit Leuten redet, die in den Konflikt involviert sind, sind viele ehrlich genug zu sagen, dass der Oslo-Prozess tot ist und die Zweistaatenlösung sich nicht mehr umsetzen lässt. Die Frage ist, was dann. Darauf gibt es momentan keine Antwort. Mit dem 7.Oktober und allem, was danach in Gaza passiert ist, sind wir an einem totalen Tiefpunkt angelangt. Ich sehe momentan keinen Spielraum für neue Verhandlungen.
Wer sind relevante palästinensische Stimmen vor Ort oder in der Diaspora?
Die meisten, die kritische Positionen haben, formulieren sie derzeit nicht öffentlich. Weil es dafür keinen Raum gibt. Nicht primär wegen der Repression, sondern weil alle, die sich jetzt innerhalb der palästinensischen Gesellschaft kritisch zu dem äußern, was die Hamas am 7.Oktober gemacht hat, in den Augen der meisten Verrat betreiben. Das liegt einfach an der massiven Gewalt, die das israelische Militär an der Zivilbevölkerung in Gaza verübt hat. Während zehntausende Zivilist:innen getötet werden, ist es schwierig, Kritik an der eigenen Seite zu üben.
In privaten Gesprächen wird die Kritik durchaus geäußert. Ich habe Bekannte, die als Homosexuelle aus Palästina geflüchtet sind und die weder mit der Hamas noch mit der Fatah irgendetwas anfangen können; oder Leute, die Friedensaktivist:innen waren und weggegangen sind. Der Raum, sich öffentlich kritisch zu äußern, wird sich erst auftun, wenn der Krieg beendet ist.
Wir haben jetzt zwar eine prekäre Feuerpause und vielleicht den Beginn eines längerfristigen Waffenstillstands, aber dafür nimmt die Gewalt in der Westbank zu. Wenn es einmal einen längerfristigen Waffenstillstand gibt, hoffe ich schon auf eine Reflexion darüber, was alles schief gelaufen ist – auf beiden Seiten.
Zu sagen, wir wollen nicht die Regierung Netanyahu und wir wollen auch nicht von der Hamas regiert werden – sollte das nicht eine sehr simple linke Position sein?
Eigentlich wäre das naheliegend. Natürlich gibt es feministische Organisationen, die der PFLP nahe stehen und sagen, eigentlich wollen wir nicht von der Hamas regiert werden. Aber das ist momentan der siebente Nebenwiderspruch. Man darf nicht vergessen, dass diese Gruppierungen alle aus einer marxistisch-leninistischen Tradition kommen – sie denken also in Haupt- und Nebenwidersprüchen. Und derzeit ist der Hauptwiderspruch dermaßen dominant, dass die vermeintlichen Nebenwidersprüche kaum formuliert werden können.
Wie kommt es, dass der Nahe Osten für die globale Linke eine so beliebte Projektionsfläche ist?
Global gesehen ist die Bedeutung des Konflikts deshalb so groß, weil er seit Jahrzehnten dauert und Israel immer die Unterstützung der USA hatte. Dass die Unterdrückten und die für ihre Freiheit Kämpfenden unsere Sympathien haben, ist eine linke Grundtendenz.
Reflexartige Solidarisierung gibt es nicht nur auf der Linken, sondern auch auf der Rechten. Antisemiten sympathisieren mit dem israelischen Staat – ohne dadurch weniger antisemitisch zu werden –, weil ihnen ihr Rassismus gegen Muslim:innen wichtiger ist.
Jeder kann sich, vor allem wenn er wenig Faktenwissen hat, einfach mit einem der Akteure solidarisieren und auf sehr schablonenhafte Weise Gut und Böse zuordnen. Das treibt dann die absurdesten Blüten – eine davon ist, dass sich eine queere Szene mit der Hamas solidarisiert, während queere Menschen in Palästina schon vor dem Krieg vor der Hamas flüchten mussten.
Mein Buch ist vor allem eine Einladung, sich tiefergehend zu informieren, bevor man allzu explizite Meinungen formuliert.
Quelle: augustin.or.at/ob-ihr-wirklich-richtig-steht-seht-ihr-wenn-das-licht-angeht/
Thomas Schmidinger ist Politikwissenschaftler und Sozial- und Kulturanthropologe. Er unterrichtet an der University of Kurdistan Hewler in Erbil, Irakisch-Kurdistan, und an der Universität Wien. Zuletzt erschien von ihm Die Linke in Palästina. Wien: Mandelbaum, 2024. 160 S., 15 Euro
Wir danken der Straßeneitung Augustin und der SOZ – Sozialistische Zeitung – für die Übernahme des Interviews: https://www.sozonline.de/2025/07/die-linke-in-palaestina-und-wie-sie-sich-aeussert/