Gespräch mit Christine Poupin

Europaweit hat sich die Bauernschaft gegen das Verschwinden ihres Berufsstands erhoben. ­Christine Poupin berichtet über die Proteste in Frankreich und erläutert einen Vorschlag der Confédération Paysanne zur Lösung der Agrarkrise. Mit ihr sprach Angela Klein.

Was war der Auslöser für die Proteste der Landwirte und Bauern in Frankreich?

Zum Teil wurden sie angesteckt von den Protesten, die es zuvor in Deutschland, Belgien, Polen u.a. Ländern gab. Anfänglich richteten sie sich gegen die Höhe des Agrodiesels; auch waren Ausfallgelder wegen einer Viehseuche im Südwesten Frankreichs versprochen, aber nicht gezahlt worden. Im Grunde aber geht es um ein tiefsitzendes Unbehagen und eine wirklich Verzweiflung in der Bauernschaft, die sich zum Teil in großen Existenznöten befindet. 18 Prozent von ihnen leben unterhalb der Armutsgrenze; das ist auch das Segment der Bevölkerung, in dem es die höchste Selbstmordrate gibt und die Verschuldung sehr hoch ist.

Wer demonstriert und wer führt die Bewegung an?

Da kommen wir zu den Widersprüchen der Bewegung. Die Proteste sind vom Südwesten ausgegangen. In dieser Region ist der führende französische Bauernverband, die FNSEA, gar nicht mal am stärksten. Nicht die FNSEA oder der Verband der Jungbauern (JA) setzten die Bewegung in Gang, obwohl diese beiden Verbände die Mehrzahl der Bauern (über 50 Prozent) organisieren. Sie sitzen seit Jahrzehnten im Landwirtschaftsministerium mit am Tisch; vor allem die FNSEA (das Pendant zum Deutschen Bauernverband) ist mit allen Einrichtungen verbandelt, die für das Leben und Wirtschaften der Bauern wichtig sind.

Die FNSEA vertritt die Interessen des agroindustriellen Komplexes. Ihr derzeitiger Vorsitzender, Arnaud Rousseau, ist Großgrundbesitzer – er hat 700 Hektar, zehnmal mehr als der Durchschnitt. Zudem bekleidet er wie sein Vorgänger einen Managerposten beim Agrarkonzern Avril. Und er streicht jährlich 174.000 Euro Agrarsubventionen aus dem Fonds der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der EU ein.
Dieser Verband stellt natürlich die derzeitige Landwirtschaftspolitik grundsätzlich nicht in Frage. Seine Forderungen drehen sich auch nicht um Einkommen, was der erste und wichtigste Grund für die Proteste ist, sondern sie richten sich gegen Umweltauflagen. Er macht auch ein bisschen Wind um gerechte Erzeugerpreise, aber vor allem geht es ihm darum, eine Beschränkung des Einsatzes von Pestiziden zu verhindern – durchaus mit Erfolg, denn die Frist, innerhalb derer dieser Einsatz zurückgefahren werden soll, wurde mehrfach hinausgeschoben, zuletzt auf das Jahr 2028.

Für die Mehrzahl der Protestierenden geht es aber um das Einkommen. Vielen Bauern reicht es nicht zum Leben, sie sind von Sozialhilfe abhängig, mit allem, was damit einhergeht: geringe Wertschätzung ihrer Arbeit, Bezahlung unter Wert, mangelnder Zugang zu Ackerland und zu Brennstoffen.

Wieviele Menschen sind bei euch noch in der Landwirtschaft beschäftigt?

In den 60er Jahren waren rund 7 Prozent der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft beschäftigt, heute sind es rund 2 Prozent. Mit dem Bauernsterben ging auf der anderen Seite ein Größenwachstum der landwirtschaftlichen Betriebe einher. Dieses »Wachsen oder Weichen« ist Teil des Problems, weil es die Ansiedlung neuer landwirtschaftlicher Betriebe verhindert. Hinzu kommt, dass mehr und mehr Acker- und Weideland durch Großprojekte der Infrastruktur, die enorm viel fruchtbares Land fressen, verloren geht – dagegen mobilisiert die Gewerkschaft der Kleinbauern, die Confédération Paysanne, Seite an Seite mit Umweltschützern, etwa in Notre-Dame-des-Landes gegen den geplanten Flughafen, oder gegen den Autobahnbau. Fruchtbares Land geht auch durch die unbegrenzte Ausdehnung der Städte und die damit einhergehende Flächenversiegelung verloren. Jungbauern wird es immer weniger möglich, einen Agrarbetrieb hochzuziehen, wenn sie nicht in eine Bauernfamilie hineingeboren werden oder erben.

Erstaunlich fand ich, dass bei euch die Bauern zwar auch die Autobahnen nach Paris blockiert und sich damit gegen die Regierung gewandt haben. Sehr schnell haben sie aber auch begonnen, die Zentrallager der großen Lebensmittelhändler zu blockieren.

Diese Aktionen wurden von der Confédération Paysanne organisiert. Es wurden etwa die Lager von Lactalis blockert, dem weltweit größten Milchunternehmen, weil die Erzeugerpreise für die Milch zu niedrig sind. Eine weitere Zielscheibe war die Supermarktkette Leclerc, da ging es ebenfalls um die Erzeugerpreise. Die Einkommen der Bauern hängen ja direkt von diesen ab, sie liegen aber häufig unteren Gestehungskosten. Mit ihrer Arbeit verlieren die Bauern Geld, statt welches zu verdienen.

Einen Teil ihres Einkommens machen deshalb die Prämien aus dem Gemeinsamen Agrarfonds aus. Die richten sich aber nach der bewirtschafteten Fläche, was wiederum die Großbauern bevorzugt. Eine Forderung der Confédération ist deshalb, die Subventionen an die Zahl der Beschäftigten in einem landwirtschaftlichen Betrieb statt an die Fläche zu binden.

Die Confédération Paysanne organisiert rund 20 Prozent der Beschäftigten in der Landwirtschaft und ist Mitglied von Via Campesina, die Bauerninternationale, die für den Erhalt der kleinbäuerlichen Strukturen und für Ernährungssouveränität eintritt.

Gibt es daneben noch andere Bauernverbände?

Es gibt noch die Coordination Rurale, ein widersprüchlicher Verband, der stark unter dem Einfluss der extremen Rechten steht und auch Mitglieder des Rassemblement National (der Partei von Marine Le Pen) in seinen Reihen hat. Er wendet sich gegen die Freihandelsabkommen und gegen die EU und tritt mit einer antiökologischen und gegen Migration gerichteten Rhetorik auf. Er wendet sich stärker an die Kleinbauern, ist also eine unmittelbare Konkurrenz zur Confédération. Der Verband vertritt ebenfalls rund 20 Prozent der Beschäftigten. Er ist später entstanden als die Confédération und vor allem im Südwesten Frankreichs präsent.

Haben Industriegewerkschaften die Bauernproteste unterstützt?

Die linken Gewerkschaften, CGT, Union Solidaires, FSU, haben die Proteste unterstützt, das ist neu und eine Lehre aus der Gelbwestenbewegung, wo etwa die CGT sich anfangs schwer tat, ein Verhältnis dazu aufzubauen. Sie haben natürlich vor allem die Forderungen nach besseren Einkommen aufgegriffen.
Wichtig war auch die Unterstützung durch die radikale Ökologiebewegung: Soulèvement de la terre, Greenpeace u.a. haben den Bogen von der Landwirtschaft zu den Klimaprotesten geschlagen und die beiden Bewegungen gemeinsamen Gegner benannt. In dem Zusammenhang wurde auch die unterschiedliche Behandlung der Bauernproteste und der Proteste von Klimaschützer:innen durch die Polizei kritisiert: Autobahnblockaden der Bauern wurden von der Polizei geschützt, solange es sich nicht um solche der Confédération Paysanne handelte, solche der Umweltschützer wurden zusammengeschlagen.

Die Unterstützung wird leider nichts daran ändern, dass die Bewegung am Ende politisch doch der extremen Rechten zugute kommt, weil auf der Linken eine starke und glaubwürdige politische Alternative fehlt. Politiker der extremen Rechten waren mit auf den Barrikaden, obwohl sie zu hundert Prozent eine produktivistische Landwirtschaft vertreten, und sie haben versucht, den Protesten eine reaktionäre Wendung zu geben.

Ihr Einfluss ist dennoch schwer zu messen. Was bei den Blockaden sichtbar geworden ist, ist nicht unbedingt ein getreuer Spiegel des tiefen Unbehagens in der Bauernschaft. Am sichtbarsten waren die Aktionen von FNSEA und JA.

Was tut die NPA?

Wo wir konnten, sind wir zu den Blockaden der Confédération Paysanne gegangen. Bei denen der FNSEA hat man uns gesagt, wir brauchen euch nicht.

Wir vertreten in und mit der Confédération den Ansatz für eine soziale Absicherung der Ernährung. Dabei geht es darum, nach dem Muster der Krankenversicherung allen Menschen eine ausreichende und gesunde Ernährung zu ermöglichen. Es würde also eine Sozialkasse geschaffen, die monatlich jeder Person 150 Euro zu Verfügung stellt, mit denen diese direkt bei nachhaltig produzierenden, regionalen Erzeugern, die Vertragspartner sind, einkaufen können. Der Vorschlag wird sehr breit diskutiert, sowohl von den Verteidigern der öffentlichen Daseinsvorsorge, als auch von der Ökologiebewegung und der Confédération Paysanne. Er kann eine Antwort auf die Probleme der Bauern und auf die Armut in den Städten sein. Man sieht ja, dass die Tafeln gar nicht mehr in der Lage sind, die wachsende Nachfrage zu befriedigen.

Wer zahlt in die Kasse ein?

Darum gibt es eine heftige Debatte. Wir als NPA sind für die Alimentierung der Sozialkassen aus Lohnbestandteilen, wir sind gegen steuerfinanzierte Kassen. Wir sind auch dafür, dass diese Kassen wieder von den abhängig Beschäftigten allein verwaltet werden, wie dies in den Anfängen schon einmal der Fall war. Dafür müssten die Unternehmerbeiträge zur Sozialversicherung natürlich erhöht werden. Die Einzahlung in diesen neuen Zweig des Sozialversicherungssystems wäre obligatorisch. Das wäre eine Ausweitung der Daseinsvorsorge in einer Zeit zunehmender Verarmung.