von Paul Stern
Aktuell ist in Österreich die Neutralität wieder Gegenstand politischer und rechtlicher Debatten. Im Moskauer Memorandum am 15.April 1955 festgehalten, machte die UdSSR die permanente Neutralität von Österreich zur politischen Bedingung für die Unterzeichnung des Staatsvertrags.
Neutralität bedeutet im internationalen Kontext die Unparteilichkeit eines Staates bei gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen anderen Staaten. Er leistet keine direkte oder indirekte Unterstützung von Konfliktparteien wie militärtechnische Lieferungen oder die Gestattung von Truppentransporten über heimisches Territorium.
Durch den Beitritt zur EU wurde das strikte Neutralitätsgebot in Österreich löchrig. Übereinstimmend betonten Verfassungsrechtler:innen, dass durch die Unterzeichnung der Gemeinsamen Erklärung zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) die Reichweite des Neutralitätsgesetzes eingeschränkt wurde. Dieses Schlupfloch haben diejenigen erkannt, die nachhaltig die Neutralität beseitigen möchten. So der ehemalige ÖVP-Nationalratspräsident Khol und der frühere Streitkräftekommandant Höfler, die für einen Beitritt zur NATO oder aber für eine militärische Integration in eine EU-Armee plädieren. Klartext sprechen auch die liberalen Neos, die gemeinsam mit der SPÖ die Wiener Landesregierung stellen. Für Gründungsmitglied Dengler ist es an der Zeit, «die verbliebenen Reste der Neutralität zu beseitigen». Die NATO ist für ihn ein historisch sehr erfolgreiches Verteidigungsbündnis. Neos-Parteichefin Meinl-Reisinger träumt gar von einem gemeinsamen europäischen Berufsheer.
Widerspruch kommt (noch) von den Grünen und der oppositionellen SPÖ. «Die Neutralität stärkt als Eckpfeiler der österreichischen Außenpolitik unsere Sicherheit» (SPÖ-Vorsitzende Rendi-Wagner). Unisono befeuern aber alle Parlamentsparteien die Aufrüstungsdebatte. Die SPÖ möchte dem Bundesheer in den nächsten fünf Jahren knapp 5 Mrd. Euro zukommen lassen, der grüne Wehrsprecher Stögmüller unterstützt punktuelle Aufrüstungspläne. Strittig sind die Einführung verpflichtender Milizübungen und die Verlängerung der Wehrdienstzeit.
Angesichts der Aufweichung der ursprünglichen Neutralität wäre Österreich kein Vorbild für einen neutralen Status der Ukraine. Die sich abzeichnende EU-Mitgliedschaft der Ukraine würde eine Integration in die begonnene und forcierte militärische Formierung bedeuten.
Nach einem Ende der Kampfhandlungen braucht die Ukraine eine Perspektive friedlicher Koexistenz. Diese findet sie nicht in einer EU mit der Atomwaffenmacht Frankreich und einer multilateralen Berufsarmee. Die Renaissance einer österreichisch-ukrainischen Waffenbrüderschaft in der Tradition der Habsburgermonarchie wäre dem Frieden in Europa garantiert nicht dienlich.