Referat von J. Berghold beim SOAL-Sommercamp, 10.07.2025

 

Überlegungen zum breiteren Einstieg

Weltbild des Sozialdarwinismus:

Alles Leben – in der Natur ebenso wie in der mensch-lichen Gesellschaft – beruht grundsätzlich auf erbarmungslosem Verdrängungswett-bewerb, in dem die (dafür) Fähigsten (d.h. in der Erbarmungslosigkeit Tüchtigsten…) überleben und alle darin weniger Fähigen (aus naturgesetzlicher Zwangsläufigkeit) zugrundegehen müssen

Meine annähernd lebenslange – aber nur bei verstreuten Gelegenheiten genauer reflektierte – Wahrnehmung: Dieses Weltbild bringt – in verschiedenen (offenen und verschlüsselten/verkappten) Varianten – den Kern der Verhältnisse am konsequentesten zum Ausdruck, die in unserer Gesellschaft am meisten Zerstörung und Tragik verursachen (unnötiges Leid, Verzweiflung, Entbehrung, Verschwendung, Entfremdung…) – es ist von tief wurzelnder Feindseligkeit und massiver geistiger Beschränktheit durchdrungen… Nun ergreife ich die Gelegenheit, meine diesbezüglichen verstreuten Gedanken ein wenig zusammenzutragen, zu ordnen und zu vertiefen bzw. diverse lose Fäden zu verknüpfen

Charles Darwin selbst verhielt sich dem Sozialdarwinismus gegenüber vielfach wankel-mütig-schwankend – machte ihm in seinem zweiten Hauptwerk Die Abstammung des Menschen (1871) aber auch wesentliche Zugeständnisse – wohingegen der entschiedenste öffentliche Verteidiger von Darwins Evolutionstheorie, der Biologe Thomas Henry Huxley, sich entschieden davon distanzierte

Zentraler Anstoßgeber für die politisch höchst erfolgreiche sozialdarwinistische Miss-Deutung der Evolutionstheorie war der Philosoph Herbert Spencer, der auch den (oft fälschlich Darwin zugeschriebenen) Slogan vom „survival of the fittest“ („Überleben der Tüchtigsten“) geprägt hat

Allgemein gesprochen: Für den modernen (industriellen) Kapitalismus (als Produktions-weise) ist das sozialdarwinistische Weltbild – aus seiner inneren Logik heraus – sehr spezifisch (zentral, unverzichtbar, vorherrschend…) – sowohl als systematische Handlungs-orientierung als auch zu seiner ideologischen Rechtfertigung

Zusätzlich zu seiner grundsätzlichen Bedeutung gewinnt es in der aktuellen, zunehmend apokalyptische Züge annehmenden Konjunktur der „neoliberal“-mafiakapitalistischen Entwicklungen – und des damit einhergehenden weltweiten Aufstiegs der extremen Rechten – an Gewicht und weitaus schärferen und bedrohlicheren Konturen (in seiner grobschlächtig-autoritären Brutalität, atemberaubenden Inkohärenz und Realitätsfremd-heit)… vor dem Hintergrund einer tiefen Krisenkonjunktur, die vor allem seit der Finanz-marktkrise 2008 zu immer weiter spekulativ-entrückten Dimensionen der Profitmaximie-rung tendiert (Finanzialisierung, Digitalisierung, Kryptowährungen…) – und damit auch zu einer explosiv zunehmenden Vermögenskonzentration (Oligarchie, Kleptokratie)… symptomatisch dafür auch: Trumps Immobilien-Geschäftsmodell der Vermarktung nicht von Immobilien, sondern seines Markennamens

 

Empfehlenswerte Literatur:

Naomi Klein & Astra Taylor, The rise of end times fascism (The Guardian, 13.04.2025)

www.theguardian.com/us-news/ng-interactive/2025/apr/13/end-times-fascism-far-right-trump-musk

www.youtube.com/watch?v=8HAeAHcCW14

 

Douglas Rushkoff, Survival of the Richest: Escape Fantasies of the Tech Billionaires (2022, dt. Survival of the Richest. Warum wir vor den Tech-Milliardären noch nicht einmal auf dem Mars sicher sind, 2025)

www.suhrkamp.de/buch/douglas-rushkoff-survival-of-the-richest-t-9783518029992

 

Douglas Rushkoff, Survival of the Richest: The wealthy are plotting to leave us behind (Medium, 05.07.2018)

www.cnbc.com/2018/07/11/survival-of-the-richest-the-wealthy-are-plotting-to-leave-us-behind.html

 

Apokalyptische Silicon Valley Tech-Milliardäre (und Klima- u.a. Katastrophen-Prepper) à la Peter Thiel, Elon Musk, Jeff Bezos (Amazon), Mark Zuckerberg (Meta/Facebook), Ray Kurzweil (Google), Sam Altman (OpenAI), Marc Andreesen (Netscape), Balaji Srinivasan (Coinbase), Jeffrey Epstein u.a.m… und – teilweise überlappend – evangelikale Gläubige an die „Great Rapture“ („Himmelfahrt“, „Entrückung“, „Emporhebung“ der Rechtgläubigen)…

 

George Monbiot & Peter Hutchison, The Invisible Doctrine: The Secret History of Neoliberalism & How It Came to Control Your Life (2024), bes. Kap. 15 – zum „Zeitalter der Killer Clowns“, die weltweit wie Giftpilze emporschießen (à la Trump, Bolsonaro, Putin, Modi, Milei, Bukele, Duterte, Erdogan, Orban, Wilders, Netanjahu u.a.m.) –, Kap. 17 (Citizens of Nowhere), Kap. 19 (No Exit)

 

Isolde Charim, Vielleicht in bisschen Schamgefühl? Nö (taz, 23.06.2025)

https://taz.de/Neuer-Politikertypus/!6092934/

 

Sally Weintrobe, Psychological Roots of the Climate Crisis: Neoliberal Exceptionalism and the Culture of Uncare (2021); dt. Psychische Ursachen der Klimakrise. Neoliberaler Exzeptionalismus und die Kultur der Achtlosigkeit (2023)

https://psychosozial-verlag.de/programm/2000/2110/3234-detail

 

Joachim Bauer, Realitätsverlust. Wie KI und virtuelle Welten von uns Besitz ergreifen und die Menschlichkeit bedrohen (2023)

Anne Applebaum, Autocracy, Inc.: The dictators who want to run the world (2024, dt. Die Achse der Autokraten. Korruption, Kontrolle, Propaganda: Wie Diktatoren sich gegenseitig an der Macht halten)

 

 

Sechs maßgebliche Themen:

1.) Impliziter Sozialdarwinismus

2.) Expliziter Sozialdarwinismus

3.) Brüchigkeit der Legitimierung kapitalistischer Herrschaft und Ausbeutung

4.) Die großen Zivilsations-Schocks der 1930er und 1940er Jahre

5.) Das Versagen unserer globalen Gesellschaft angesichts der Klimakatastrophe

6.) „Survival of the Richest“: Der Aufstieg apokalyptischer (zunehmend extremistisch-expliziter) Varianten des Sozialdarwinismus

 

Die hinter dem Spannungsfeld zwischen implizitem und explizitem Sozialdarwinismus erkennbare grundlegende Brüchigkeit der Legitimierung kapitalistischer Herrschaft/ Ausbeutung – als Hintergrund für die trotz seiner (eigentlich karikaturenhaftigen) intellektuellen Dürftigkeit dennoch unverzichtbaren Rolle/Funktion

Konkretere Betrachtung (Analyse) dieses Spannungsfeldes im Lichte zweier „neuralgischer“ historischer Situationen (Kontexte):

Auswirkungen der großen Zivilisations-Schocks der 1930er und 1940er Jahre

Das radikale Versagen unserer globalen Gesellschaft angesichts der hereinbrechenden Klimakatastrophe

Der dadurch (mit) bedingte Aufstieg apokayptischer (zunehmend extremistisch-expliziter) Varianten des Sozialdarwinismus – besonders (aber bei weitem nicht nur) unter den Reichsten und Mächtigsten der Erde: „survival of the richest“ (Rushkoff), „Arche-Noah-Mentalität“ (Sally Weintrobe), „end times fascism“ (Klein & Taylor)

 

1.) Impliziter (nicht ausdrücklich „ausbuchstabierter“) Sozialdarwinismus

Das sozialdarwinistische Weltbild ist im Kapitalismus nahezu allgegenwärtig und durchdringt fast alle Winkel und Poren des gesellschaftlichen Lebens… Am insgesamt wirkmächtigsten ist es aber vor allem dort, wo es als implizite, unreflektiert-„selbst-verständliche“, quasi unscheinbare… Praxis bzw. Haltung zum Tragen kommt – d.h. eher in suggestiven Inszenierungen als in ausdrücklichen Verkündigungen… als allgemeiner „Humus“ von Machtverhältnissen, ohne den die extremeren (schärferen, offeneren) Formen des Sozialdarwinismus nicht entstehen (zum Tragen kommen) könnten

Daraus ableitbarer entscheidender Fokus: den Schleier der unscheinbaren „Selbst-verständlichkeit“ konsequent zu lüften…

Alfie Kohn, No contest: The case against competition (1986) (dt.: Mit vereinten Kräften. Warum Kooperation der Konkurrenz überlegen ist, 1989) – möglicherweise erste umfassende Beschreibung und Analyse der überwiegend unbewussten Hegemonie des Konkurrenzprinzips der „sich gegenseitig ausschließenden Zielverwirklichung“ (einfacher ausgedrückt: „Mein Erfolg mach dein Versagen erforderlich“) – anhand zahlreicher Beispiele (bersonders auch im Bildungsbereich): „Keine Ecke unseres Lebens ist zu trivial – oder zu wichtig – als dass wir dem Zwang entgehen könnten, uns selbst und andere in Rangfolgen zu bringen“ – was mit einem durch die bekannte Metapher des Fisches beschreibbaren Zustand einhergeht, „der das Wesen des Wassers nicht reflektiert“, weil er „sich seine Abwesenheit nicht vorstellen und sich deshalb auch keine Gedanken über seine Anwesenheit machen (kann)“ (Walker Percy)

Diskussion von Kohns Thesen u.a. in Jakob Schäfer, Konkurrenz – Grundprinzip einer vernünftigen Gesellschaftsordnung? (2024), S. 9 und S. 96ff.

Kohns sehr detailliert und konsequent argumentierte Widerlegung von vier hegemonialen Konkurrenz-Mythen: Natur, Leistung, Freude am Spiel, Charakterstärke

Hegemonialer Einfluss von unzähligen Konkurrenz-Rangordnungen (in „höher-“ und „minderwertige“ Menschen, Gruppen, Lebewesen…) auf allen nur irgendwie vorstellbaren Ebenen – die oft qualitativ nicht (oder kaum) vergleichbare Qualitäten quantitativ gegen-einander in Stellung bringen… klassisches Beispiel der IQ-„Messungen“ – die historisch fast genau nach dem Glaubwürdigkeits-Zusammenbruch der rassistischen und sexistischen Schädelvermessungs-„Wissenschaft“ (Franz Boas, 1911) ihren ersten Aufschwung erlebt haben (vgl. z.B. Stephen J. Gould, Der falsch vermessene Mensch, 1981)… ähnlich auch auf der Ebene der Status-Konkurrenz mit den unterschiedlichsten Formen demonstrativen Konsums („Veblen-Effekt“, „keeping up with the Joneses“… klassisches Zitat Walter Slezaks: „ Viele Menschen benutzen das Geld, das sie nicht haben, für den Einkauf von Dingen, die sie nicht brauchen, um damit Leuten zu imponieren, die sie nicht mögen“

Globale Solidarität als nicht mehr aufschiebbare Überlebensnotwendigkeit: Die Klimakrise im Brennpunkt (2021, ab S. 184): Beispiele aus dem riesigem Spektrum an hegemonialen öffentlichen Unterhaltungs-Inszenierungen, deren unverhohlener Zweck darin besteht, die Beteiligten in Siegende und Besiegte aufzuspalten — das heißt, sie ohne auch nur eine Spur von sachlicher Rechtfertigung in einen unüberbrückbaren Interessensgegensatz zueinander zu bringen: ob im so genannten Leistungssport, in Quiz-Veranstaltungen oder auch in Fernseh-Shows mit Ausscheidungswettkämpfen aller Art. Schon in der Spielanordnung wird unmissverständlich festgelegt, dass die Niederlage einiger eine zwingende Voraussetzung für den Erfolg anderer ist — dass also schon von vornherein ausgeschlossen wird, dass sich am Ende alle gemeinsam am Ergebnis erfreuen könnten…

Besonders illustrativ auch: Die Fernseh-„Reality Show“ „The Apprentice“ (2004-2017) als entscheidendes Sprungbrett für Trumps politische Karriere, die sich als offener Bruch mit den bis dahin äußerlich zivilisierteren Formen solcher Ausscheidungswettkämpfe in Szene setzte – die Verlierenden wurden nicht mehr höflich verabschiedet, sondern grob gedemütigt und u.a. auch von Trump mit „You’re fired“ angebellt…

Mit Händen zu greifen ist bei diesen Inszenierungen insbesodere auch, dass die für einen Erfolg erforderlichen Bemühungen nichts beinhalten, das in irgendeiner Weise als sinnvolle Leistung verstanden werden könnte — in dem Sinne, dass sie etwas nachvollziehbar Nützliches zur Erfüllung menschlicher Bedürfnisse oder Notwendigkeiten beitragen könnten. Eine Strecke in einem Wettlauf um wenige Sekunden schneller zurückzulegen als andere leistet in diesem Sinne ebensowenig — nämlich nichts — wie zum Beispiel der Beweis, in einem im Fernsehen übertragenen »Dschungelcamp« verschiedene »Prüfun-gen« zu bestehen, das heißt willkürlich auferlegte Qualen und Belastungen aushalten zu können; während beides aber auch zu gesundheitlichen Schäden führen kann.

Ähnlich variantenreiche Institution der Glücksspiele — die ebenso unverkennbar darauf angelegt sind, die Beteiligten in Siegende und Verlierende aufzuspalten, und bei denen auch ebenso offensichtlich ist, dass für einen Erfolg keine in irgendeiner Weise als sinnvoll begreifbare Leistung erforderlich ist oder auch nur möglich wäre. Dementsprechend handelt es sich ebenso auch um eine radikal unproduktive Art von Aktivität, die nicht das Geringste zur Vermehrung des Wohlstands einer Gesellschaft beiträgt, sondern lediglich eine Umverteilung von bereits geschaffenem Wohlstand bewirkt (zu einem erheblichen Teil auch zu Gunsten derjenigen, die sie veranstalten). Jeder in diesem Rahmen erzielte Erfolg kann also nur auf einem Verlust für andere beruhen… auch in ihren milderen Formen stimmen alle, die sich auf Glücksspiele einlassen, der unverkennbaren Spielanordnung zu, derzufolge der erhoffte eigene Erfolg auf einem Nachteil für andere Beteiligte beruhen muss…

Aktuelle weitere Zuspitzung in der Hochkonjunktur von Internet-Spielen, deren vorherr-schender Typus „eine Welt zeig(t), in der es nichts gibt als den Kampf auf Leben und Tod, Vernichten oder Vernichtet-Werden, Alles oder Nichts. Das Grundprinzip ist: Wer den Feind nicht auslöscht, wird selbst ausgelöscht“ (Joachim Bauer, Realitätsverlust. Wie KI und virtuelle Welten von uns Besitz ergreifen und die Menschlichkeit bedrohen, 2023, S. 94).

 

2.) Expliziter Sozialdarwinismus

Die expliziten Formen (Varianten, Äußerungsweisen) des sozialdarwinistischen Weltbilds erfüllen eine so gut wie unumgängliche Rechtfertigungsfunktion für den modernen Kapitalismus – für die Erbarmungslosigkeit seiner tieferen Logik des Verdrängungswett-bewerbs, der zunehmenden Ungleichheit, seiner sozialen Grausamkeiten usw.

Zentrale Komponente der Rechtfertigung: Missbrauch der Biologie – pseudo-biologische Behauptung einer von der Natur vorgegebenen Unvermeidlichkeit

Friedrich Engels, Dialektik der Natur (MEW 20, S. 565): „Die ganze Darwinsche Lehre vom Kampf ums Dasein ist einfach die Übertragung der Hobbesschen Lehre vom (Krieg aller gegen alle) und der bürgerlichen ökonomischen (Lehre) von der Konkurrenz, sowie der Malthusschen Bevölkerungstheorie aus der Gesellschaft in die belebte Natur. Nachdem man dies Kunststück fertiggebracht (…), ist es sehr leicht, diese Lehren aus der Natur-geschichte wieder in die Geschichte der Gesellschaft zurückzuübertragen, und eine gar zu starke Naivität, zu behaupten, man habe damit diese Behauptungen als ewige Natur-gesetze der Gesellschaft nachgewiesen.“

Im Gegensatz zu seiner sozialdarwinistischen Miss-Deutung verweist das Prinzip der natürlichen Auslese – das Darwin als treibene Kraft der Evolution der Arten entdeckt hat – auf einen Kampf ums Überleben, der in erster Linie eben gerade dies ist: ein Kampf ums eigene Überleben – und nicht ein Kampf gegen das Überleben anderer… Grundsätzlich schließt der evolutionäre Kampf ums Überleben auch eine große Anzahl von Situationen (mit) ein, in denen das Überleben einer Seite im Konflikt mit dem Überleben einer anderen Seite steht – ob nun zwischen Individuen, die zu benachbarten Arten auf der Nahrungs-kette gehören (wie etwa zwischen den sprichwörtlichen Löwen und Gazellen), oder auch in allen Kontexten knapper Ressourcen, die Individuen und Arten dazu zwingen, sie sich wechselseitig abzuringen zu versuchen… Dieser gegeneinander geführte Kampf bedingt allerdings auch beträchtliche „Umlenkungen“ – und das heißt: Verluste – von Energien und Ressourcen, die somit für den Kampf fürs eigene Überleben gefährlich fehlen… Die vorrangige Tendenz in der Evolution der Arten muss daher darauf gerichtet sein, Situa-tionen eines Kampfes gegen das Überleben anderer nach Möglichkeit zu vermeiden oder zumindest gering zu halten – und stattdessen Situationen zu suchen bzw. ökologische Kooperationen (Nischen) herbeizuführen, in denen sich die Individuen und Arten in ihren Überlebensbemühungen ergänzen oder auch wechselseitig unterstützen… Dementspre-chend hat denn auch die Evolution im Allgemeinen (außer in den durch geologische Katastrophen verursachten Situationen von Massenaussterben) durchweg zu einem mächtigen Anstieg der Zahl und Vielfalt der Arten geführt – und nicht zu einem immer exklusiveren (kleineren) Kreis von immer tüchtigeren Überlebenden in einem sich allseitig verschärfenden Verdrängungswettbewerb… Die Natur funktioniert eben doch nicht wie der Kapitalismus

Ihre krasse – fast schon peinlich unverkennbare – intellektuelle Dürftigkeit weist indirekt darauf hin, wie verzweifelt (dringend, suchtartig…) diese Rechtfertigungsfunktion benötigt wird – und begründet dementsprechend auch eine Tendenz zur Bevorzugung der impliziten (nicht oder weniger offen ausformulierten) Formen des sozialdarwinistischen Weltbilds

Das Spektrum der konkreten (expliziten) Formen (Varianten, Äußerungsweisen) des sozialdarwinistischen Weltbilds ist dementsprechend auch sehr facettenreich (vermischt, ambivalent, wechselhaft, trugbildhaft, widersprüchlich…) – reicht aber jedenfalls im groben Überblick vom Pol einer arroganten Verherrlichung „natürlich-überlegener Durchsetzungs-kraft“ bis zum Gegenpol einer verschämten (oder auch zynischen) Entschuldigung für ein „leider“ von Natur aus unvermeidbares Handeln…

Das komplizierte Spannungsfeld zwischen diesen beiden Gegenpolen entspricht (im Sinne einer groben Annäherung) auch dem Spannungsfeld zwischen dem extrem rechten und dem gemäßigt rechten politischen Spektrum

Kennzeichnend für gemäßigter rechte Strömungen: dass sie ambivalentere (verschlüssel-tere, verschämtere, „weichzeichnende“, halb versteckte, zurückhaltendere…) Formen des sozialdarwinistischen Weltbildes zeigen, welche z.B. auch schon mal (anti-sozialdarwinisti-sche) Lippenbekenntnisse zum solidarischen Gemeinwohl erlauben können, ohne den Sozialdarwinismus dabei allerdings grundsätzlich zu verwerfen bzw. tatsächlich aufzugeben (die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte 1948 als besonders bezeichnendes historisches Beispiel dafür – siehe später)

Flüchtige Randbemerkungen dazu: Neben einer schon grundsätzlich enormen Vielschich-tigkeit (Ambivalenz, Komplexität…) der Verortungen auf dem politischen Links-rechts-Spektrum gibt es auch einen häufigen Etikettenschwindel bei den äußerlichen Selbst-verortungen – auch Teile des sich selbst als links bezeichnenden Spektrums zählen in Wirklichkeit zum rechten Spektrum (z.B. „Mitte-links-Parteien“ mit „neoliberaler“ Orientierung – vgl. „New Labour“ als Thatchers Antwort auf die Frage nach ihrem größten Erfolg… „linke“ „friedensbewegte“ Putin-Anhänger:innen um Sarah Wagenknecht, die sich spätestens mit ihrem Buch „Die Selbstgerechten“ am harten rechten Rand positioniert hat)… außer in revolutionären Situationen dürfte der weitaus größte Teil des politischen Spektrums de facto rechts einzuordnen sein… wenn z.B. gemäßigt linke Positionen Zohran Mamdanis als „100% wahnsinnig kommunistisch“ attackiert werden können…

 

3.) Brüchigkeit der Legitimierung kapitalistischer Herrschaft und Ausbeutung

Weitläufigerer historischer Hintergrund (Kontext) – sowohl zum Verständnis der zentralen Bedeutung und der fast alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens erfassenden Wirk-mächtigkeit des Sozialdarwinismus – als auch für seine facettenreich-unbeständigen Formen (Varianten) der Selbstrechtfertigung: eine größere Brüchigkeit und Fragwürdigkeit der im modernen Kapitalismus Herrschaft und Ausbeutung legitimierenden Ideologien – im Vergleich zu vorkapitalistischen Herrschaftssystemen

Grundlegend für Rechtfertigungs-Ideologien wohl aller Herrschafts- und Ausbeutungs-systeme der menschlichen Geschichte: Behauptung einer (mehr oder weniger unver-änderlichen) Höher- und Minderwertigkeit verschiedener Gruppen (Kategorien…) von Menschen (auf der Basis von „Rasse“, Kaste, Klasse, Geschlecht, Volksgruppe, Nation, Religion u.a.m.) – wobei die „höherwertigen“ Gruppen ein selbstverständliches (gottgegebenes, naturgegebenes, kosmologisches…) Recht hätten, ihre Interessen auf Kosten der „minderwertigen“ Gruppen durchzusetzen

In den vorkapitalistischen Herrschaftssystemen konnten solche Behauptungen mit weitaus größerer Selbstverständlichkeit vertreten und durchgesetzt werden als unter den sozialen und politischen Rahmenbedingungen des modernen Kapitalismus

Frans de Waal, The Age of Empathy: Nature’s Lessons for a Kinder Society (2009, dt. Das Prinzip Empathie. Was wir von der Natur für eine bessere Gesellschaft lernen können, 2011), 2. Kapitel zu Sozialdarwinismus: „In früheren Zeiten benötigten die Reichen keinerlei Rechtfertigung, um die Armen nicht zu beachten. Mit ihrem blauen Blut betrachtete sich der Adel als ganz anderen Menschenschlag (…) er hatte keine Gewissensbisse, im üppigen Reichtum zu schwelgen, im Fleischkonsum zu schlemmen, feinsten Wein zu schlürfen und in vergoldeten Kutschen herumzufahren, während die Massen fast verhungerten. (…) All dies änderte sich mit der industriellen Revolution, die eine neue Oberschicht schuf, die über die Not anderer nicht mehr so leicht hinwegsehen konnte. Viele von ihnen hatten wenige Generationen zuvor noch selbst zur Unterklasse gehört: sie waren offensichtlich vom selben Blut. Sollten sie also ihren Reichtum nicht teilen? Da ihnen dies allerdings stark widerstrebte, waren sie umso mehr von der Botschaft begeistert, dass es eigentlich ganz in Ordnung ging, sich nicht um jene zu kümmern, die für sie arbeiteten, dass es völlig ehrenhaft war, die Leiter des Erfolgs zu erklimmen, ohne (auf die Verlierer) zurückzu-blicken. So funktioniert die Natur eben nun mal, versicherte Herbert Spencer ihnen und konnte so jegliche Gewissensbisse ausräumen, die die Reichen noch empfinden mochten.“

Diese dringende Notdurft – des Wegschiebens (Verdrängens) von solchen sozialen Gewissensbissen mithilfe einer Berufung auf angebliche (kompromisslose) „Gesetze der Natur“ – hängt daneben (und damit verknüpft) auch noch mit dem Umstand zusammen, dass die politischen (rechtlichen) Voraussetzungen für den modernen Kapitalismus (zu einem erheblichen Teil) von emanzipatorischen Bewegungen (u.a. bürgerlich-demokra-tischen Revolutionen) durchgesetzt werden mussten – und somit auch auf teilweise (phasenweise) Bündnisse der aufsteigenden neuen herrschenden Klasse mit anderen („niedrigeren“, stärker ausgebeuteten und unterdrückten) Klassen und Schichten angewiesen war

Die historischen Errungenschaften dieser Bewegungen haben auch maßgebliche politische Normen (Wertmaßstäbe) bzw. Rahmenbedingungen für ein leidlich stabiles Funktionieren der kapitalistischen Produktionsweise geliefert: die Ideale der Aufklärung; die Menschen- und Bürgerrechtserklärungen; die Rechtsstaatlichkeit und formale Gleichheit vor dem Gesetz; eine relative Abnahme des allgemeinen Gewaltniveaus auf der Grundlage des z.B. von Norbert Elias (Über den Prozess der Zivilisation, 1939/1969) beschriebenen langfristi-gen zivilisierenden Prozesses (in den gesellschaftlichen Umgangsformen und der Struktur des öffentlichen Lebens ab dem Beginn des 2. Jahrtausends), in dem zunehmend dichter und globaler werdende Interdependenzen die pragmatische Notwendigkeit einer zumindest moderaten Gemeinwohlorientierung erforderlich machten

Grundsätzliche logische Unvereinbarkeiten (zumindest einiger) dieser Normen (Wert-maßstäbe) mit der Ausbeutungs- und Konkurrenzlogik der kapitalistischen Produktions-weise: Wenn man z.B. Immanuel Kants grundlegende moralische Forderung ernst nimmt, das Leben jeder Person als „Zweck an sich“ anzuerkennen (und niemals als „Mittel zu einem Zweck“ zu missbrauchen); oder wenn man das in Artikel 4 der 1789 verkündeten Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte Prinzip im Ernst respektiert, dass „die Ausübung der natürlichen Rechte eines jeden Menschen (…) die Grenzen (hat), die den anderen Gliedern der Gesellschaft den Genuss der gleichen Rechte sichern“ – so würde es (eigentlich) logisch unmöglich, Mitmenschen beherrschen und ausbeuten zu wollen

Das (einigermaßen) existenz-sichernde Mindestmaß an (relativ) stabilen Rahmen-bedingungen steht in einem (letztlich nicht überbrückbaren) Widerspruch zur in der kapitalistischen Produktionsweise zwangsläufig angelegten (zunehmend tieferen und umfassenderen) Entwicklung zu einem immer erbarmungsloseren Verdrängungswett-bewerb – bezeichnender Begriff in der englischen Sprache: „cut-throat competition“ (eine „die Kehle abschneidende“, also direkt mörderische Konkurrenz) – ,der (vor allem in Krisenzeiten) zu einer zunehmend hemmungs- und schrankenlosen Intensivierung der Konkurrenz- und Ausbeutungsverhältnisse bzw. entsprechender Brutalisierung, Barbarisierung, moralischer Verwahrlosung, Zerfall des gesellschaftlichen Zusammenhalts tendiert… was auf eine Zerstörung der Lebensgrundlagen der menschlichen Zivilisation (und damit natürlich auch auf einen Zusammenbruch des Kapitalismus) hinausläuft – wie dies eben auch die heutigen globalen mafia-kapitalistischen Trends besonders deutlich machen

Illustrative Beobachtung zu dieser Tendenz in Karl Marx, Das Kapital (Bd. 1, 1867, Kap. 24): Zitat des britischen Gewerkschaftsführers Thomas Joseph Dunning: „Das Kapital hat einen Horror vor Abwesenheit von Profit, oder sehr kleinem Profit, wie die Natur vor der Leere. Mit entsprechendem Profit wird das Kapital kühn… 10%, sicher, und man kann es überall anwenden… 20%, es wird lebhaft… 50%, positiv (richtiggehend) waghalsig… für 100% stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinem Fuß… 300%, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf die Gefahr des Galgens“… Man kann im Verdrängungswettbewerb im Grunde nie genug Geld anhäufen („genug ist nie genug“)

Daraus ergibt sich also noch eine zusätzliche Verschärfung des unüberbrückbaren Wider-spruchs zwischen leidlich stabilen (zivilisierten, existenzsichernden) politisch-rechtlichen Rahmenbedingungen und dem brutalisierenden (existenzbedohenden) Sog, der in der tieferen Logik des kapitalistischen Verdrängungswettbewerbs angelegt ist – und damit eine extreme Brüchigkeit und Wechselhaftigkeit in den Bemühungen um die Rechtfertigung (Legitmierung) der kapitalistischen Produktionsweise – wobei der pseudo-biologische Erklärungs-Strohhalm nur umso unverzichtbarer (verzweifelter, suchtartiger…) benötigt wird… etwa nach der Art: „realistischerweise“ ließen uns „die Gesetze der Natur“ halt „leider“ keine andere Wahl als uns von unserer „biologischen Veranlagung“ leiten zu lassen (weshalb dies auch nicht moralisch verurteilt werden könne)… und vielleicht wäre es ja ohnehin besser, sich nicht von Skrupeln oder bedauernden Empfindungen bremsen zu lassen und sich lieber wie kraftvoll jagende Raubtiere (beliebtes Selbstbild aggressiver Kapitalisten) dem „vollen Leben“ des brutalen Konkurrenzkampfes hinzugeben… wie z.B. der Oracle-Gründer Larry Ellison, der dafür bekannt ist, in „Motivationsseminaren“ für Führungskräfte die Parole „Wir sind hier die Raubtiere!“ zu verkünden, oder Jeff Bezos, der sich gern mit einem Antilopen jagenden Raubtier vergleicht, wenn Amazon kleinere Konkurrenten ruinieren bzw. aus dem Markt verdrängen kann

Besonders ausgeprägt: aus „Naturgesetzlichkeit“ resultierende „biologisch bedingte“ Willenlosigkeit der Handelnden, die daher in letzter Konsequenz auch nicht „wirklich“ moralisch zur Verantwortung gezogen werden könnten… auf die Spitze getrieben duch die Mitte der 1970er Jahre aufkommende Strömung der „Soziobiologie“ (Edward O. Wilson), die besonders durch Richard Dawkins’ Bestseller The Selfish Gene (1976, dt. Das egoisti-sche Gen) große Bekanntheit erreichte: „Wir sind Überlebensmaschinen – Roboter-Instrumente, die blind darauf programmiert sind, die egoistischen Moleküle zu erhalten, die man Gene nennt“… auch alle prosozialen Gefühle würden bloß von den Genen für ihre eigenen egoistischen Zwecke hervorgerufen…

Siehe dazu bes. Joachim Bauer, Prinzip Menschlichkeit (2007), Kap. 5: Soziobiologische Science-Fiction oder: Warum Gene nicht egoistisch sind – u.a., dass kein einziger Wortführer der „Soziobiologie“ je selbst Genforschung betrieben hat… Gene können in Wirklichkeit keine „egoistischen“ (oder sonstigen) „Absichten“ verfolgen, sondern sind Informationsträger für den Bauplan und die Funktionen lebender Organismen… Bauer: das soziobiologische Missverständnis der Rolle der Gene ist ähnlich absurd wie die Vorstellung, dass ein Konzert von einem Klavier dirigiert würde

„Soziobiologie“ als „Begleitmusik“ zum beginnenden Aufstieg des „Neoliberalismus“ in den 1970er Jahren (parallel u.a. zu den ersten Wirtschafts-„Nobel“-Preisen für Hayek und Friedmann), massive Bewerbung durch finanzkräftige Medien – vgl. Richard Lewontin, Steven Rose & Leon J. Kamin, Not in Our Genes: Biology, Ideology, and Human Nature, 1984,  Kap. 9; dt. Die Gene sind es nicht. Biologie, Ideologie und menschliche Natur, 1987)

(Wie bereits angesprochen:) Zwei Ansätze, um diese Arten von Rechtfertigung trotz ihrer logischen Dürftigkeit und (je nach politischer Konjunktur) wechselhafter Wirksamkeit irgendwie durchhalten zu können: einerseits die besonders starre und einschüchternde Pose einer polternden und sich übermächtig aufspielenden Rechthaberei, die Einwände oder Diskussionen über konkretere Begründungen schon präventiv abblockt; andererseits die schon erwähnte Tendenz, vorsichtigere (indirektere, gedämpftere, einen zivilisierten Schein wahrende, andeutungsweise, „bildhaft inszenierende“…) Formen der Rechtferti-gung (oder auch Durchsetzung) zu bevorzugen

Generelle Konsequenz: volatiles (wechselhaftes, flatterhaftes…) Navigieren der großen kapitalistischen Interessensgruppen – u.a. ja nach konjunktureller Stabilität und Krisenhaftigkeit – zwischen offenem und gedämpften (gebremsten) Sozialdarwinismus… d.h. zwischen dem kurzfristigen (schnellstmöglichen) Profitmaximierungszwang und dem längerfristigen eigenen Überlebensinteresse (das teilweise auch durch soziale und auch antikapitalistische Bewegungen im Kapitalismus unterstützt wird)… Keynesianismus als besonders aussagekräftiges Beispiel für die überlebensgeleitete Dämpfung/Bremsung (insitutionelle Kanalisierung des Profitmaximierungsdrangs)…

In letzter Konsequenz bzw. längerfristiger Sicht ist die realpolitische Wirksamkeit der bremsenden Faktoren allerdings zu gering (unzureichend, eher äußerlich…) – trotz der (spätestens seit Mitte des 20. Jahrhunderts deutlich werdenden) existenziellen Bedrohungen für unsere ganze menschliche Zivilisation, die von sozialdarwinistischen Orientierungen und Machtstrukturen ausgehen – auch angesichts der Entwicklung von Massenvernichtungswaffen, der existenziellen Risiken technologischer Unfälle und Entgleisungen und der Zerstörung unserer ökologischen Lebensgrundlagen ist kein ausreichend ernsthaftes Handeln dagegen durchsetzbar…

Das grundlegend sehr volatil-unbeständige (driftende, ambivalente, vielschichtig-widersprüchliche…) Spannungsfeld – zwischen diesen beiden Gegenpolen eines (letztlich auch selbstzerstörerischen) skrupellosen Verdrängungswettbewerbs und einer (auch das längerfristige eigene Überleben immerhin etwas mit-bedenkenden) Sorge um leidlich stabil-zivilisierte politisch-rechtliche Rahmenbedingungen – kann wohl insbesondere anhand von „neuralgischen“ historischen Situationen (Kontexten) eindringlich veran-schaulicht (genauer analysiert, exploriert…) werden, in denen die vom Sozialdarwinismus verursachte Gefährdung des Überlebens unserer Zivilisation besonders akut und eindringlich (kaum noch ableugbar/übersehbar) zum Tragen kommt

Die zwei vermutlich aussagekräftigsten Beispiele des 20. (und beginnenden 21.) Jahrhunderts:

Die großen Zivilisations-Schocks der 1930er und 1940er Jahre

Die globale existenzielle Herausforderung der Klimakatastrophe

 

4.) Die großen Zivilsations-Schocks der 1930er und 1940er Jahre

Weltwirtschaftskrise, faschistische Diktaturen, Zweiter Weltkrieg, Holocaust, Atom-bombe…, die den bislang wohl massivsten Legitimitäts-Rückschlag des Sozialdarwinismus mit sich gebracht haben und insbesondere auch zum Beschluss der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AEMR, am 10.12.1048) durch die UN-Generalversammlung (ohne Gegenstimme, mit 8 Enthaltungen) geführt haben – die diesen Legitimitäts-Rückschlag bereits in der Präambel thematisiert und schon ab Artikel 1 eine unverkennbar entschie-dene Gegenposition verkündet: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Solidarität (Brüderlichkeit) begegnen“… auch weite Teile des rechten Spektrums sahen sich widerwillig veranlasst, dafür zu stimmen – vgl. z.B. Winston Churchill (neben anderen politischen Entscheidungsträgern des britischen Kolonialreichs), der die Gleichheit aller Menschen an Würde und Rechten (völlig zu Recht) als nicht vereinbar mit dem für Kolonialreiche unverzichtbaren Status-Unterschied zwischen kolonisierenden und kolonisierten Völkern erklärte… bezeichnend für eine tiefe Ambivalenz: realpolitisch prekärer Status der AEMR, da nicht einklagbar

Der (u.a.) in der AEMR zum Ausdruck kommende – relative, trotz seiner realpolitischen Beharrungsmacht aber immerhin wirksame – Legitimitäts-Rückschlag für den Sozial-darwinismus kam auch in weiteren historischen Weichenstellungen zum Ausdruck (auch wenn sie de facto teils nur ansatzweise oder äußerlich umgesetzt wurden) – wie der Gründung der Vereinten Nationen selbst, des formalen Verbots von Angriffskriegen, der internationalen Gerichtsbarkeit gegen Verbrechen gegen die Menschheit (nicht „Mensch-lichkeit“, vgl. dazu Hannah Arendts Kritik in Eichmann in Jerusalem), der Dekolonialisierung, der auf Vollbeschäftigung und soziale Absicherung zielenden keynesianischen Wirtschafts-politik, des Sozialstaats der Nachkriegsjahrzehnte, verschiedenen Anstößen zu länger-fristigen emanzipatorischen Entwicklungen (die auch zum atmosphärischen Wandel um 1968 führten) u.ä.m…

Vergleich zum Zeitalter bis 1945: Sogar bis heute noch schwer vorstellbare offen-unverfrorene Hegemonie des Sozialdarwinismus (auch in seinen rassistischen, „rassenhygienischen“, sexistischen, kolonialistischen… Varianten) –  vgl. z.B. Joachim Bauer, Prinzip Menschlichkeit (2007), Kap. 4: Darwins „war of nature“ und das Prinzip der Unmenschlichkeit… die NS-Herrschaft konnte dementsprechend auf einem schon lange vorher in einem breiten Mainstream verankerten ideologischen Bodensatz aufbauen… Die neuere globale rechtsextreme Konjunktur macht diesen allerdings schrittweise erstmals wieder deutlicher vorstellbar…

 

5.) Das Versagen unserer globalen Gesellschaft angesichts der Klimakatastrophe

Die besonders seit Mitte des 20. Jahrhunderts dramatisch zunehmende Zerstörung (auf breiter Front) unserer ökologischen Lebensgrundlagen – wobei die Zerstörung der Klimagleichgewichte zwar „nur“ eine innerhalb einer längeren Reihe ist, aber seit Ende der 1980er Jahre – nach Jahrzehnten sehr hartnäckigen Ignorierens – am meisten öffentliche Aufmerksamkeit gewonnen hat, (vor allem) weil bei ihr eine besonders unerbittliche Dringlichkeit des Gegensteuerns konkret aufgezeigt werden konnte: dass ab relativ genau angebbaren Schwellen der zerstörerischen Entwicklung eine nicht mehr zu stoppende Eskalations-Eigen-Dynamik ausgelöst wird, die schließlich zum Zusammenbruch unserer Zivilisation führen muss… Seit ca. 2008 haben sich dafür die Begriffe „Kipp-Elemente“ und „Kipp-Punkte“ eingebürgert (aber die damit gemeinten Zusammenhänge waren schon sehr lange vorher verstanden worden)… Höchstwahrscheinlich gibt es solche Kipp-Punkte auch bei anderen ökologisch zerstörerischen Entwicklungen (insbesondere der Artenvielfalt) – dort konnten sie aber noch nicht so genau dingfest gemacht werden

Ähnlich wie die existenziellen Schocks der 1930er und 1940er Jahre bringt die zunehmende Zerstörung der Klimagleichgewichte die unübersehbare Überlebensnotwendigkeit aufs Tapet, die herrschenden sozialdarwinistischen Prinzipien ( Zwangsmechanismen…) des gesellschaftlichen Lebens mit aller Konsequenz zu überwinden und uns als globale Gemeinschaft ebenso konsequent zu einer Zusammenarbeit auf der Grundlage von Solidarität, Gemeinwohl und gemeinsam getragener Verantwortung zu verständigen

Vgl. dazu Naomi Klein, Die Entscheidung. Kapitalismus vs. Klima (2015); Sally Weintrobe, Psychische Ursachen der Klimakrise. Neoliberaler Exzeptionismus und die Kultur der Achtlosigkeit (2023, v.a. Teil 8: Achtsame Sorge heute);

Globale Solidarität als nicht mehr aufschiebbare Überlebensnotwendigkeit: Die Klimakrise im Brennpunkt (2021), S. 182, 189ff., 193f., 197f.; Autoritarismus und Arche-Noah-Mentalität in der Klimakrise (2023), S. 117f.

Ähnlich wie u.a. die AEMR brachte die 1992 auf dem „Erdgipfel“ in Rio de Janeiro beschlossene Klimarahmenkonvention – auf deren Grundlage seit 1995 jährliche Konferenzen (vorgeblich) zur Beendigung des menschengemachten Treibhauseffekts abgehalten werden – die Anerkennung dieser Überlebensnotwendigkeit unmiss-verständlich zum Ausdruck – allerdings halt nur im Sinne letztlich leider unverbindlicher („gut gemeint“ wirkender) Formulierungen

Während die AEMR – im damaligen historischen Kontext des deutlichen Legitimitäts-Rückschlag des Sozialdarwinismus – zwar nur eingeschränkt, aber immerhin doch realpolitisch wirksame (tragfähige) Entwicklungen (mit) anstoßen konnte… sind die von der Klimarahmenkonvention angestoßenen Verhandlungen, feierlichen Verkündungen, dramatischen Übungen in „Verantwortungs“-Rhetorik, Verträge, Programme usw. aber radikal wirkungslos – sie konnten den Anstieg des menschengemachten Treibhauseffekts nicht einmal andeutungsweise abmildern (geschweige denn bremsen oder gar umkehren)… Auch nach Ende der 1980er Jahre sind die CO2-Emissionen im langjährigen Trend ebenso schnell weiter angestiegen wie schon in den Jahrzehnten zuvor. Nachdem sie von 1950 bis 1995 von 5,9 auf 23,3 Gt (Gigatonnen = Milliarden Tonnen) angestiegen waren, steigerten sie sich bis 2024 auf den bisherigen Rekord von 37,4 Gt… Nach Berechnungen des UN-Umweltprogramms wäre im Gegenteil eine sofortige scharfe Kehrtwendung notwendig, bei der die Emissionen um jährlich mindestens 7% sinken müssten… Inzwischen sieht sich sogar kein Geringerer als UN-Generalsekretär António Guterres wiederholt zu Erklärungen wie der folgenden (zum Auftakt der 27. Klimakonferenz 2022) gezwungen: „Wir sind auf einer Schnellstraße zur Klimahölle und haben unseren Fuß immer noch auf dem Gas-pedal“… oder z.B. Hans-Joachim Schellnhuber („Terra X“, ZDF, 20.10.2019): „Ich sage Ihnen, dass wir unsere Kinder in einen globalen Schulbus hineinschieben, der mit 98-prozentiger Wahrscheinlichkeit tödlich verunglückt“… Ähnlich wie die AEMR: realpolitisch zahnloser Status der Klima-Abkommen: vorgeblich „verbindlich“, aber nicht einklagbar…

Die Wirkungslosigkeit der Klimaverhandlungen hängt entscheidend mit dem Hintergrund zusammen, dass der Sozialdarwinismus mit dem Aufstieg des „Neoliberalismus“ seit den 1970er Jahren (und zusätzlich seit dessen Zuspitzung im Mafia-Kapitalismus seit den 2000/2010er Jahren) wieder zunehmend hegemonialen Status zurückgewinnen konnte… Hauptthese Naomi Kleins: die Tragik der zeitlichen Übereinstimmung des massiven „neoliberalen“ Vormarsches mit dem Eintritt der Klimakatastrophe auf die Bühne der globalen Öffentlichkeit

Geisterfahrt in die Klimakatastrophe (2025), S. 4-6; Entgleisungen des wissenschaftlichen Wirklichkeitssinns im Angesicht der Klimakrise (2022), S. 6-7: Klimakonferenzen als gerade-zu surrealistisch-unverfrorene Mogelpackung – wozu die politisch Verantwortlichen ebenso beitragen wie die Konzerne, deren riesige Profite von der Verbrennung von Öl, Gas und Kohle abhängen, das Konsumverhalten der kaufkräftigeren Teile der Weltbevölkerung, das peinliche Beschönigen der Lage durch die Mehrheit der Klimaforschenden und die brachiale Propaganda der Klimaleugnungs-Lobbys

Die weite Abgehobenheit der UN-Klimaverhandlungen von der physikalischen Wirklichkeit kann man allein schon an einem breiten Arsenal „kreativer“ Buchfuhrungsmethoden ermessen, durch die maßgebliche Beitrage zur Klimaerhitzung ausgeklammert bleiben — wie z.B. der gesamte in den „Zwischenraumen“ der Nationalstaaten stattfindende Flug- und Schiffsverkehr, das Verbrennen von Wäldern und Biomasse, vom Militar verursachte Emissionen oder mithilfe undurchsichtiger „Kompensations“-Modelle kleingerechnete Beiträge massiv emittierender Industrien. Ahnlich „kreativ“ ist auch die Erwartung – im Zusammenhang der Rhetorik der „Netto-Null“-Emissionsziele –, der Erdatmosphare durch neue Technologien („Carbon Capture and Storage“/CCS u.ä.) einen großen Teil des bereits ausgestoßenen CO2 wieder entziehen zu konnen — wahrend dies bisher lediglich in mikroskopisch kleinem Maßstab gelungen ist und (was unter auch nur mäßig Eingeweihten unweigerlich bekannt sein muss) keinerlei realistische Aussicht besteht, derartige Methoden in absehbarer Zeit breitenwirksam einsetzen zu konnen

In ihrer radikalsten Auspragung erweist sich die Ferne der Klimaverhandlungen von der physikalischen Realität aber an der Blockierung jenes Anliegens, das von Anfang an im Zentrum gestanden haben müsste: eines schnellstmöglichen Ausstiegs aus der Gewinnung von Öl, Gas und Kohle. Mächtigen Interessengruppen war es bereits vor dem Beginn der jährlichen Konferenzen gelungen, dieses Thema auf Jahrzehnte hinaus aus den Verhand-lungen herauszuhalten (erst bei der 26. Klimakonferenz in Glasgow 2021 wurde es überhaupt – erfolglos – aufs Tapet gebracht)… Wie sehr die Verhandlungen dadurch auf ein absurdes Theater reduziert werden, kann man auch am bitteren Kommentar George Monbiots ermessen, dass Hunderte von hochgebildeten und -bezahlten Menschen in den Abschlussversammlungen „sich selbst zu Tode beklatschen“, da die Klimakonferenzen sie dazu antreiben, ihre Lebenszeit einer Fata Morgana zu opfern…

Unter den Vorzeichen der „neoliberal“-mafiakapitalistischen Entwicklung – wie auch des damit einhergehenden Leerlaufs der Klimaverhandlungen – tendiert das unbeständig-wechselhafte Spannungsfeld zwischen gemäßigt-rechten (verschämt-höflich-verkappten) und extrem-rechten (offen-arrogant-aggressiven) Versionen des Sozialdarwinismus dazu, nach und nach zu verschwimmen – wobei die gemäßigteren den extremeren Richtungen zunehmend in die Hände spielen bzw. in sie „hineinschlittern“… da die sich äußerlich als „gut gemeint“ vermarktenden Klimaverhandlungs-Bemühungen der Gemäßigteren von vornherein zum Scheitern verurteilt sind (was die daran Beteiligten insgeheim wissen und nach außen doch gleichzeitig schönzureden versuchen – wie u.a. der führende Klima-forscher Kevin Anderson beklagt), bereiten sie den Extremisten den Boden – die diese Bemühungen offen verachten und torpedieren (bzw. auch aus den Verhandlungen aussteigen) und die Klimakatastrophe so brachial zu verleugen versuchen wie dies trotz des brachialen Vordringens ihrer Realität noch irgend möglich scheint

Symptomatisch dafür: Tendenz zu einem immer unverhohleren (demonstrativen) Zynismus u.a. bei den Klimagipfeln – z.B.: Die Vorsitzenden der 28. und 29. Klima-konferenzen (2023 und 2024) in Dubai und Baku waren (der derzeitige bzw. vormalige) Generaldirektor der nationalen Ölgesellschaften, die die internationalen Kontakte der Konferenzen sogar noch nutzten, um neue Öl- und Gasabkommen einzufädeln… Der aserbaidschanische Präsident Ilham Alijew konnte anlässlich der 29.Klimakonferenz gar noch verkünden, dass Öl und Gas „Geschenke Gottes“ seien… Zum Anlass der 30. Klimakonferenz (2025, Belém) wird eine 4-spurige Autobahn durch naturgeschütztes Regenwaldgebiet gebaut…

George Monbiot, Picture an all-seeing eye scanning the dying Earth – and then lighting on our ‘solutions’ at Cop29 (The Guardian, 15.11.2024) zum Ergebnis der 29. Klimakonferenz (www.theguardian.com/commentisfree/2024/nov/15/dying-earth-cop29-azerbaijan-species): „… an all-seeing eye in the sky, looking down on planet Earth… concludes that this is a species, beset by a lethal combination of conformity, distraction and a fear of offending powerful interests, actively collaborating in its own extinction…“

Dieser brachiale Zynismus kommt auch in einer Tendenz zur psychotischen Verwahrlosung im Umgang mit der Wirklichkeit (à la Orwell’sches „Zwiedenken“) zum Tragen, für die „Killer-Clowns“ wie Donald Trump, klimaleugnende „Denkfabriken“ oder diverse Silicon Valley Tech-Milliardäre symptomatisch sind… und in der es kaum noch Schamgrenzen zu geben scheint, selbst noch so fadenscheinige, widersprüchliche, hetzerische oder betrügerische Behauptungen in die Welt zu setzen

Autoritarismus und Arche-Noah-Mentalität in der Klimakrise (2023), S. 119-124; Die Klimakrise im Irrgarten unserer „perversen Kultur“ (in Klimakrise und Gesundheit, 2022); Entgleisungen des wissenschaftlichen Wirklichkeitssinns im Angesicht der Klimakrise (2022)

Als nahezu idealtypische Beispiele für die gemäßigt-verkappten und extrem-arroganten Versionen des Sozialdarwinismus – im Zusammenhang der Klimakatastrophe – kann man die angebliche „Klimakanzlerin“ (und Umweltministerin/Ausrichterin des ersten Klima-gipfels in Berlin 1995) Angela Merkel und den offen-brachialen Klimakiller Donald Trump gegenüberstellen… Besonders bezeichnend für die diesbezüglichen Gegenpol-Positionen: Merkels schockierte Abneigung (vgl. ihre Memoiren) gegen Trumps unverfrorene Haltung, eigene Interessen durch eine Schädigung (Unterdrückung…) anderer Interessen durch-setzen zu wollen… In ihrer viel zivilisierteren, höflicheren und persönlich angenehmeren Art – die nach außen hin vorgibt, dem Wohl aller dienen zu wollen – hat Merkel allerdings als extrem durchsetzungsfähige Lobbyistin der deutschen Automobil- und Energiekonzerne de facto das gleiche Prinzip verfolgt (vielleicht subjektiv auch etwas widerwillig) und damit mehr als fast alle anderen Politiker:innen der Welt zur Klimakatastrophe beigetragen (vgl. George Monbiot, The Smog Chancellor, The Guardian, 20.09.2017, www.monbiot.com/2017/09/21/the-smog-chancellor/)

Wohl besonders aufgrund ihrer entschiedenen kritischen Distanz zur psychotischen Verwahrlosung des Wirklichkeitssinns beider Gegenpole wurde Greta Thunberg (bzw. die von ihr initiierte Bewegung) bezeichnenderweise vom brachialen Klimakiller Peter Thiel mehrmals mit dem in der biblischen Apokalypse prohezeiten Antichrist verglichen, da sie (wie auch in der biblischen Erzählung beschrieben wird) „eine irreführende Botschaft von Frieden und Sicherheit“ verkünde – was Naomi Klein & Astor Taylor in The rise of end times fascism mit apokalyptischen Ängsten Thiels und gleichgesinnter Milliardäre in Verbindung bringen, dass solidarische Regulierungen ihre riesigen Profite schmälern könnten

Während der Rechtsextremist Thiel Thunberg als Antichrist dämonisiert, diffamieren sie aber auch (relativ) gemäßigtere Stimmen mit unredlichen „Antisemitismus“-Vorwürfen und speziell auch der unverfrorenen Lüge, sie hätte kein Mitgefühl für die israelischen Opfer der Hamas-Angriffe des 7. Oktober 2023 geäußert – wofür sich z.B. sogar Luisa Neubauer in einem „Zeit“-Interview (30.10.2023) instrumentalisieren ließ (www.zeit.de/zeit-magazin/leben/2023-10/luisa-neubauer-greta-thunberg-israel-gazastreifen) oder sich nicht einmal die „taz“-Redakteurin Susanne Knaul zu schade war (https://taz.de/Greta-Thunbergs-Soli-Aktion-mit-Gaza/!6088553/)

Greta Thunberg, Das Klimabuch (2022), S. 332ff.: „Im heutigen Wirtschaftssystem können wir nicht nachhaltig leben. Aber man sagt uns ständig, wir könnten genau das tun. Wir könnten auf nachhaltigen Autobahnen nachhaltige Autos, betrieben mit nachhaltigem Treibstoff fahren. Wir könnten nachhaltiges Fleisch essen und nachhaltige Erfrischungs-getränke aus nachhaltigen Plastikflaschen trinken. Wir könnten nachhaltige Fast Fashion kaufen und mit nachhaltigen Treibstoffen in nachhaltigen Flugzeugen fliegen. Und natürlich werden wir auch ohne die geringsten Anstrengungen unsere kurz- und langfristigen Klimaziele einhalten. ‚Wie?‘, mag man fragen. (…) Was werden wir tun? Nun ja, die Antwort ist dieselbe wie immer: Wir betrügen. Wir nutzen sämtliche Schlupflöcher und alle Mittel kreativer Buchführung, die wir seit der ersten Klimakonferenz COP1 1995 in Berlin in unseren Klimarahmenwerken erfunden haben. Wir verlagern unsere Emissionen zusam-men mit unseren Fabriken ins Ausland, manipulieren Basiswerte und fangen an, unsere Emissionsreduzierungen zu zählen, wann es uns am besten passt. Wir verbrennen Bäume, Wälder und Biomasse, da sie aus den offiziellen Statistiken entfernt wurden. Wir speichern Jahrzehnte an Emissionen in der Infrastruktur für fossiles Gas und nennen es grünes Gas. Und den Rest kompensieren wir durch vage Aufforstungsprojekte (…), während wir gleichzeitig unsere letzten Primärwaldbestände noch schneller abholzen. (…) Unsere sogenannten Führungskräfte glauben immer noch, sie könnten mit der Physik und den Naturgesetzen verhandeln. (…) Sie lesen den Meereswellen Börsenberichte vor wie Narren.“

 

6.) „Survival of the Richest“: Der Aufstieg apokalyptischer (zunehmend extremistisch-expliziter) Varianten des Sozialdarwinismus

Der trotz allem psychotischen Verlust des Wirklichkeitssinns kaum noch verkennbare Kurs auf einen zunehmend beschleunigten Nieder- und Untergang unserer ökologischen (klimatischen) Lebensgrundlagen begünstigt den Aufstieg brachial-apokalyptischer Prepper-Intitiativen (Gruppen, Organisationen…) insbesondere – aber nicht nur – unter der obersten globalen Geld- und Macht-Elite… Im Zuge einer existenziellen Verschärfung der sozialdarwinistischen Orientierung bildet sich eine Art „Arche-Noah-Mentalität“ (Sally Weintrobe) heraus, mit der diese Gruppen sich auf das von ihnen selbst (beschleunigt) herbeigeführte Ende der Welt vorbereiten wollen – im wahnhaften Glauben, selbst zu einer kleinen Minderheit von Auserwählten zu zählen, die dieses Ende mit ihren riesigen Geldvermögen und verschiedenen technischen Wundermitteln überleben können: in massiven Luxusbunkern, in abgekapselten, von Privatmilizen bewachten Kleinräumen (gated communities, Kleinstädten…), in auf den Ozeanen schwimmenden Kleinstaaten, auf kleineren und größeren Inseln (u.a. Neuseeland, Grönland…), und vor allem auch im Weltall (Mars, Mond, Riesenraumschiffe…) – worauf sich besonders Elon Musk, Jeff Bezos oder Richard Branson orientieren… (auch wenn z.B. bereits zwei milliardenschwere Experimente mit strikt abgeschirmten Lebenssphären unter angeblich mars-ähnlichen Bedingungen auf der Erde katastrophal gescheitert sind)

Für eine größere Minderheit, der zwar die riesigen Geldmittel der globalen Apokalypse-Elite fehlen – die aber dennoch glaubt, sich als rassisch, national, religiös, politisch o.ä. auserwählt definieren zu dürfen – bieten sich immer noch die Wahngebilde von zu Bunkern umfunktionierten Nationalstaaten an (vgl. z.B. Naomi Klein & Astra Taylor, The rise of end times fascism; Sally Weintrobe, Psychische Ursachen der Klimakrise, Kap. 34: Noahs Arche im Stil des 21. Jahrhunderts)… für solche ärmeren Arche-Noah-Gläubigen – wie die MAGA-Gefolgschaft – liefert z.B. Steve Bannon tägliche Prepper-Botschaften, die auch mit ständigen „praktischen“ Produkt- und Dienstleistungs-Angeboten unterfüttert werden (etwa zum Anlegen von großen Instant-Mahlzeit-Reserven oder Training für zielgenaueres Schießen)…

Technologische Allmachtswahn-Phantasien verbinden sich dabei auch zunehmend mit religiösen (apokalyptischen) Wahnsystemen – besonders von der „Great Rapture“ („Himmelfahrt“), zu der sich auch etliche Mitglieder der Trump-Regierung offen bekennen (Mike Huckabee, Pete Hegseth, Kristi Noem, „Projekt 2025“-Autor Russell Vought…) – und was speziell auch im Umstand prominent zum Tragen kommt, dass sich „tech bros“ zunehmend mit „theo bros“ verbinden (Klein/Taylor) bzw. eine Reihe führender Silicon Valley Tech-Milliardäre (und ihr Anhang) sich von Sekularisten zu religiösen Fundamenta-listen gewandelt haben (z.B. Peter Thiel, J.D. Vance…), die erklären, „Jesus gefunden“ zu haben – wobei dies allerdings kaum jener Jesus gewesen sein kann, der erklärt haben soll, dass „leichter ein Kamel durch ein Nadelöhr geht als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt“…

Joachim Bauer, Realitätsverlust. Wie KI und virtuelle Welten von uns Besitz ergreifen und die Menschlichkeit bedrohen (2023), Kap. 4: Realitätsverlust in Vollendung: Die Techno-Religion des Transhumanismus

Transhumanismus als besonders kurios-aufschlussreicher Brennpunkt einer starken Konvergenz zwischen technologischem und religiösem Allmachtswahn in den apokalypti-schen Überlebensprojekten der Silicon Valley Tech-Milliardäre: Da Menschen (bzw. überhaupt Lebewesen) als technische Maschinen begriffen werden, werden Phantasien entwickelt, durch technische Perfektionierung Unsterblichkeit erlangen zu können – u.a. durch den schrittweisen Ersatz von Nervenzellen mit Computer-Chips, durch genetische Eingriffe und biologisch-medizinische Manipulationen, die den Körper von Krankheit befreien und Alterungsprozesse sogar umkehren sollen (was u.a. von Peter Thiel propagiert wird) – oder auch ein „Mind Uploading“, d.h. ein „Hochladen“ quasi des „gesamten eigenen Geistes“ auf einen Supercomputer (was u.a. von Ray Kurzweil prominent befür-wortet wird): In diesem Fall soll der körperliche Mensch also gar mit einer unsterblichen digitalen Simulation (bzw. künstlichen Superintelligenz) ersetzt werden – was ja auch religiösen Vorstellungen von einer Seele entspricht, die auch außerhalb bzw. unabhängig vom Körper existiere… Der transhumanistische Philosoph David Chalmers bezeichnet die virtuelle Welt denn auch als „Himmel“… und bedeutende (Be-)Förderer transhumanisti-scher Projekte – Musk, Thiel, Zuckerberg, Altman, Kurzweil, Chalmers, Bostrom u.a. – werden bezeichnenderweise manchmal auch als „digitale Kardinäle“ tituliert…

Eindrucksvolle Veranschaulichung des transhumanistischen Weltbilds in David Chalmers’ Buch Reality+ (2022): Spekulation, dass unsere analoge Welt selbst bloß eine Simulation sei, die von einer anderen digitalen Welt erzeugt und gelenkt werde… eskapistische Vision einer im Jahr 2095 (z.B. durch Klimakollaps oder Atomkrieg) unrettbar zerstörten Biosphäre der Erde – verbunden mit der „Einladung“, den eigenen physischen Körper in einem gut geschützten Lagerhaus verschließen zu lassen und danach nur noch in einer virtuellen Welt weiterzuleben…

Klein/Taylor: Im Vergleich zu früheren faschistisch-sozialdarwinistischen Heilsversprechen fehlt bei den heutigen apokalyptischen Rettungsvisionen die Aussicht auf eine glorreich-harmonische Zukunft (nachdem die großen Feindbilder erst einmal gnadenlos beseitigt sein würden)… Dies spiegelt ein mindestens unbewusst rumorendes Wissen um eine eskalierende eigene Hilflosigkeit, die neben den eben umrissenen Allmachtsphantasien auch durch einen ausufernden Sadismus (notdürftig) kompensiert werden – d.h. durch ein Nach-außen-Wenden der inneren Hilflosigkeit: Andere zu verängstigen, zu quälen und hilflos zu machen, kann die kurzlebige Illusion nähren, selbst vor Angst und Hilflosigkeit gefeit zu sein – wobei gerade auch ihre Kurzlebigkeit zu einer Sucht nach Steigerungen dieses wahnhaften Hochgefühls führen kann… vgl. z.B. auch Globale Solidarität als nicht mehr aufschiebbare Überlebensnotwendigkeit: Die Klimakrise im Brennpunkt (in: Krise!, 2021, ab S. 192) – führender Klimaleugnungs-Lobbyist Marc Marano: „Wir sollten die Klimawissenschaftler treten, solange sie am Boden liegen. Sie haben es verdient, öffentlich ausgepeitscht zu werden“…

Dazu passt auch ein deutlicher Trend zu immer unverhohlener grausamen Inszenierungen seitens der Trump-Regierung – bei dem etwa festgenommene Immigranten öffentlichkeits-wirksam in Handschellen abgeschoben werden, sich die Heimatschutz-Ministerin Kristi Noem mit Fototerminen vor einer überfüllten Zelle des berüchtigten Cecot-Gefängnisses in El Salvador oder mit schwingendem Maschinengewehr bei der Festnahme von Migranten in Arizona ablichten lässt, oder ein geplantes Gefangenenlager in den Everglades-Sümpfen von Florida mit einer KI-generierten Illustration unter dem Titel „Wir kommen!“ angekün-digt wird, in der mehrere Alligatoren ICE-Kappen tragen. Trump ging sogar so weit, sich öffentlich an von ihm vorgestellten Todesängsten von Gefangenen zu ergötzen, die in den Sümpfen vor Schlangen oder Alligatoren zu fliehen versuchen würden (https://www.youtube.com/shorts/_w1kD-jsxNs)…

Unerhört grelles Schlaglicht auf den Aufstieg apokalyptischer Varianten des Sozial-darwinismus: „Explosiver“ Bericht des weltweit anerkannten Medienwissenschaftlers und Digital-Ökonomen Douglas Rushkoff – der dennoch nur eher beschränkte öffentliche Aufmerksamkeit auf sich ziehen konnte

Douglas Rushkoff, Survival of the Richest: Escape Fantasies of the Tech Billionaires (2022); Survival of the Richest: The wealthy are plotting to leave us behind (Medium, 05.07.2018);

vgl. auch Globale Solidarität als nicht mehr aufschiebbare Überlebensnotwendigkeit: Die Klimakrise im Brennpunkt, S. 181 und S. 194; Autoritarismus und Arche-Noah-Mentalität in der Klimakrise, S. 125

2017: Rushkoff, der trotz seiner kritisch-fortschrittlichen Orientierung wegen seiner anerkannten Fachkompetenz häufig von Finanzmarkt-Investoren zu Vorträgen eingeladen wird, erhielt eine Einladung zu einem außergewöhnlich gut honorierten Referat über „die Zukunft der Technologie“ in einem abgelegenen Luxusanwesen… Statt eines von ihm erwarteten größeren Publikums wurde er von lediglich fünf Finanzmarkt-Milliardären zu einer heimlichen Zusammenkunft empfangen, in der sie Rushkoff befragten, wie sie sich nach dem bereits als unabwendbar betrachteten Zusammenbruch der ökologischen Lebensgrundlagen der Erde möglichst effizient vom ärmeren Rest der Menschheit abschirmen, d.h. in technologisch perfektionierten Bunkern, Privatinseln o.ä. überleben könnten… Nach und nach dämmerte es Rushkoff, „dass sie nicht mein Wissen, sondern meine moralischen Skrupeln testeten“…

2018: Rushkoff publizierte einen Bericht über diese Zusammenkunft in der Zeitschrift „Medium“ – und erhielt darauf relativ viele Anfragen von Unternehmen, die für Katastrophen-Prepper wie diese Milliardäre spezialisierte Produkte und Dienstleistungen anbieten (und ihn um Kundenvermittlung ersuchten)… 2022 legte Rushkoff mit einer wesentlich weiter ausholenden Buchveröffentlichung nach, die 2025 auch in deutscher Sprache erschien (vgl. z.B. auch https://www.zdf.de/play/talk/sternstunde-philosophie-102/sternstunde-philosophie-188)

Die fünf Teilnehmer an der Zusammenkunft – eher typische Vertreter des „Silicon- Valley-Eskapismus“ – gingen von der Unvermeidlichkeit des Zusammenbruchs der Biosphäre aus und zielten darauf, alle ihnen zugänglichen finanziellen und technologischen Mittel für die eigene Rettung in einem strikt abgeschirmten Raum einzusetzen… Da sie sich eher am unteren Rand der globalen Milliardärskaste einstuften, sahen sie für sich nur geringe Chancen auf Sitzplätze in einer von Elon Musk zum Mars zu schickenden Rakete… Eine ihrer Hauptsorgen betraf die Zuverlässigkeit des Wachpersonals ihrer geplanten Bunker, das daher vielleicht besser durch Roboter ersetzt werden sollte… Auf Rushkoffs prosoziale Vorschläge in die Richtung einer besseren Vertrauensgrundlage im Verhältnis zum Wachpersonal reagierten sie verächtlich… Allgemeiner wurden sie von einer Verleugnung der grundsätzlichen Abhängigkeit von menschlicher Arbeit geleitet, die mit der Wahnphantasie einer vollständigen Robotisierung aller Arbeitsprozesse und einem entsprechenden magischen Glauben an technische Wunderlösungen einherging…

Zentrale Argumentation Rushkoffs: Ein konsequent abgeschirmtes (Über-)Leben in isolierten Kleinräumen ist nicht erreichbar… Das Ausmaß der technologischen Abhängigkeiten von Lieferketten und Dienstleistungen ist an isolierten Orten (Inseln, Bunkern…) sogar noch stärker als in großen industriellen oder urbanen Ballungsräumen… Es gibt auch keine noch so einsamen Orte auf der Erde, die nicht massiv von den ökologischen Zerstörungen erfasst würden („everything gets everywhere“)… Ein längeres Überleben außerhalb der Erde ist so gut wie sicher unmöglich… Der Milliardärs-Bunker ist keine gangbare Strategie für die Apokalypse, sondern eine Metapher für die abspaltende (dekontextualisierende) Haltung zum Leben, die mit der radikalen Kommerzialisierung fast aller Lebensbereiche einhergeht und alle Bedingungen/Handlungen auf Geld bzw. Kapitalverwertung reduziert…

Diese abspaltende Haltung geht Hand in Hand mit der (auch) von Naomi Klein & Astra Taylor (The rise of end times fascism) beschriebenen offenen Verweigerung und Verachtung unter Silicon Valley Tech-Milliardären für jeden Anspruch, dass es aufgrund unserer gemeinsamen Menschlichkeit irgendeine Verpflichtung zu Fürsorge (Solidarität, Hilfe) füreinander gibt… was u.a. in Elon Musks Erklärung in voller Schärfe zum Tragen kommt, dass Empathie „die grundlegende Schwäche der westlichen Zivilisation“ sei – oder auch in J.D. Vances (von Papst Leo XIV. übrigens kritisierten) „christlichem“ Verständnis eines Liebesgebots, das nicht für die Menschen außerhalb des eigenen Bunkers gelten dürfe – ein Verständnis, das wenig überraschend ähnlich auch schon von Hitler zum Ausdruck gebracht worden war

Insoweit es noch hoffnungsträchtige Aussichten auf eine Vermeidung – und wenigstens Hinauszögerung – der sozialdarwinistisch angetriebenen Apokalypse gibt, liegt sie in der klaren Gegenrichtung gegen Abkapselungen in Bunkern (ob nun in Luxusbunkern Superreicher oder in fremdenfeindlichen Nations-Bunkern)… d.h. in der konsequenten und realpolitisch umgesetzten Anerkennung der Tatsache, dass wir uns in einer immer dichter zusammenwachsenden Welt (letzten Endes) alle im selben Boot befinden, das wir entweder gemeinsam seetüchtig erhalten – oder in dem wir sonst gemeinsam untergehen… wie dies z.B. der Redakteur des Nachrichtenmagazins „New York“ David Wallace-Wells (dessen Klimareportagen Millionen von Menschen aufgerüttelt haben) sinnfällig zum Ausdruck bringt: „Wenn man sich eine Gefahr ausdenken müsste, die riesig genug und global genug wäre, um einen überzeugenden Anstoß zu einer echten internationalen Zusammenarbeit zu liefern – der Klimawandel wäre dies: die Gefahr, die überall, überwältigend und total ist“…

Ein solcher Anstoß zu einer Gegenbewegung gegen die Abkapselung in Bunkern sollte u.a. auf die Chancen eines globalen Weckrufs setzen, der sich aus der Bewusstmachung der existenziellen Bedrohlichkeit der aktuellen apokalyptischen Varianten des expliziten Sozialdarwinismus ergeben sollte… Solche Chancen können auch eher zum Tragen kommen, wenn sie von einer konsequenten Kritik und Bekämpfung auch der impliziten Varianten des Sozialdarwinismus begleitet werden, die den breiteren kulturellen Humus für die expliziten Varianten bilden…

Angesichts der inzwischen leider sehr hohen Wahrscheinlichkeit, dass die Zerstörung der ökologischen Lebensgrundlagen unserer Zivilisation nicht mehr abwendbar ist, können wir uns aber immer noch (oder auch umso mehr) um sehr wesentliche Anliegen bemühen: 1. um eine Verlangsamung der Zerstörungsprozesse; 2. um eine Linderung der mit ihnen verbundenen Leiden (quasi eine „Palliativmedizin für unsere sterbende Zivilisation“); 3. um eine Abwehr der mit der zunehmenden Bunker-Mentalität einhergehenden autoritären Brutalisierungstendenzen; 4. um einen offeneren (weniger verdrängenden, konstruktiveren) Umgang mit der Realität unserer Sterblichkeit, was uns zu größerer Nähe zu uns selbst und damit zu einer klareren und feineren Wahrnehmung dessen verhelfen kann, was wir im Leben als sinnvoll und lebenswert empfinden (vgl. u.a. die sog. „Terror Management Theory“ von Sheldon Solomon, Jeff Greenberg und Tom Pyszczynki)

Im Sinne dieses letzten Anliegens berichtet z.B. die Psychotherapeutin und Mitgründerin der Basisbewegung The Climate Mobilization, Margaret Klein Salamon, über den Wendepunkt in ihrem Leben, an dem sie sich der Realität der Klimakrise so weit öffnen konnte, dass sie „die Angst und den Schmerz, die ich verdrängt hatte, nun durch und durch spüren konnte. Es kam mir vor, als ob die Welt über mir zusammenbrechen würde. Ich empfand es aber auch als zutiefst befreiend. Endlich sah ich der Trauer, der apokalyptischen Angst, der Wut und der Schuld ins Auge, die zu verleugnen ich mir so große Mühe gegeben hatte. Statt sie in einen Winkel meines Bewusstseins zu verbannen, von wo sie mir dennoch weiter zugesetzt hatten, stellte ich diese Gefühle nun klar in den Mittelpunkt und behandelte sie — und damit auch mich selbst — mit tieferem Verständnis.“ (Margaret Klein Salamon & Molly Gage, Facing the Climate Emergency: How to Transform Yourself with Climate Truth, 2020)

Sally Weintrobe beschreibt eine Reihe schockierender Einsichten, von denen Menschen überfallen werden, wenn sie sich aus der konformistischen Atmosphäre der Klimakrisen-Verharmlosung befreien können. Während unsere seicht-konsumistische Kultur die narzisstische Illusion bedient, uns als unverletzbar zu phantasieren, wird nun im Gegenteil erschreckend klar, „dass die meisten derzeitigen politischen Führer auf eine Zerstörung der Ökosysteme hinsteuern. (…) Wir erkennen, dass wir verletzbar, abhängig, ungeschützt und schwach sind (…). Der Tod wird plötzlich als näher und wirklicher empfunden.“ Trotz dieser erschütternden Einsichten „ist es aber auch eine zutiefst erfüllende und kraftgebende Erfahrung, aus einem kollektiven psychischen Rückzug von der Realität aufzutauchen und die wirklichen Verhältnisse zu erkennen. Sie bringt uns mit unserem lebendigen Anspruch auf Bedingungen in Berührung, die das Leben aufrechterhalten und es zukunftsfähig machen (…). Sie bringt uns dazu, neu zu überdenken, was das Leben lebenswert macht.“ Aus der kollektiven „Blase“ der Klimakrisen-Verharmlosung herauszutreten „macht es uns möglich, die Kraft und Schönheit in den ineinandergreifenden Systemen zu sehen, die das Leben erhalten, aber auch ihre Zerbrechlichkeit und die Notwendigkeit, durch die Gestaltung unseres Lebens ihre Grenzen zu respektieren.“ (Sally Weintrobe, Psychological Roots of the Climate Crisis: Neoliberal Exceptionalism and the Culture of Uncare, 2021)