Auf der Webseite der 4. Internationale ist die am 18. Weltkongress der Vierten Internationale (23.-28. Februar 2025) mehrheitlich angenommen Resolution zur Ukraine sowie ein von einer Reihe von Delegationen vorgelegte alternative Resolution, die keine Mehrheit fand, veröffentlicht (https://fourth.international/en/world-congresses/874/europe/673).
Die SOAL unterstützt die alternative Resolution, die maßgeblich von der spanischen Organisation Anticapitalistas ausgearbeitet wurde. Wir veröffentlichen deshalb hier diese Alternativresolution in einer deutschen Übersetzung.


Um eine sinnvolle solidarische Orientierung gegenüber den arbeitenden Menschen der Region zu haben und unsere Tradition des Antiimperialismus und der Klassenunabhängigkeit aufrechtzuerhalten, muss der Krieg in der Ukraine in seinem geopolitischen und historischen Kontext auf der Grundlage einer rigorosen materialistischen Analyse der Fakten, die zu ihm geführt haben, verstanden werden, um falsche Darstellungen und voreilige Schlussfolgerungen zu vermeiden. Ausgehend von diesen Prämissen besteht das Ziel dieser Entschließung darin, eine alternative Orientierung zu derjenigen zu entwickeln, die unsere Strömung seit 2022 verfolgt.

Seit der ersten Fassung dieser Resolution haben dramatische Entwicklungen unsere allgemeine Analyse bestätigt. Am 12. Februar telefonierte Trump mit Putin und kündigte an, dass es zu Friedensgesprächen kommen werde. Anschließend traf sich US-Außenminister Marco Rubio mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow in Saudi-Arabien, um den Prozess der Aufteilung der Ukraine einzuleiten. Sowohl die ukrainische Regierung als auch die EU wurden mit dem Ausschluss aus diesem Prozess gedemütigt.

In unglaublicher Weise machte Trump Zelensky für die Auslösung des Krieges verantwortlich. Er forderte 50 Prozent der ukrainischen Rohstoffe, ohne im Gegenzug auch nur die geringste Sicherheitsgarantie anzubieten. Mehrfach weigerte er sich, eine Zusage für die Beteiligung der Ukraine an den bald beginnenden formellen Friedensgesprächen abzugeben. Zusammen mit Israel und Russland stimmten die USA gegen die Verurteilung der russischen Invasion in der Ukraine.

So sieht die neue Weltordnung aus, wie sie Trump vorschwebt – in der die so genannte „internationale, auf Regeln basierende Ordnung“ der Nachkriegszeit zerschlagen werden soll. Trumps Kalkül wird an dieser Stelle offensichtlich von zwei Momenten beherrscht – zum einen geht es ihm um eine Neuausrichtung auf den wichtigsten Rivalen der USA, China, und zum anderen will er die Erwartungen seiner Wähler:innenschaft erfüllen.

Wenn er zustande kommt, wird es sich um einen zwischenimperialistischen Frieden handeln, so wie der Krieg nicht nur ein legitimer ukrainischer Kampf gegen eine Aggression war, sondern auch ein zwischenimperialistischer Stellvertreterkrieg. Er wird darauf beruhen, dass ein großer Teil des Territoriums an Russland und Ressourcen an seltenen Erden an die USA abgetreten werden.

Die Tatsache, dass die neue Haltung der US-Regierung wahrscheinlich zu einem Ende des Krieges führen wird, unterstreicht nur den Stellvertretercharakter dieses Konflikts. Ohne die aktive Unterstützung der USA werden Zelensky und seine Regierung – völlig unabhängig von ihrem eigenen Willen – nicht in der Lage sein, weiter zu kämpfen. Sie werden sicherlich gezwungen sein, sich trotz ihrer Einwände mit einem demütigenden Frieden abzufinden.

Der Gedanke, dass wir als Reaktion auf diese Entwicklung Forderungen an die Trump-Administration stellen sollten, weiterhin Waffen in die Ukraine zu liefern, ist absurd. Damit würden wir uns auf die Seite des kriegerischsten Teils der Kapitalistenklasse im Westen stellen.

Stattdessen müssen wir die schändliche Aufteilung der Ukraine durch die USA und Russland anprangern und unsere Agitation auf die Unterstützung der Menschen in der Ukraine mit Methoden der Arbeiter:innenklasse konzentrieren. Wir sollten unsere Forderung nach einem Erlass der ukrainischen Schulden verstärken. Wir sollten uns aktiv gegen die Versuche Russlands und der USA wenden, die natürlichen Ressourcen der Ukraine zu stehlen. Wir sollten versuchen, unsere Beziehungen zu ukrainischen Gewerkschafter:innen, linken Aktivist:innen und anderen zu vertiefen. Wir sollten versuchen, Bewegungen gegen den Prozess der europäischen Militarisierung aufzubauen, der jetzt wahrscheinlich noch beschleunigt werden wird.

Die lange Dynamik der Stagnation, die sich seit der Großen Rezession von 2007–2008, die in den großen imperialistischen Zentren ihren Anfang nahm, hingezogen hat, die zusätzlichen Auswirkungen der Pandemie und die Veränderungen im internationalen Kräfteverhältnis, die sich aus der Verlagerung der großen Zentren der Wertproduktion in den Süden und Osten ergeben, sowie die Erschöpfung der Dynamik der Finanzialisierung als Mechanismus zur Abschöpfung von Profiten mit geringer oder gar keiner Akkumulation haben zwei grundlegende Dynamiken auf globaler Ebene in Gang gesetzt:

  1. eine Verschärfung der zwischenimperialistischen Spannungen;
  2. eine wachsende politische Instabilität, die sich ganz allgemein aus dem Zusammenspiel der folgenden Vektoren ergibt: Erstarken der radikalen Rechten, Krise der politischen Führungskräfte und Zersplitterung und globale Schwächung der Linken, von der Sozialdemokratie bis zur revolutionären Linken.

In Bezug auf die erste Dynamik gibt es heute vier große Brennpunkte zwischenimperialistischer Spannungen (Palästina und der Nahe Osten, die Ukraine und Osteuropa, die Sahelzone und Afrika südlich der Sahara, Taiwan und Südostasien) und zwei offene Kriege, die sich in voller Eskalation befinden (Israels Krieg – mit amerikanischer und europäischer Unterstützung – gegen Palästina, den Jemen und den Libanon und seine Angriffe auf Syrien und vor allem den Iran und drei Jahre Krieg in der Ukraine seit der russischen Invasion und einen Stellvertreterkrieg der NATO gegen die Russische Föderation). Mehrere Diplomat:innen, Analyst:innen und Aktivist:innen warnen vor der Gefahr, dass die aktuellen Eskalationen in eine doppelte Richtung gehen könnten: ein Zusammenfließen offener Konflikte und das Risiko, dass sie in allen Spannungsgebieten lichterloh aufflammen und zu einem globalen Konflikt mit einem hohen Risiko des Einsatzes von Atomwaffen führen könnten.

In dieser Entschließung werden wir den Fokus räumlich und zeitlich konzentrieren, um auf die Ursachen, die Art und die möglichen Ergebnisse des Krieges in der Ukraine einzugehen, wie auch um das antiimperialistische Engagement, die antimilitaristische Linie und die internationalistische Solidarität der Vierten Internationale mit den ukrainischen und russischen Arbeiterklassen zu bekräftigen.

Den Fokus umreißen

Die gegenwärtigen Spannungen in der Welt haben stehen im Zusammenhang mit dem Versuch des Westens, vor allem der USA, mit kommerziellen, finanziellen, politischen und militärischen Mitteln den Niedergang seiner Macht in der Welt zu verhindern. Washingtons desaströser Dauerkrieg seit dem Ende des Kalten Krieges, der im Bogen von Afghanistan über Libyen bis zum Irak und den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien rund 4 Millionen Tote und 40 Millionen Vertriebene gefordert hat, beruht auf dem 1992 formulierten und seither praktizierten neokonservativen Konzept von der alleinigen Weltherrschaft, die Republikanern und Demokraten gemeinsam ist. Der Aufstieg Chinas, die Reaktion Russlands und die zunehmende Entfremdung des globalen Südens, d.h. der Mehrheit der Weltbevölkerung, weisen seit langem auf wachsende Spannungen in der Welt hin.

Die bekannte und dokumentierte amerikanische Priorität für Europa bestand darin, Deutschland von Russland zu trennen und die Integration der Europäischen Union in das eurasische geoökonomische Konglomerat zu verhindern, dessen wichtigste treibende Kraft Peking ist (diese Vorstellung kam in den vom NATO-Gipfel in Madrid im Juni 2022 verabschiedeten Dokumenten deutlich zum Ausdruck). China ist der größte Handelspartner der EU. Russland war ihr wichtigster Energiepartner. Die USA sind dabei, beide Beziehungen zu kappen.

Das Ergebnis wird eine zunehmende Unterordnung der EU unter die USA sein, eine schwere wirtschaftliche Rezession in Deutschland (die unmittelbar durch die Energieabkopplung von Russland und den anhaltenden Zollkrieg mit China beeinflusst wird), ein Aufstieg der extremen Rechten und die Vertiefung der politischen Krise in der EU, die vor mehr als anderthalb Jahrzehnten durch die Euro-Krise, die politische und soziale Krise im Mittelmeerraum, den Brexit und die kriminelle Politik der Unterdrückung der Einwanderung ausgelöst wurde.

Charakterisierung des Konflikts

In der Linken gibt es eine zweifache Tendenz, die Ursachen und den Charakter des Krieges in der Ukraine zu vereinfachen. Einige reduzieren ihn auf einen nationalen Befreiungskampf gegen eine „unprovozierte“ Invasion durch ein autoritäres Regime. Diese Sichtweise ist nicht weit von der anfänglichen Diskussion einiger NATO- und EU-Vertreter:innen entfernt, die darauf beharren, Putin zu dämonisieren und ihn als einen Verrückten darzustellen, der das, was Reagan das sowjetische „Reich des Bösen“ nannte, wieder aufbauen und ganz Osteuropa erobern will. Andere sprechen kurzerhand von einem zwischenimperialistischen Zusammenstoß (der Diskurs eines Großteils der BRICS-Staaten und der stalinistischen oder maostalinistischen Formationen, die sich nach der UdSSR sehnen), ignorieren die russische Invasion und missachten das Selbstbestimmungsrecht der Völker und versuchen so, Putins Entscheidung zu rechtfertigen und zu entschuldigen.

Um den anhaltenden Konflikt richtig zu charakterisieren, ist es unumgänglich, zu verstehen, dass es eine Dialektik zwischen den beiden Dynamiken (nationale Unterdrückung und zwischenimperialistischer Zusammenstoß) gibt. Aber die Dynamik des Krieges hat zweifellos eine Veränderung in seiner Dosierung erzwungen, insofern als der Widerstandswille einer Mehrheit der ukrainischen Bevölkerung zu Beginn der Invasion Putins zunehmend den Zielen, Methoden und der politisch-militärischen Ausrichtung der Mächte, die Kiew gegen Russland unterstützen, untergeordnet worden ist. Gleichzeitig hat die Stagnation der militärischen Lage im Rahmen eines langen Zermürbungskrieges seither eine wachsende Unzufriedenheit, Entfremdung und zunehmend kriegsfeindliche Haltung in immer größeren Teilen der Bevölkerung begünstigt (z. B. die massenhafte Flucht von Wehrpflichtigen und die nicht minder massenhafte Desertion ukrainischer Soldaten, die nicht an das illusorische Versprechen eines Sieges glauben).

Es besteht zwar kein Zweifel daran, dass die Russische Föderation die alleinige Verantwortung für eine verurteilenswerte und verbrecherische Invasion trägt, wie alle imperialistischen Aggressionen, aber es ist offensichtlich falsch zu behaupten, dass sie „unprovoziert“ war.

Blick zurück im Zorn

Um den Kontext der Invasion vom 24. Februar 2022 zu verdeutlichen, ist es notwendig, einige Fakten in Erinnerung zu rufen:

  • Der Kalte Krieg wurde nach dem Zusammenbruch der ehemaligen UdSSR und des Ostblocks vor mehr als dreißig Jahren nie vollständig beendet. Die Umwandlung ganzer Fraktionen der ehemaligen Bürokratien zum Ethno-Nationalismus, um an der Macht zu bleiben, wie es bereits im ehemaligen Jugoslawien der Fall war, die Intervention der Großmächte, um eine neoliberale und mafiöse kapitalistische Restauration zu betreiben und Zusammenstöße zu ihrem eigenen Vorteil zu fördern, ist seit den 1990er Jahren eine Konstante in Osteuropa.
  • Es ist unmöglich, den aktuellen Konflikt zu verstehen, ohne das Trauma des Zerfalls der Sowjetunion und des Zusammenbruchs der Länder des Ostens zu sehen, die Dialektik der bewaffneten Konflikte, die seit dem Ende des Kalten Krieges in der Welt stattgefunden haben (die Angriffe der NATO auf das ehemalige Jugoslawien, Afghanistan und Libyen oder die beiden amerikanischen Invasionen im Irak. In allen Fällen mit Ausnahme von Afghanistan handelte es sich um Staaten, die traditionell mit Russland verbündet waren), sowie die Ausdehnung der NATO ohne und gegen Russland und die Erweiterung der EU nach Osteuropa, womit die Länder der ehemaligen sowjetischen Einflusssphäre diesem kapitalistischen, neoliberalen und zunehmend despotischen Supermarkt zugeführt werden sollen.
  • Die materielle Grundlage, die den großen Antagonismus zwischen einer von den USA hegemonisierten NATO und Russland erklärt, ist die Natur des russischen politischen Kapitalismus, der seit Anfang der 2000er Jahre nicht mehr offen ist für das Eindringen des transnationalen globalisierten Kapitalismus und der versucht, die Interessen seiner eigenen Oligarchien auf der Grundlage einer autoritären und arbeiterfeindlichen bonapartistischen Macht zu sichern, die ihre traditionellen Einflusszonen und ihren extraktivistischen Rentier-Ökonomie zu bewahren sucht.
  • Die imperialistische und militaristische Reaktion Putins ist auch nicht verständlich, wenn man nicht berücksichtigt, dass das, was im Februar 2022 ausgebrochen ist, der Abschluss eines Streits um den Einfluss in der Ukraine zwischen Russland auf der einen und den USA und der EU auf der anderen Seite ist. Schon in den 1990er Jahren, während der Präsidentschaft von Bill Clinton, war die Ukraine der drittgrößte Empfänger von US-Hilfe, nur hinter Israel und Ägypten. Ein Krieg, der von vielen Analysten nicht erst seit Jahren, sondern teilweise seit Jahrzehnten vorhergesagt wird.
  • Es ist auch wichtig, sich daran zu erinnern, dass die von Putin angeordnete Invasion im Jahr 2022 unmöglich gewesen wäre, wenn es in der Ukraine nicht seit 2014 eine Bürgerkriegsdynamik gegeben hätte, die nach dem Sturz von Janukowitsch und der anschließenden russischen Besetzung der Krim begann, eine Dynamik, die zweifellos durch die verdeckte Intervention Russlands und die militärische (wir sprechen von 3 Milliarden Dollar Militärhilfe zwischen 2014 und 2022), finanzielle und technische Unterstützung der USA und anderer NATO-Länder für Kiew im innerukrainischen Konflikt verstärkt und vertieft wurde (mit den Worten von Stephen Kotkin: „Die Ukraine ist nicht in der NATO, aber die NATO ist in der Ukraine“). Der fehlende politische Wille zur Umsetzung der Vereinbarungen von Minsk I und Minsk II („sie waren dazu bestimmt, Zeit zu gewinnen“, so Angela Merkel) öffnete dem Kreml im Herbst 2021 ebenfalls die Tür zur Zwangsdiplomatie, als er, wie inzwischen bekannt ist, von der NATO eine Verpflichtung verlangte, die Ukraine nicht zu integrieren, was von der Militärorganisation im vollen Bewusstsein der Folgen einer solchen Weigerung abgelehnt wurde.

Alle Akteure des Konflikts haben das Selbstbestimmungsrecht mit Füßen getreten

Alle imperialistischen Mächte, die in den Ukraine-Konflikt verwickelt sind, berufen sich zwar auf die eine oder andere Weise auf das Selbstbestimmungsrecht, aber sie haben es alle mit Füßen getreten (etwas Ähnliches geschieht übrigens auch mit dem „Antifaschismus“ und „Antinazismus“, auf die sich beide Seiten berufen, während sich bekanntlich sowohl die russische als auch die ukrainische Regierung auf rechtsextreme Kräfte und Strömungen stützen, um den Militarismus in ihren jeweiligen Ländern zu fördern).

Putins Neozarismus hat offensichtlich das Selbstbestimmungsrecht der Ukraine mit Füßen getreten, eine verwerfliche „Erfindung“, die Putin der Bosheit Lenins zuschreibt, auch wenn der Kreml dann „Referenden“ von geringer Legitimität in Gebieten wie der Krim organisiert (obwohl eine Mehrheit der Bevölkerung aufgrund der besonderen Geschichte der Enklave wahrscheinlich für die Annexion von 2014 war) oder überhaupt keine in den von ihm besetzten Gebieten im Donbas.

Ebenso wenig hat das nationalistische Regime in Kiew zwischen 2014 und 2022 die kulturellen Rechte der russischsprachigen Bevölkerung und ihren Willen zur politischen Autonomie in der Ukraine respektiert (ganz zu schweigen vom Selbstbestimmungsrecht des Donbas).

Aber auch der westliche Imperialismus hat die Selbstbestimmung Kiews nicht respektiert, und zwar sowohl mit seiner Sabotage der Vorvereinbarung bei den ukrainisch-russischen Friedensgesprächen in der Türkei im April 2022 (weil der Krieg noch nicht dazu gedient hatte, Russland militärisch genug zu zermürben, wie Boris Johnson es später begründete), als auch, als mit seinen Vorgaben, wann und mit welchen Waffen die Ukraine angreifen durfte, wobei er die ukrainische Entscheidungsfindung vollständig seinen eigenen Interessen unterordnete. Die westlichen Regierungen kümmern sich nicht um den wirtschaftlichen und demografischen Ruin der Ukraine, die bereits ein Drittel ihrer Bevölkerung, eine ganze Generation verkrüppelter Jugendlicher, Hunderttausende von Toten, Waisen und Witwen sowie ein Fünftel ihres Staatsgebiets verloren hat. Das einzige Ziel des westlichen Imperialismus war es, Russland zu zermürben.

Dynamik, Auswirkungen und Risiken des Konflikts

  • Keiner der Stellvertreterkriege des Kalten Krieges wurde im Norden geführt, geschweige denn an den Grenzen (und sogar innerhalb der Grenzen) einer Großmacht wie Russland. Heute geht es um die Frage, ob man eine Atommacht mit Langstreckenwaffen angreift, angesichts der Tatsache, dass die Ukraine einen konventionellen Zermürbungskrieg nachweislich nicht gewinnen kann… oder ob man die Realität anerkennt und die „Verteidiger der ukrainischen Selbstbestimmung“ Zelensky schließlich zu Verhandlungen zwingt. Im Kalten Krieg gab es Verträge zur Begrenzung von Atomwaffen, heute wird dies systematisch sabotiert, zunächst von den Vereinigten Staaten und in jüngster Zeit von Russland. Dies hat zu einem Szenario geführt, das wahrscheinlich gefährlicher ist als die Kubakrise von 1962, bei der die Monroe-Doktrin zur Anwendung kam, die die Präsenz von Interessen, verbündeten Regimen oder Militärstützpunkten anderer Großmächte nicht an den Grenzen der Vereinigten Staaten, sondern auf dem gesamten amerikanischen Kontinent verbietet.
  • Es sei auch daran erinnert, dass die anfängliche Begeisterung der westlichen Außenministerien für die Aussichten, die der Stellvertreterkrieg der NATO gegen Russland auf dem Rücken der Ukraine eröffnete, nicht wenige ihrer Vertreter dazu verleitete, die Aussicht auf ein slawisches Afghanistan (um Hilary Clintons Ausdruck zu verwenden) zu verfolgen, das Russland so weit ausbluten lassen würde, dass ein Regimewechsel in Moskau erzwungen würde. Biden, von der Leyen, Borrell und Stoltenberg wiederholten bis zum Überdruss, dass die begangenen Kriegsverbrechen Verhandlungen unmöglich machten und dass die totale Niederlage Russlands erzwungen werden müsse. Angesichts dessen, was man gegenüber Netanjahu seit mehr als einem Jahr täglich toleriert, ist die Heuchelei des westlichen Imperialismus geradezu skandalös.

Dies war zwar von Anfang so, doch wird nun immer deutlicher, dass dieser Krieg nicht mit einem totalen militärischen Sieg einer der beiden Seiten beendet werden kann, ohne den Konflikt in einen direkten zwischenimperialistischen Krieg mit einem sehr hohen Risiko des Einsatzes von Atomwaffen zu verwandeln, den naturgemäß niemand gewinnen kann. Es ist daher ziemlich schlüssig, dass die Befeuerung des Konflikts mit westlichen Waffen (zunächst Kleinwaffen, dann Panzer, Streubomben, Kampfflugzeuge und Mittel- und Langstreckenraketen) zur Eskalation und Verlängerung des Krieges beigetragen, Tod und Zerstörung vervielfacht und uns gefährlich nahe an einen Weltkrieg gebracht hat. Der jüngste „Siegesplan“, den Selenskyj in den westlichen Kanzleien vorstellte, strebt ganz eindeutig einen „Sieg“ an, indem er die NATO zu einem offenen Krieg gegen Russland verpflichtet. Eine der großen Gefahren dieses Krieges besteht in der Tat darin, dass die passive nukleare Abschreckung ausgehöhlt wird und die große Gefahr besteht, dass Putin beschließt, sie durch eine aktive nukleare Abschreckung zu ersetzen (d.h. den Einsatz einer taktischen Atomwaffe, um seine Glaubwürdigkeit wiederherzustellen), was nicht völlig ausgeschlossen werden kann (das Beharren westlicher Politiker darauf, dass „die russische nukleare Bedrohung ein Bluff“ sei, ist höchst unverantwortlich und gefährlich, was leider auch von Leuten auf der Linken gedacht wird).

Alle verfügbaren Informationen deuten darauf hin, dass Russland langsam und nicht ohne Schwierigkeiten einen schrecklichen Zermürbungskrieg mit großen Verlusten auf beiden Seiten gewinnt, sich gegen die Wirtschaftssanktionen wehren konnte und seine geopolitischen und geoökonomischen Beziehungen zu China verstärkt hat. Durch den Aufbau einer Kriegswirtschaft und die Bewältigung der Auswirkungen der Sanktionen hat Russland nicht nur den repressiven Aspekt seines autoritären bonapartistischen Regimes gestärkt (man bedenke, dass Putin ein Gemäßigter ist, wenn man bedenkt, dass der Kreml voller Menschen ist, die Atomschläge gegen Paris, London und Washington fordern…), sondern war auch gezwungen, einen Prozess der Reindustrialisierung einzuleiten, der ein beträchtliches Wirtschaftswachstum ermöglicht und nicht zu dem von Washington und Brüssel angestrebten Zusammenbruch führt. Auch wenn diese für Russland günstige Konstellation sehr schnell in Mitleidenschaft gezogen werden kann, wenn der Ölpreis sinkt (eine entsprechende Operation Saudi-Arabiens zur Schwächung Russlands und des Irans ist nicht ausgeschlossen), scheint der Krieg einen geopolitischen und geoökonomischen Strukturwandel von noch unbekanntem Ausmaß bewirkt zu haben.

Es tauchen auch Informationen auf, die auf eine ukrainische Urheberschaft der Nord-Stream-Sabotage mit Unterstützung eines oder mehrerer NATO-Länder bei der Aktion hinweisen (und zweifellos mit der Genehmigung Washingtons, wenn nicht sogar mit direkter Beteiligung an dem Angriff), was die anfänglichen Anschuldigungen einer angeblichen russischen Urheberschaft widerlegt.

Militarisierung in Europa

Die „Europäische Verteidigungspolitik“, ein altes Projekt der EU, das dank des Krieges in der Ukraine gefördert und legitimiert wurde, ist nicht nur Ausdruck des Wunsches, seine „harte Macht“ zu stärken, vor allem im Hinblick auf die Kontrolle der Ressourcen in Afrika in der vorherrschenden extraktivistischen Logik, sondern zielt auch darauf ab, seine Rolle als Vasallentruppe in Ergänzung zu den Vereinigten Staaten in einem Projekt der globalen imperialistischen Vorherrschaft zu konsolidieren, das angesichts des Kräfteverhältnisses nicht durchführbar erscheint. Gleichzeitig ist die militärische Aufrüstung Europas eine Flucht nach vorn, die das Unbehagen widerspiegelt, das die interne Krise in den Vereinigten Staaten bei den führenden Politikern hervorgerufen hat.

Der Einmarsch der Putinisten hat es der NATO ermöglicht, sich nach Finnland und Schweden auszudehnen, was zu neuen Spannungen mit Russland führte und die lange Neutralität dieser Länder beendete (die während des Kalten Krieges wichtige Spannungen teilweise abfederte). All dies geschah unter der Bedingung, dass Schweden sich bereit erklärte, die Auslieferung mehrerer geflüchteter kurdischer Aktivisten an die Türkei zu erleichtern, und dass die NATO wegschaute, als das türkische Erdogan-Regime eine groß angelegte Invasion des irakischen und syrischen Kurdistans startete – ein Krieg, der übrigens in den westlichen Massenmedien völlig unbemerkt geblieben ist. Bekanntlich verteidigt die NATO seit dem Kalten Krieg die demokratischen Werte in der heutigen Türkei, so wie sie es auch tat, als sie in der Vergangenheit Salazars Portugal und das Griechenland der Obristen in ihren Reihen zählte.

In ihren Beziehungen zu Russland hat die EU seit vielen Jahren keine Diplomatie mehr. Sie betreibt eine „Menschenrechtspolitik“, d.h. den gezielten politischen Einsatz von Menschenrechten, um den Gegner unter Druck zu setzen. Sie betreibt Imagepolitik und kulturelle Kriegspropaganda: Man sehe sich nur die Fülle der Russophoben an, denen sie ihre Literatur- und Bürgerpreise verleiht, von der Neokonservativen Anne Applebaum über die ukrainischen Schriftsteller Serhij Zhadan und Andrei Kurkov, deren Hauptverdienst der kulturelle Rassismus gegen alles Russische ist, bis hin zu dem verhassten französischen Präsidenten Emmanuel Macron, der sich damit brüstet, französische Truppen in die Ukraine zu schicken. Sie hat auch eine Sanktionspolitik, die sich im Moment gegen Russland wendet, und schließlich hat sie eine Militärpolitik. Die Brüsseler Welt hat all dies, aber sie hat keine Diplomatie. Aussagen wie die des Chefs der europäischen Diplomatie, Josep Borrell, dass „die Situation auf dem Schlachtfeld entschieden wird“, zeigen eine rein militärische Logik.

Es besteht ein struktureller Zusammenhang zwischen der europäischen Militarisierung und der militärischen Intervention Europas und der NATO in der Ukraine. Einerseits hängt die Militarisierung des Kontinents mit der Notwendigkeit der militärischen Intervention und der zunehmenden europäischen Beteiligung an dem Konflikt zusammen. Andererseits schafft der Krieg in der Ukraine einen Vorwand, um eine weiterreichende strategische Agenda der europäischen Militarisierung zu beschleunigen und wieder einzuführen, und hat ein politisches Klima geschaffen, in dem es sehr schwierig ist, dagegen anzukämpfen. Es ist daher widersprüchlich, sich formell gegen die Militarisierung Europas auszusprechen und gleichzeitig die zunehmende und endlose militärische Intervention in der Ukraine zu unterstützen, wo doch die Ukraine die Haupttriebkraft der Militarisierung des Kontinents ist.

Für den Ausgang geringstmöglicher Katastrophe

Dieser Krieg war in jeder Hinsicht katastrophal: wegen des Ausmaßes an Tod und Zerstörung (manche Schätzungen sprechen von fast einer Million Toten), wegen der militaristischen und reaktionären Spirale, die er unter den Großmächten bewirkt hat, wegen der immensen Ressourcenvernichtung, die er in einer Welt mit sich bringt, die massiv in die Energiewende und dringende Maßnahmen zur Klimastabilisierung investieren muss… Kurz gesagt, weil sie die für ultranationalistische Spiralen typische Faschisierungsdynamik angeheizt hat, sowohl in Russland und der Ukraine als auch in Europa und dem Rest der Welt. Den gegenwärtigen Krieg zu nähren und den Interventionismus der NATO zu unterstützen, führt zu einer endlosen Eskalation, die die Spirale von Tod und Zerstörung in der Ukraine nur noch verstärkt, ohne Aussicht auf ein wirkliches Ergebnis und mit dem Risiko, dass die Situation außer Kontrolle gerät und sich der Konflikt auf Drittländer ausweitet.

Die einzige Lösung für die Selbstbestimmung der Ukraine sind Verhandlungen zur Beendigung der Feindseligkeiten und die Rückkehr der Ukraine zur Neutralität und zum Verzicht auf die NATO-Mitgliedschaft. Wären die Verhandlungen im März/April 2022 nicht sabotiert worden, hätten fast drei Jahre Krieg vermieden und Hunderttausende von Menschenleben gerettet werden können und die Verhandlungsposition der Ukraine wäre unmittelbar nach der Abwehr von Putins erstem Angriff auf Kiew viel günstiger gewesen. Jetzt, wo selbst die NATO durch Ruttes Mund anerkennt, dass der Krieg nur am Verhandlungstisch beendet werden kann, nachdem sie ihn jahrelang nur zu dem Zweck genährt hat, die Ukrainer als Kanonenfutter in ihrem Stellvertreterkrieg gegen Russland zu benutzen, wird es zu weitaus schädlicheren Verhandlungen für die Ukraine kommen. Es ist auch nicht auszuschließen, dass die NATO, wie sich allmählich abzeichnet, hinter dem Rücken der Ukraine verhandeln wird, wenn dieses sie zu dem Schluss kommt, dass sie ihre Dienste nicht mehr benötigt. Dafür gibt es in der Geschichte genügend Präzedenzfälle, und es war von Beginn des Krieges an völlig vorhersehbar.

Das von der Regierung Zelensky verhängte Kriegsrecht, das Parteien verbietet, Aktivisten verfolgt und der Bevölkerung eine ultraliberale Schocktherapie auferlegt, ermöglicht es ihm außerdem, seine Herrschaft zu verlängern, ohne dass es zu Wahlen kommt. Sein Schicksal hängt von der Unterstützung der westlichen Mächte ab, und es ist nicht mehr ersichtlich, dass eine Mehrheit der ukrainischen Bevölkerung für die Fortsetzung des Krieges ist. In einer Umfrage des ukrainischen Medienunternehmens ZN vom Juni 2024 sprachen sich 44 Prozent der Bevölkerung für sofortige Friedensverhandlungen aus.

In Anbetracht der Lage im Nahen Osten und unter Bezugnahme auf Selenskyjs Aussage, dass die Ukraine danach strebt, „ein Großisrael mit eigenem Gesicht“ zu werden, und dass „Sicherheit“ der große Trumpf (in der Tat haben ukrainische Truppen an fast allen militärischen Abenteuern Washingtons seit den 1990er Jahren teilgenommen, einschließlich Afghanistan und Irak) und das zentrale Thema in der Nachkriegs-Ukraine sein wird, ist es wichtig, sich daran zu erinnern, dass die Ausnutzung des Leidens Unschuldiger schon früher dazu gedient hat, die Schaffung von Gendarmeriestaaten zu legitimieren, die den imperialistischen Interessen völlig untergeordnet sind. So wie die „Holocaust-Industrie“ den verbrecherischen Interessen des Zionismus gedient hat, ist es nicht ausgeschlossen, dass das Kiewer Regime aus dem gegenwärtigen Leiden des ukrainischen Volkes Kapital schlägt, um die Schaffung eines neuen Israel in Osteuropa zu legitimieren, indem es seinen Antagonismus mit Russland zu seinem großen wirtschaftlichen, politischen und militärischen Vorteil macht. Die Gründung des Staates Israel verwirrte zunächst auch große Teile der fortschrittlichen Meinung, diente dazu, das schlechte Gewissen Europas gegenüber dem Judenmord reinzuwaschen, und ermöglichte es, den Diskurs der „einzigen Demokratie in der Region“ und der „Zivilisation gegen die Barbarei“ zu schüren… mit Ergebnissen, die achtzig Jahre später wohlbekannt sind.

Die Aufgaben der revolutionären Marxisten

Der Krieg in der Ukraine hat eine ganze Reihe von reaktionären Tendenzen verstärkt, die in der Europäischen Union, den Vereinigten Staaten und Russland bereits vorhanden waren: der Aufstieg des Militarismus, die Erweiterung der NATO, die Erhöhung der Militärbudgets, die Umgestaltung der Militärindustrie; er hat dazu beigetragen, die umweltpolitische Agenda zu begraben, er hat die nationale Einheit um die „demokratische“ Verteidigungspolitik und den Ethno-Nationalismus gefördert und die autoritäre Wende in allen Ländern beschleunigt.

In diesem Sinne ist die Vierte Internationale verpflichtet, Prozesse der Organisierung und des Kampfes gegen diese Tendenzen zu fördern und die Bewegungen gegen Krieg, Militarisierung und für Denuklearisierung zu unterstützen und sich an ihnen zu beteiligen. Der neue Internationalismus muss beginnen, sich gegen die Interessen und die Politik der Bourgeoisie in jedem Land zu organisieren. Das Aufgreifen der Slogans „Krieg dem Krieg“ und „Der Feind steht im eigenen Land“ ist für die Arbeiterklasse unerlässlich, um sich der Gefahren bewusst zu werden, in die uns die gegenwärtige interimperialistische Dynamik führt, und um so die besten Traditionen der Arbeiterbewegung gegen Kriegstreiberei und Militarismus aufzugreifen. In diesem Sinne wird die Vierte Internationale die folgenden Forderungen propagieren:

  • Sofortiger Frieden ohne Annexionen und Rückzug der russischen Truppen hinter die Grenzen von 2022;
  • Entmilitarisierung und Denuklearisierung der Grenzen. Stopp der Waffenlieferungen durch imperialistische Staaten;
  • Rückkehrrecht für alle Flüchtlinge, einschließlich aller Befehlsverweigerer und Deserteure;
  • Sofortige Amnestie für alle politischen Gefangenen, Wiederherstellung des Rechts auf Demonstrationen, Versammlungen und Organisierung sowie Beendigung des Ausnahmezustands in der Ukraine und in Russland;
  • Aufnahme von Kriegsdienstverweigerern, Deserteur:innen und Flüchtlingen beider Seiten ohne bürokratische oder gesetzliche Hürden in den Ländern, in denen sie sich niederlassen wollen.
  • Enteignung der russischen und ukrainischen Oligarchen, die den Ethnonationalismus genutzt haben, um an der Macht zu bleiben, und zu diesem Zweck die ProletarierInnen beider Länder auf die Schlachtbank [des Kriegs] geschickt haben.
  • Streichung aller Auslandsschulden der Ukraine und Beendigung der wirtschaftlichen und finanziellen Kolonisierung der Ukraine seitens des internationalen Kapitals wie auch ein Ende der neoliberalen und gegen die Arbeiterklasse gerichteten Maßnahmen der Selenskyj-Regierung.
  • Auflösung aller Militärblöcke (NATO, CSTO, AUKUS, etc.).
  • Recht auf Selbstbestimmung für den Donbass und die Krim.

Die Vierte Internationale ist auch solidarisch mit den oppositionellen sozialen, gewerkschaftlichen und politischen Organisationen, die verfolgt und von den Auswirkungen des Kriegs auf beiden Seiten unmittelbar betroffen sind, im Besonderen mit unseren Genoss:innen der Russischen Sozialistischen Bewegung und der Sotsialnyi Rukh in der Ukraine.

Solidarität mit der ukrainischen und russischen Arbeiter:innenklasse. Schluss mit dem Krieg und der selbsmörderischen militärischen Eskalation.

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Übers. Jakob