Revolution der Frauen in Polen: Proteste nach Angriff auf Reproduktionsrechte

Startseite/Allgemein, Frauenrechte, Russland/ Osteuropa/Revolution der Frauen in Polen: Proteste nach Angriff auf Reproduktionsrechte
2021-06-22T22:29:12+02:0013. Januar 2021|
image_pdfimage_print

Revolution der Frauen in Polen: Proteste nach Angriff auf Reproduktionsrechte

Proteste nach Angriff auf Reproduktionsrechte

Der oberste Gerichtshof Polens hat Abtreibungen aufgrund der Missbildung eines Fötus für verfassungswidrig erklärt. Und das, obwohl das geltende Gesetz zu Schwangerschaftsabbrüchen bereits eines der restriktivsten in Europa ist. Seitdem demonstrieren Frauen jeden Tag.

Die Bewegung weitet ihre Forderungen aus, darunter ist inzwischen nicht zuletzt die Forderung nach dem Rücktritt der Regierung. Die Wut reißt alle Teile der Gesellschaft mit, die dem von der PiS propagierten konservativen Modell ablehnend gegenüberstehen.

Am Dienstag, den 22. Oktober 2020, urteilte das polnische Verfassungsgericht, Teile des seit 1993 geltenden Gesetzes zu Schwangerschaftsabbrüchen seien verfassungswidrig. Bis dahin erlaubte das Gesetz Abtreibungen in drei Fällen: Gefährdung der Gesundheit und des Lebens der Schwangeren, bei Verdacht, dass die Schwangerschaft aus einer „verbotenen Handlung“, also einer Vergewaltigung oder einem Inzest, resultiert, sowie bei Feststellung einer unheilbaren Schädigung des Fötus. Das Gericht bewertete letzteres jetzt als einen Verstoß gegen die verfassungsrechtlichen Bestimmungen zum Schutz des Lebens. So hat eine Institution, die theoretisch gesehen die Rechtsordnung wahrt, das Leiden der Frauen verschlimmert: sowohl derjenigen, die wissen, dass sie einen toten oder schwer und unheilbar kranken Organismus in sich tragen, als auch derjenigen, die in Zukunft Kinder haben wollen. Im ersten Fall handelt es sich um die unvorstellbare Qual, ein Kind zu gebären, von dem die Mutter bereits weiß, dass es tot ist oder nicht länger als einige Wochen leben wird.

Ein Regime wie zu Zeiten der Inquisition

Diese Art von „Heldentum“ passt in die Vision von Jarosław Kaczyński, Präsident der Regierungspartei PiS (Prawo i Sprawiedliwość, Recht und Gerechtigkeit). Er erklärte, es sei der Mühe wert, ein totes Kind zur Welt zu bringen, und sei es nur, um es zu taufen und zu beerdigen. Der barbarische Charakter dieser Meinung ist jedoch nicht neu in der polnischen Politik. Das Recht der Frau, über ihren eigenen Körper und ihre Zukunft zu bestimmen, ist Gegenstand eines jahrelangen erbitterten Kampfes: ein Kampf, den die polnische Rechte, abhängig von der Unterstützung der katholischen Kirche, so klar für sich entschieden hat, dass sogar das genannte Gerichtsurteil in ihrem Sinne gefällt wurde.

Der Ausspruch „Niemand erwartet die Spanische Inquisition“ aus Monty Pythons „Flying Circus“ trifft für Polen nicht zu. Der klerikale Fanatismus gehört dort zum Alltag und dürfte niemanden überraschen. Die spezielle Dreifach-Allianz allerdings, die den beschämenden Angriff auf die polnischen Frauen ermöglicht hat, kann überraschen. Ohne die Pandemie und die Einschränkungen des öffentlichen Lebens hätte das für die Ausführung der politischen Anweisungen der PiS verantwortliche Gericht vermutlich lange gezögert, über die Verfassungsmäßigkeit des Wenigen zu urteilen, das von den Reproduktionsrechten der Frauen in Polen noch übrig geblieben war. Schließlich erinnern sich die Machthabenden trotz allem noch an den großen Schock des „Schwarzen Montag“ – eine Welle des gesellschaftlichen Widerstands gegen die Anti-Abtreibungs-Bestrebungen, die 2016 einen Eimer kaltes Wasser über die erhitzten Köpfe der Ultrakonservativen leerte.

Die Zahl der Covid-19-Infektionen wächst rasant. Zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Textes liegt Polen auf dem achten Rangplatz des traurigen Ranking der Länder mit den meisten Infektionen pro Tag. Auch die Todesfälle nehmen gleichermaßen alarmierend zu, und die Kapazitäten der Gesundheitsversorgung stehen am Rande der Erschöpfung. Alle fragen sich, ob in den Krankenhäusern genügend Betten und Beatmungsgeräte zur Verfügung stehen. Krankenwagen warten stundenlang an der Notaufnahme, um Patient*innen zu übergeben. Unter diesen Bedingungen könnte man vermuten, die angsterfüllte Gesellschaft würde sich nicht mit einem neuen institutionellen Angriff auf die Frauenrechte auseinandersetzen.

Darin haben sich die Autoritäten jedoch geirrt. Trotz des Verbots von Versammlungen von mehr als fünf Personen erlebt Polen die vielleicht größte Welle von Demonstrationen seit der Wiederherstellung des Kapitalismus. Wichtiger noch, sie erfasst nicht nur die größten städtischen Zentren, sondern auch die Kleinstädte und Dörfer; sogar diejenigen, die vor nicht allzu langer Zeit in der ganzen Welt durch die schauerliche Entscheidung lokaler Führungspolitiker*innen bekannt wurden, die Resolutionen zu „LGBT-Ideologie-freien Zonen“ verabschiedeten. Man weiß nicht genau, was die Einrichtungen solcher „Zonen“ bedeutet, aber diese Entscheidung der lokalen Behörden stellten einen erbarmungslosen und widerlichen Angriff auf Personen mit einer nicht-heteronormativen Identität dar, auch wenn sie nicht über einen symbolischen Akt hinausging. Später nahmen einige dieser Gemeinden ihre skandalöse Entscheidung zurück. Das überrascht kaum, nachdem alle Aufzeichnungen und Transkriptionen der Sitzungen ihrer Führung bewiesen hatten, dass diejenigen, die für die „Zonen“ gestimmt hatten, nicht einmal das Akronym LGBT entziffern konnten. Als sich herausstellte, dass einige verwirrte Lokalpolitiker*innen von „Zonen ohne LPG“ sprachen, wurden sie in den sozialen Netzwerken mit Spott überhäuft. Das Kürzel LPG bezieht sich auf den englischen Ausdruck „Liquefied Petroleum Gas“ (flüssiges Propangas). Die Politiker*innen können aber kaum bezichtigt werden, einen in Polen derart beliebten Brennstoff verbieten zu wollen…

Eine Revolte des Volks…

Die Kleinstädte, auch in Regionen, die als Bastionen der PiS gelten, reagierten auf die Entscheidung des Verfassungsgerichts absolut gegenteilig zu dem, was die Regierungspolitiker in Warschau sich wohl hätten ausmalen können. Anstatt zu schweigen, begannen Tausende von Menschen in den Straßen und auf den Plätzen schamlos zwei Parolen zu skandieren, die keinen Zweifel zulassen: „wypierdalać“ (was so viel bedeutet wie „verpisst euch“) und „jebać PiS“ („fuck PiS“) – sehr vulgäre Ausdrücke.

Die ersten Proteste – massenhaft und spontan – fanden statt, sobald Przyłębska[1] das Gerichtsurteil verkündet hatte. Hunderte Menschen, die von der Grausamkeit des Urteils geschockt und entsetzt waren, gingen am Abend des Dienstag, 22. Oktober, auf die Straße. Die Menge versammelte sich vor dem Gebäude des Verfassungsgerichts und bewegte sich von dort aus zum Hauptsitz der PiS in der Nowogrodzka-Straße in Warschau.

Von Anfang an wurde zu den Protesten von der Ogólnopolski Strajk Kobiet (OSK, Allpolnischer Frauenstreik) mobilisiert, einer sozialen Basisbewegung, die sich 2016 im Zuge der Aktion „Schwarzer Montag“ gebildet hatte. Die breite und bis dahin noch nie dagewesene Mobilisierung hatte die Regierungspartei damals gezwungen, ihre Unterstützung eines totalen Abtreibungsverbots zurückzunehmen, das im Sejm (dem Unterhaus des Parlaments) diskutiert wurde.

Die feministische Organisation Ogólnopolski Strajk Kobiet (OSK), deren bekannteste Aktivistin Marta Lempart[2] ist, ist zu einer der zentralen Triebkräfte in der Organisation von Demonstrationen im ganzen Land geworden: Dank des Kontakts zu Aktivist*innen an der Basis wurden in den folgenden Tagen hunderte Demonstrationen organisiert. In vielen weiteren Städten und Dörfern entstanden hauptsächlich dank der Bemühungen verschiedener informeller Gruppen spontan Proteste aus. Am Freitag, den 23. Oktober, versammelten sich tausende Demonstrierende vor Jarosław Kaczyńskis Villa im Warschauer Viertel Żoliborz, in Posen füllte die Menge den Platz der Freiheit, und in Łódź wurden hunderte Friedhofskerzen vor dem lokalen Sitz der PiS entzündet. Die ersten Proteste waren noch relativ ruhig – man sah mehr erschrockene und weinende Frauen als Frauen, die vulgäre Parolen schrien. Nichtsdestotrotz bezeichnete der rechte Journalist Rafał Ziemkiewicz sie auf Twitter als „vulgäre Huren“, und die regierungsnahen Medien spielten den massiven Charakter der Proteste konsequent herunter, indem sie niedrige Zahlen der Protestierenden nannte. Den Wendepunkt brachten die Störaktionen während der Sonntags-Gottesdienste in den Kirchen.

… bei der die Kirchen nicht verschont bleiben.

Frauen unterbrachen die Sonntagsliturgie von Gottesdiensten, indem sie pro-Abtreibungs-Parolen riefen („Lasst uns für das Abtreibungsrecht beten“), in den Kathedralen laut klatschten, Flugblätter verteilten und Parolen sowie die Telefonnummer des „Abortion Dream Team“ aufschrieben – einer sozialen Organisation, die polnischen Frauen Abtreibungen in Ausland ermöglicht. Am Abend fanden in Warschau Proteste vor dem Sitz der Kurie (dem Leitungsorgan der Kirche) statt, und im ganzen Land wurden die Proteste vor den Kirchen immer heftiger. Das provozierte natürlich Empörung bei den Nationalisten und ihnen nahestehenden Medienkommentatoren, die inbrünstig dazu aufriefen, „die Heiligtümer zu verteidigen“. Vor der Heilig-Kreuz-Kirche in der Nowy-Świat-Straße in Warschau stellte sich die „Gwardia Narodowa“ (Nationale Garde) den Demonstrierenden entgegen – eine seltsame, auf die Schnelle strukturierte paramilitärische Gruppierung unter Leitung von Robert Bąkiewicz, einem der Organisatoren des jährlichen Unabhängigkeitsmarsches. Die nationalistischen „Verteidiger der Kirche“ fielen eine ältere Dame an und schubsten eine junge Frau die Treppen hinunter, die daraufhin ins Krankenhaus gebracht werden musste. Die Aggression ereignete sich unter den wachsamen Augen der Polizei, die die protestierenden Frauen nicht gegen den Angriff der Nationalisten schützte.

Eine neue Generation im Widerstand

Die Ereignisse in Warschau haben den Kampfgeist der Gesellschaft weiter angefacht. In ihrer Folge fanden spontane Proteste in einem ganz anderen Stil statt: am Montag Straßenblockaden in einigen polnischen Städten (zehntausende Menschen in jeder dieser Städte), am Mittwoch ein Frauenstreik (Frauen und Männer, die sie unterstützen, weigerten sich zu arbeiten), riesige Schüler*innen-Märsche in ganz Polen. Daraufhin rief Jarosław Kaczyński in einer Ansprache dazu auf, die Frauen zu bekämpfen, die sich nicht fügen. Der Präsident der PiS wurde dafür offen kritisiert, er hetze die Bevölkerung zum Bürgerkrieg auf, und seine Ansprache fachte die Radikalisierung im Diskurs der Demonstrierenden an. Sobald er davon erfuhr, ließ sich Kaczyński das Abzeichen des kämpfenden Polen, das 1944 von den Warschauer Aufständischen verwendet wurde, an seine Jackenkrempe heften. Fünf Frauen, die diesen Aufstand überlebt haben, kritisierten die Verwendung des Symbols scharf. Sie erklärten gegenüber der Tageszeitung Gazeta Wyborcza, Kaczyński habe nicht das Recht dazu und solch eine Verunglimpfung sei inakzeptabel. Die Veteraninnen des Aufstands drückten zudem ihre Unterstützung für die Proteste aus, sie erklärten, sie seien „richtig“, und sie nahmen daran trotz der Bedrohung durch die Epidemie teil. Die größte Demonstration fand am Freitag, den 30. Oktober, in Warschau statt: Zwischen 100.000 und 150.000 Menschen aus ganz Polen füllten die Straßen der Hauptstadt. Nach Angaben der Polizei – die die Zahl den Kommentator*innen zufolge zu gering geschätzt hat – war das die größte Mobilisierung der letzten Jahre in Polen: Mehr als eine Millionen Menschen gingen in verschiedenen Städten und Dörfern auf die Straße.[3]

Unter den Demonstrierenden sind junge Frauen und Mädchen – Oberschülerinnen, Studentinnen sowie „junge Erwachsene“ – am stärksten vertreten, Menschen unter 35 Jahren, die so bewusst ihre ersten lebenswichtigen Entscheidungen treffen. Die Beteiligung dieser Altersgruppe hat Ironie und Sarkasmus auf die Transparente und in die Parolen gebracht. Die beliebtesten darunter – „wypierdalać“ (die gröbste polnische Beleidigung, die dem Gegenüber gebietet, sich sofort zu entfernen [sinngemäß: Verpisst euch!]) und die Kritik der Medien an der „übertriebenen Vulgarität der Proteste, die der Sache nur schadet“ – haben bald zu kreativen Umformulierungen geführt. Auf Transparenten war zu lesen: „Wir ersuchen Sie, schleunigst davonzulaufen“, „Wir bitten Sie darum, sich anderswohin zu verpissen“ oder „Würden Sie sich bitte entfernen“. Der Gegensatz zwischen der Verwendung von neutralen Ausdrücken und den enorm starken Emotionen einer Menge von tausenden Menschen wirkt geradezu skurril.

„Wer in Polen lebt, lacht nicht im Zirkus“, „Die Regierung ist keine Schwangerschaft, sie kann vertrieben werden“, „Wenn die Messdienerinnen schwanger würden, wäre die Abtreibung ein Sakrament“ und „Wenn der Staat mich nicht schützt, werde ich meine Schwester verteidigen“ sind nur einige der häufigsten Parolen. Viele von ihnen haben den Humor der Internet-Memes und beliebten Unterhaltungsprogrammen wörtlich auf Schilder und Transparente übertragen: „Heute machen wir Enteneintopf“[4], „Die PiS mach Tee mit Ravioli-Wasser“, „Wir haben Angst zu vögeln“ und „Es bleibt nichts anderes übrig als anal [Verkehr]“ tauchten gleichzeitig in einer Vielzahl von Städten und Dörfern auf. Ein kurzes Video von der Studierenden-Demonstration in Warschau, das eine Gruppe junger Menschen zeigt, die zu dem Disco-Hit „Call on me“ von Eric Prydz aus dem Jahr 2004 tanzt, wurde besonders populär. Statt des im Original wiederholten Texts ruft die Menge „Jebać PiS“ (Fuck PiS), die zweitwichtigste Parole der der Anti-Regierungs-Demonstrationen nach dem bereits erwähnten „Wypierdalać“. Das Video ging schnell viral und das darauf basierende Lied „Fuck PiS“ von Cypis[5] wurde bei den folgenden Veranstaltungen über tragbare Lautsprecher übertragen.

Mobilisierungen in Stadt und Land

Das Außergewöhnliche an den Protesten nach der Bekanntgabe des Urteils des Julia-Przyłębska-Gerichts[6] liegt in ihrer vorher nie dagewesen Verbreitung. Die „Spaziergänge“ finden gleichzeitig in tausenden Städten im ganzen Land statt, insbesondere in den kleinen Städten mit einigen Tausend Einwohner*innen. In einigen Städten waren die Demonstrationen im Oktober die ersten in der Geschichte. In Sztum, Trzebiatów, Sanok, Pruszków oder Myślibórz gingen Menschen auf die Straße, die noch nie zuvor an derartigen Aktionen teilgenommen hatten. In den Medien hört man, dies sei ein Bruch im Denken über gesellschaftlichen Widerstand in Polen und auch der erste Schritt in Richtung einer wirklichen Trennung von Kirche und Staat, was bisher unvorstellbar war.

Das Verhalten der Mädchen in Szczecinek, einer Stadt mit 40.000 Einwohner*innen, hatte einen enormen Einfluss: Am 25. Oktober nahmen sie sich einen Priester vor, der mit den Streikenden zu diskutieren versuchte. Sie umkreisten ihn und riefen „Zeig deine Gebärmutter“, „Geh zurück in deine Kirche“ und schließlich „Verpiss dich!“ Diese Jugendlichen erhielten Unterstützung von den Demonstrierenden in der Region, und die Lokalmedien veröffentlichten Videos von ihrer Aktion. Der rechtsextreme und regierungsfreundliche Fernsehsender TVP Info stellte das Verhalten der jungen Frauen als eine skandalöse und vulgäre Beleidigung des heiligen Mannes dar, der die Hostie trägt. Tatsächlich hatte dieser „heilige Mann“ keine Hostie. Mehr noch: er war zuvor von seinen Funktionen als Priester suspendiert worden und zeigte während der Demonstrationen Autofahrer*innen, die die Demonstrierenden unterstützten, den Mittelfinger.

Gegen die Patriarchen

Im öffentlichen Diskurs ist ein neues Wort aufgetaucht, das schnell erstaunliche Verbreitung gefunden hat: „dziaders“ [was als „Patriarch“ übersetzt werden könnte, aber vulgärer ist; „dziad“ bedeutet in etwa: Greis, Penner, alter Knacker]. Transparente kündigten den „Niedergang dieser Patriarchen“ an, den bevorstehenden Sturz des Patriarchats. Der „dziader“, der Hüter der konservativen Gesellschaftsordnung, ist in Polen eine äußerst häufig vorkommende Erscheinung: Es kann ein Onkel auf einer Familienfeier sein, ein Universitätsprofessor, der in seinen Kursen ständig wiederholt, dass Frauen nicht studieren sollten, oder ein Minister der aktuellen PiS-Regierung (in der es nur eine einzige Frau gibt, die Ministerin für Frauen und Sozialpolitik). Die polnischen Frauen, die es leid sind, dass sie seit vielen Jahren im öffentlichen Leben an den Rand gedrängt werden und sich das Ethos des Opfers für die Familie aufdrücken lassen sollen, haben ihren Protest gegen die Männer an der Macht gerichtet – die weltlichen ebenso wie die kirchlichen –, die sie respektlos und herablassend als Objekte behandeln, indem sie ihnen ihre eigene Meinung im Namen der „Verteidigung der Werte und Traditionen“ aufzwingen. Das donnernde „Verpiss dich“, das die jungen Mädchen von 15 Jahren in Szczecinek rufen, kann das Patriarchat in Polen stürzen, das in den letzten Jahrzehnten von allen politischen Seiten so gründlich bewahrt wurde.

Unter dem PiS-Regime hat das Verfassungsgericht die letzte Spur seiner ohnehin schon zweifelhaften politischen Unabhängigkeit verloren. Es setzt sich zusammen aus Personen, die von der Führung der Regierungspartei in diese Funktion abgeordnet wurden. Es handelt sich dabei u. a. um Krystyna Pawłowicz, die für ihre Vorliebe bekannt ist politische Opponenten grob zu beleidigen, und um den ehemaligen kommunistischen Staatsanwalt Stanisław Piotrowicz, früher gehorsames Mitglied der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei, der Aktivist*innen der Gewerkschaft Solidarność verurteilte, und der sich dann vollkommen in die Verhältnisse der liberalen Demokratie einfügte, indem er seinen Marxismus-Leninismus stalinistischer Art in einen brennenden Katholizismus umwandelte. Piotrowicz wurde 2001 bekannt als Verteidiger eines Priesters, der der Pädophilie angeklagt war. Nach dem Machtantritt der PiS 2015 spielte er eine wichtige Rolle in der Demontage des Verfassungsgerichts, um schließlich selbst dessen Mitglied zu werden. Diesen Posten erhielt er, um ihm seine Tränen zu trocknen, nachdem es ihm in den Parlamentswahlen 2019 nicht gelungen ist, seinen Sitz als Abgeordneter [der PiS] wiederzuerlangen. Die Präsidentin des Verfassungsgerichts, Julia Przyłębska, wird in der juristischen Gemeinschaft dafür kritisiert – um es so vorsichtig wie möglich auszudrücken –, dass sie Rechtsnormen missachtet.

Für legale Abtreibungen

Der Zugang zu legaler Abtreibung ist in Polen seit vielen Jahren Gegenstand heftiger Kontroversen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Regelungen in Bezug auf Schwangerschaftsabbruch mehrfach geändert, die 1956 eingeführte Zulässigkeit von Abtreibungen aufgrund schwieriger Lebensbedingungen einer Frau bot einen großen Interpretationsspielraum. In der Praxis bedeutete das einen relativ einfachen Weg zu einem Schwangerschaftsabbruch in einer öffentlichen Gesundheitseinrichtung. Die technische und rechtliche Verfügbarkeit stand jedoch im Gegensatz zu einem starken gesellschaftlichen Tabu und einem erheblichen moralischen Druck, der auf Frauen lastete, die ungewollt schwanger waren. Die Rede vom „Schutz des Lebens“ gegen das, was derzeitige Regierungsanhänger*innen „eugenische Abtreibungen“ nennen, setzte sich 1993 durch, als das Gesetz zur Familienplanung verabschiedet wurde. Dies geschah einige Monate vor dem Konkordat zwischen dem Vatikan und der Republik Polen.

Mit der Welle an sozialen und ökonomischen Veränderungen nach 1989 gewann der katholische Fundamentalismus an Bedeutung und rückte in den politischen Mainstream vor. Die Kirche hörte auf, als Zentrum der Unterstützung zu dienen, das für ein breites Spektrum an oppositionellen, nicht nur christlichen Kreisen im Kampf gegen das autoritäre Regime der Volksrepublik Polen offen war. Ihr Einfluss in den 1990er Jahren schürte die radikal konservative Rhetorik, die in der Arbeiterklasse ebenso Widerhall fand wie in einem Teil der polnischen Mittelklasse, die sich unter den neuen Bedingungen des Kapitalismus herausbildete. Und nach 1989 versuchten nur wenige wirklich bedeutende politische Organisationen, Forderungen gegen die Kirche zu erheben.

Dass Frauen der Zugang zu legaler Abreibung entzogen wurde, wurde „Abtreibungskompromiss“ genannt. Hätte das Gesetz von 1993 nicht tausende Frauen zu unermesslichem Leid verdammt, könnte die Verwendung des Begriffs „Kompromiss“ als Ausdruck schwarzen Humors verstanden werden. Dieser Kompromiss wurde über die Köpfe der polnischen Frauen hinweg geschlossen, zwischen der kirchlichen Hierarchie und der politischen Rechten, mit schwachem Widerstand der wichtigsten Gruppen der Linken und Mitte. Wenn diese Gruppen auch im Parlament gegen das Anti-Abtreibungs-Gesetz gestimmt haben mögen, distanzierten sie sich doch in den folgenden Jahren in dem Bestreben, vorteilhafte Beziehungen zur Kirche aufzubauen, von dem Recht auf Schwangerschaftsabbruch. Die Unterstützung des „Kompromisses“ ist zu einer Ausrede geworden, um das Thema von sich fern zu halten. Die illegale Abtreibung ist zur größten Nutznießerin dieses Zustands geworden.

Infolge politischer Entscheidungen ist Polen seit den 1990er Jahren für ganz Europa zur Quelle von billigen Arbeitskräften geworden. Bei den niedrigen Löhnen, insbesondere außerhalb der großen Städte, können es sich nur wenige Frauen, die eine Abtreibung erwägen, leicht leisten, in eine der Kliniken in Österreich oder Deutschland, oder auch nach Slowenien zu gehen, wo die Preise am niedrigsten sind. Einige von ihnen, die nicht nur mit den materiellen Entbehrungen zu kämpfen haben, sondern auch mit der fehlenden Unterstützung durch ihren Partner oder ihre Nächsten, entscheiden sich in ihrer Verzweiflung dafür, die Dienste mehr oder weniger professioneller Einrichtungen in Anspruch zu nehmen, die eine Behandlung in Polen anbieten. Der Verband der Frauen und für Familienplanung schätzt, dass jährlich mehr als 100.000 illegale Abtreibungen vorgenommen werden. Die offizielle Zahl beträgt 1.100 Abtreibungen, wovon 2018 knapp 1.000 aufgrund von „irreparablen Schädigungen am Fötus“ vorgenommen wurden. Die Entscheidung des Verfassungsgerichts hat die Abtreibungen in Polen faktisch von den öffentlichen Kliniken in die Garagen der Gynäkolog*innen verlagert.

Gegen die katholischen Fundamentalisten

Als die Opposition gegen die Verschärfung des Anti-Abtreibungs-Gesetzes im Oktober vor und manchmal in katholischen Kirchen aufzutreten begann, wurde deutlich, dass die kirchlichen Autoritäten sich nicht auf die komfortable Position der Neutralität zurückziehen konnten. Es ist weithin unumstritten, dass der Klerus mitverantwortlich dafür ist, dass die Bedingungen geschaffen wurden, die erlaubten die Bestrebungen der Pro-Life-Fanatiker*innen in die Realität umzusetzen. Ein Akteur hat eine enorme Rolle in der Entwicklung der Idee des Schutzes von „Kindern in der pränatalen Phase des Lebens“ (sic!) gespielt: Ordo Iuris, die Vereinigung katholischer Fundamentalisten, mit einer ganzen Armee von gewieften Anwälten, von südamerikanischen Fanatiker*innen gut finanziert. Ordo Iuris ist momentan die größte Bedrohung für die Menschenrechte in Polen. Seine Mitglieder versuchen aktiv, ihre fanatische Weltanschauung in polnisches Recht zu übersetzen; wie sich zeigt, mit Erfolg.

Auf der rechten Seite des Grabens, der in den zahlreichen sozialen Medien verläuft, verbreiten geistig erbärmliche, aber sichtlich stark von ihrer eigenen Arroganz erregte Journalisten brutale Beleidigungen gegen Frauen, gegen die LGBT-Gemeinschaft, gegen Oppositionspolitiker*innen und gegen praktisch alle, die es wagen, sich der Pro-Regierungs-Mannschaft entgegenzustellen. Unter diesen narzisstischen Hetzern sticht der oben bereits erwähnte Rafał Ziemkiewicz durch seine besondere Härte hervor, die er und seinesgleichen als „Ungehorsam“ bezeichnen. Die giftigen Angriffe gegen Frauen, die für ihre Rechte kämpfen, können mit einer Prise Verschwörungstheorien gewürzt sein, z. B. in Form pseudowissenschaftlicher Argumenten über die Schädlichkeit jeder Art von Verhütungsmethoden mit Ausnahme der „Kalender“-Methode (von anderen „Vatikan-Roulette“ genannt) und ekelhafter Verdrehung der Gründe, die polnische Frauen zur Abtreibung drängen. Befürworter*innen der „Rechts auf Leben“ (von Embryonen) verweisen auf angebliche „eugenische“ Motive, insbesondere in Bezug auf Menschen mit Trisomie 21. Sie versuchen uns einzureden, die Entscheidungen, eine Schwangerschaft zu unterbrechen, basierten auf den außerordentlich egoistischen Einstellungen der Mütter, die durch die kulturellen Einflüsse des „faulen Westen“ verstört seien: Diese grausamen Frauen wollen einfach kein Mitleid mit ihren behinderten Kindern aufbringen und bestreiten den Wert ihres Lebens. Solch schockierende Meinungen werden nicht nur von religiösen Fanatiker*innen verbreitet, die vor den Kirchen Schriften verteilen, die vor den „jüdisch-kommunistisch-freimaurerischen Verschwörungen“ oder vor der „LGBT-Ideologie“ warnen. Sie werden auch in der Politik und in dem von unseren Steuern finanzierten öffentlich-rechtlichen Fernsehen vertreten.

In der rechten Auslegung der polnischen Kultur stellen Kinder den höchsten Wert dar – das bezieht sich allerdings nur auf die ungeborenen Kinder (Föten) und diejenigen, die noch keine eigene Meinung vertreten. In der Rhetorik der konservativen, sich radikalisierenden polnischen Rechten kann eine Jugendliche, die sich für ihr Recht auf ihre eigene Würde einsetzt, nur verzogen oder manipuliert sein. Doch der Einfluss dieser Aufrufe zur patriarchalen, herabwürdigenden Ordnung der allwissenden Männer in der Politik sowie anderen Verteidigern der „traditionellen polnischen Werte“ verblasst vor dem Zusammenschluss der sozialen Opposition, der sich aktuell vollzieht. Auch wenn die Dynamik der Straßenproteste abflaut – man kann nicht erwarten, dass vergleichbare Menschenmengen wie Ende Oktober dauerhaft auf die Straße gehen –, bleibt die Annäherung einer Vielzahl sozialer Gruppen im Widerstand gegen die Autoritäten eine Tatsache. Auch wenn das auf dem Höhepunkt der Covid-19-Pandemie völlig unvorstellbar erscheinen mag, befinden wir uns in einer Situation, von der man ohne Übertreibung sagen kann, dass sie wenn nicht revolutionär, doch extrem nah dran ist.

Nach der freudigen Überraschung

Das Ausmaß dieser Mobilisierung ist umso überraschender, als die polnische Gesellschaft seit vielen Jahren ruhiggestellt zu sein scheint, was größere Klassenkämpfe angeht. Die Besonderheit der Entwicklung des neoliberalen Kapitalismus in Polen geht über das Thema dieses Artikels hinaus, aber es ist doch interessant festzustellen, dass die gleichen Massen, die heute mit so großer Entschlossenheit demonstrieren, bis vor kurzem selbst im Vergleich zu anderen Ländern des ehemaligen Ostblocks noch außerordentlich apathisch und entpolitisiert waren.

Wir sollten natürlich vermeiden, zu euphorisch zu sein. So sind schon die aktuellen Proteste eine Quelle für scharfe Konflikte zwischen den unterschiedlichen Milieus, die sich in der Ablehnung des Urteils des Verfassungsgerichts einig sind. Weil eine organisierte Arbeitermassenbewegung fehlt (abgesehen von den geschwächten Gewerkschaften, von denen einige zögern, klar Position zur Abtreibung zu beziehen, und andere wie Solidarność, die beschämend auf ihrem historischen Erbe herumtrampelt, offen mit der extremen und auch neofaschistischen Rechten zusammenarbeiten), kann die Linke sich kaum Gehör verschaffen. Einerseits müssen die große Entschlossenheit und die Verdienste der Abgeordneten der Lewica[7] und anderer Aktivistinnen von unzähligen sozialen und politischen Organisationen unterstrichen werden, die sich an den Protesten beteiligt haben. Andererseits hat aber die Schaffung einer Organisation mit dem Namen „Rada Konsultacyjna“ (Konsultationsrat) durch die Organisation Frauenstreik, die OSK, [am 1. November 2020] große Kontroversen hervorgerufen.

Den Initiatorinnen zufolge soll der Rat eine rein beratende Funktion im Dienste der Massenbewegung einnehmen.[8] Allerdings kommen seine Mitglieder überwiegend aus dem Umfeld von Warschauer NGOs, akademischen Institutionen und politischen Organisationen, darunter auch ein ehemaliger Minister, der während der PO-Regierung[9] in Verruf geraten ist. Dieser Rat wurde nicht in einem demokratischen Prozess bestimmt, sondern auf Initiative der Führung der OSK und ihrer Mitstreiter*innen. Der Rat erklärt, er werde sich neben der Frage der Reproduktionsrechte auch mit den Fragen zu Arbeiter*innenrechten, Sozialpolitik, Bildungssystem oder Umwelt befassen, die von den Demonstrierenden aufgeworfen werden. Dabei ist nicht klar, was genau die Arbeit und das Ziel dieses Organs sein sollen. Klar ist jedoch, dass darin Personen mit sehr unterschiedlichen Ansichten in Bezug auf die grundlegenden Fragen wie die „Müllverträge“[10] vertreten sind. Es besteht daher die Gefahr, dass ein nicht demokratisch gewählter Rat, dessen Aufgaben nicht klar sind, sich spaltet, noch bevor er seine Arbeitsergebnisse vorlegen kann.

Das ist jedoch kein Grund, in Fatalismus zu versinken. Der Konsultationsrat könnte eine wichtige Rolle spielen, zum Beispiel in der Koordinierung der Verteidigung der Aktivistinnen, denen die Behörden bereits mit ersten Repressionen begegnen. Theoretisch sind die Aktivistinnen für Frauenrechte in den kleinen Städten für die am leichtesten anzugehen, da sie keine starke soziale und mediale Unterstützung haben. Ihnen drohen bereits Strafen von bis zu acht Jahren Gefängnis, Kündigungen und unterschiedliche Formen der Ausgrenzung. Sie sind aber auch starke Personen, die unter diesen außergewöhnlichen Umständen auf die Solidarität einer nie dagewesenen Bewegung in ganz Polen zählen kön

nen. Es scheint, dass eine der wichtigsten Parolen der schleichenden polnischen Revolution – „du wirst nie wieder allein sein“ – diesmal in der Realität bestätigt wird.

Warschau, 8. November 2020

* J.D. und Z.R. sind Aktivist*innen der polnischen radikalen Linken. Sie sind in öffentlichen Institutionen im Kulturbereich angestellt. Um sie angesichts des Verbots, „öffentlich ihre politischen Meinungen zu äußern“, nicht der Gefahr von Kündigungen auszusetzen, haben wir uns entschieden, ihre Namen nicht zu veröffentlichen.
Diesen Artikel hat Jan Malewski von der Redaktion der französischen Zeitschrift Inprecor aus dem Polnischen ins Französische übersetzt und mit Fußnoten und Zwischenüberschriften versehen. Die Übersetzung vom Französischen ins Deutsche hat Nora Bräcklein angefertigt.

Quelle: http://inprecor.fr/article-La-r%C3%A9volution-des-femmes-polonaises-apr%C3%A8s-l%E2%80%99attaque-contre-les-droits-reproductifs?id=2396

Erstveröffentlichung der deutschen Übersetzung: https://intersoz.org/proteste-nach-angriff-auf-reproduktionsrechte/?fbclid=IwAR2WwWKiRWHW0PGIGIccAH_WWxpAKzREbjgswTNEJJSIT8R-S6evy75HSm0


[1] Julia Przyłębska, geboren am 16. November 1959, Juristin und Diplomatin, wurde im Dezember 2015 von den PiS-Abgeordneten im parlamentarischen Unterhaus (Sejm) zum Mitglied des Verfassungsgerichts gewählt. Im Dezember 2016 ernannte der Präsident der Republik Andrzej Duda (PiS) sie zur Präsidentin des Verfassungsgerichts. Vielen Jurist*innen zufolge, darunter auch die ehemaligen Präsidenten dieses Gerichts, verstieß diese Ernennung gegen das Gesetz.

[2] Marta Lempart, von Beruf Juristin und Mitinitiatorin der polnischen Organisation Ogólnopolski Strajk Kobiet (OSK), die sich für das Recht auf freie Abtreibung einsetzt, war eine der Organisatorinnen der „Schwarzen Proteste“ – einer Mobilisierung von Frauen im September und Oktober 2016 gegen den Versuch, ein Gesetz zum absoluten Abtreibungsverbot in Polen durchzusetzen – sowie des „Schwarzen Montag“ (3. Oktober 2016), des ersten Frauenstreiks in Polen. Diese Mobilisierung zwang die PiS-Regierung, die Gesetzesvorlage zurückzunehmen. Sie beteiligte sich auch an der Organisierung von Bewegungen zur Verteidigung der Unabhängigkeit der Justiz, gegen die Pädophilie der Geistlichen in Polen, zur Verteidigung der LGBT+ und behinderter Menschen. Sie hat sich öffentlich geoutet.

[3] Für das Jahr 2020 wird die polnische Bevölkerung auf 38 Millionen Einwohner*innen geschätzt.

[4] Wörtlich übersetzt bezieht sich der Nachnamen des PiS-Präsidenten auf die Ente (auf Polnisch: kaczka).

[5] Siehe https://www.youtube.com/watch?v=FQq6Mwv_jpw oder https://soundcloud.com/cypisunofficial.
Zu dem Zeitpunkt, zu dem dieser Text verfasst wird, wurde das Video bereits mehr als 4,7 Millionen Mal auf YouTube angeschaut.

[6] Dieses Verfassungsgericht, das die PiS-Regierung 2015 grundlegend umstrukturiert hat – eine von der Europäischen Union angezweifelte Umstrukturierung – hat nicht mehr viel mit einer unabhängigen Justiz gemein, und sei es nur formell. Es ist illegitim, wie seine Präsidentin, woher auch die weit verbreitete Bezeichnung Przyłębska-Gericht rührt.

[7] Lewica (die Linke) ist der Name des politischen Bündnisses, das sich zusammensetzt aus SLD (Bündnis der demokratischen Linken, das seine Wurzeln in der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei hat, die von 1944 bis 1989 an der Macht war), Wiosna (Frühling, eine Mitte-links-Partei, gegründet 2019 vom LGBT-Aktivisten und Journalisten Robert Biedroń), Lewica Razem (Linke Gemeinsam, eine 2015 gegründete Partei links von der SLD), PPS (Polnische Sozialistische Partei, die sich selbst der sozialdemokratischen Tradition zuordnet) und mehrere andere kleine politische Organisationen, darunter die feministische Initiative ebenso wie eine Bauerngewerkschaft und eine Studierendengewerkschaft. Lewica erreichte den dritten Platz bei den Wahlen im Oktober 2019 mit 49 Abgeordneten (24 SLD, 19 Wiosna und 6 Lewica Razem) sowie zwei Senatoren (1 Wiosna und 1 PPS).

[8] Für Einzelheiten siehe https://en.wikipedia.org/wiki/Consultative_Council_(Poland) (Anm. d. Red.)

[9] Platforma Obywatelska (Bürgerplattform) ist die wichtigste neoliberale konservative Partei Polens, 2001 gegründet aus Sektoren des Wahlbündnisses Solidarität (AWS, aus dem auch die PiS entstanden ist) und der Freiheitsunion (UW, deren Wurzeln in den liberalen Strömungen der polnischen Opposition und der Gewerkschaft Solidarność liegen). Die PO führte die polnische Regierung von November 2007 bis November 2015, und der Präsident der Republik von 2010 bis 2015, Bronisław Komorowski, kam aus ihren Reihen. Bei den Wahlen 2019 erhielt das von der PO initiierte Wahlbündnis mit der kleinen linken Partei Inicjatywa Polska (iPL, polnische Initiative), der liberalen Partei Nowoczesna (Moderne) und der kleinen Partei Die Grünen 134 Abgeordnetensitze (111 PO, 8 Nowoczesna, 4 iPL, 1 Grüne). Die PO gehört der Europäischen Volkspartei an, deren Präsident zur Zeit der ehemalige polnische Premierminister Donald Tusk ist.

[10] Bei „Müllverträgen“ handelt es sich nicht um echte Arbeitsverträge, sondern um gewerbliche Verträge, mit denen Mitarbeiter*innen für eine bestimmte Aufgabe eingestellt werden können. Die betroffenen Arbeiter*innen haben weder eine festgelegte Arbeitszeit, noch eine Sozialversicherung. Die Zahl derjenigen, die nur von diesen „Müllverträgen“ leben, ist unter der PiS-Regierung auf 1.200.000 gestiegen.