Weg mit dem Militärregime in Myanmar!

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2021-06-22T22:24:29+02:007. März 2021|
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Weg mit dem Militärregime in Myanmar!

Weg mit dem Militärregime in Myanmar!

07.03.2021

Nach dem Militärputsch in Myanmar beteiligen sich fast alle sozialen Schichten an den Protesten dagegen. Vorangegangen war ein politischer Konflikt zwischen dem Militär mit der Partei von Aung San Suu Kyi. Die Vierte Internationale hat mehrere Forderungen zum Konflikt aufgestellt.

Am Sonntag, den 28. Februar, schossen Bereitschaftspolizei und Soldaten in vielen Teilen des Landes – oft wahllos – auf die Bevölkerung, töteten, laut der burmesischen Tageszeitung The Irrawady, mindestens 13 Menschen und verletzten viele andere schwer – so die vorläufige Bilanz. Mit dieser koordinierten Aktion soll die Bewegung des zivilen Ungehorsams zerschlagen werden. Im Zuge einer neuen Verhaftungswelle wurden bereits mehr als 830 Personen festgenommen oder zur Fahndung ausgeschrieben. Auch am Montag, den 1. März, gab es weitere Verhaftungen, aber anscheinend hält sich die Armee vorläufig mit weiteren schweren Angriffen zurück, während Demonstrant*innen Barrikaden errichten, um ihre Stadtviertel zu schützen. Die Repression hat eine neue Stufe erreicht, weswegen internationale Solidarität umso dringlicher ist.

Die burmesische Armee (Tatmadaw) steht seit 1962 ununterbrochen im Zentrum der Macht, nicht erst seit dem Putsch vom 1. Februar 2021. Es geht dabei auch nicht einfach um ein Gerangel zwischen verschiedenen Militärfraktionen, wie dies in der Vergangenheit der Fall war, auch wenn es den politischen Ambitionen von Stabschef Min Aung Hlaing zupasskommt, der dieses Jahr das Rentenalter erreicht. Der Putsch dient vielmehr weitgehend der „Prävention“, da die politische Situation unkontrollierbar geworden ist. Burma (Myanmar) wird von einer tiefen sozioökonomischen und politisch-institutionellen Krise erschüttert, die die gewaltigen Umwälzungen in der Gesellschaft und die Auswirkungen der Gesundheitskrise durch Covid-19 widerspiegelt, deren Management durch das Regime katastrophal war.

Offensichtlich verkannte der Stab der Tatmadaw das Ausmaß dieser Umwälzungen und rechnete nicht mit dieser immensen, zunächst weitgehend spontanen Bewegung des zivilen Ungehorsams, die der Putsch auslöste. Die letzte massive Mobilisierung gegen die Militärdiktatur, die vor allem von der Studierendenbewegung und den Beamt*innen initiiert worden war, fand 1988 statt und wurde vom Regime damals blutig niedergeschlagen. Augenscheinlich ist die gegenwärtige Mobilisierung breiter. Fast alle sozialen Schichten stellen sich aktiv gegen den Putsch, ebenso wie die meisten Nationalitäten der multiethnischen Union Myanmar. Anders als 1988 hat sie sich schnell eine eigene Aktionsstruktur geschaffen, das Komitee für zivilen Ungehorsam (CDM).

Nach den Wahlen von 2015, die von Aung San Suu Kyis Nationaler Liga für Demokratie (NLD) gewonnen wurden, wurde im Folgejahr ein (höchst ungleiches) Abkommen zur Teilung der Macht zwischen dem Militär und Suu Kyi getroffen, das einen „friedlichen demokratischen Übergang“ einleiten sollte. Der Putsch vom 1. Februar besiegelt das Scheitern dieses Übergangs. Dennoch konnte sich die Zivilgesellschaft in dieser Zeit festigen und neue Erfahrungen sammeln und dabei die Dynamik vorantreiben, die bereits ein Jahrzehnt zuvor begonnen hatte, als sich nach der wirtschaftlichen Öffnung des Landes ein Industrieproletariat entwickelte – darunter viele junge Frauen – und Gewerkschaften (vor allem im exportorientierten Bekleidungssektor), Verbände und NGOs entstanden. Es entwickelt sich auch eine kritische oder gewerkschaftsnahe Presse und schließlich wurden sogar Wahlen abgehalten. Solidarische Beziehungen auf internationaler Ebene wurden geknüpft und der Kampf für soziale und demokratische Rechte hat an Zustimmung gewonnen. Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, dass die NLD versucht hat, diese Bewegungen ausschließlich für ihre wahltaktischen Belange zu instrumentalisieren, und dass ihre Regierung Gesetze verabschiedet hat, die die Freiheiten einschränkten.

Im Konflikt zwischen Aung San Suu Kyi und der Armee ging es nicht in erster Linie um Fragen der allgemeinen politischen Ausrichtung. Das Militär verdächtigt sicherlich Beijing, den Wahlkampf der NLD finanziert zu haben, und hat in der Vergangenheit nationale Bewegungen, die von China unterstützt wurden, bekämpft und wird dies wahrscheinlich auch weiterhin tun. Allerdings muss sich das Militär mit der benachbarten Großmacht ins Benehmen setzen, die massiv in dem Land investiert und die Infrastruktur ausbaut, insbesondere den Tiefseehafen in der Region Rakine (Arakan). Für Xi Jinping ist Burma von strategischer Bedeutung: Es stellt einen „Korridor“ dar, der ihm den Zugang zum Indischen Ozean ermöglicht, um die Straße von Malakka zu umgehen, die ihm im Falle eines regionalen Konfliktes verschlossen werden könnte.

Die Tragödie von 2017 bestätigt, dass sich die Krise zwischen der NLD und dem Generalstab nicht an diesem Thema entzündet hat, ganz im Gegenteil. Unter der Ägide von General Min Aung Hlaing griffen das Militär und Paramilitärs die Rohingyas an, eine überwiegend muslimische Bevölkerung, unter der ein regelrechtes Massaker angerichtet wurde, um dadurch leichter die chinesischen und indischen Interessen auf diesem Territorium durchsetzen zu können. Die extrem brutalen Verfolgungen hatten zum Massenexodus von 730 000 Mitgliedern dieser Gemeinschaft geführt. Weit davon entfernt, gegen dieses Massaker zu protestieren, hat Aung San Suu Kyi – noch kurz davor Empfängerin des Friedensnobelpreises! – das völkermörderische Regime, auch auf internationaler Ebene, mit Zähnen und Klauen verteidigt und dabei jede demokratische und humanitäre Glaubwürdigkeit verloren. In der Tat vertritt Suu Kyi wie die Führung des Militärregimes den Ethnonationalismus der Birmanen (der Mehrheitsbevölkerung Myanmars) und nahm dabei keinerlei Rücksicht auf die Rohingyas, die sie noch nicht einmal bei ihrem Namen nennen wollte. Die Rohingyas erhielten damals auch keine Unterstützung von den anderen Nationalitäten des Vielvölkerstaats.

De facto fand das Kräftemessen zwischen Aung San Suu Kyi und Min Aung Hlaing auf institutioneller Ebene statt. Mit dem Kompromiss von 2016 war das Problem der Verfassungsreform nicht gelöst worden. Laut der Verfassung von 2008 sind 25 % der Sitze im Parlament und im Senat dem Militär vorbehalten (seine Vertreter werden vom Militärstab ernannt und nicht gewählt). Für eine Verfassungsänderung sind mindestens 75 % der Stimmen erforderlich. Die von oben ernannten Abgeordneten sind zusammen mit ihren Verbündeten in der Lage, jeden Änderungsantrag zu blockieren, der ihren Interessen zuwiderlaufen würde. Darüber hinaus hat die Junta, obwohl das Amt des Staatspräsidenten von Rechts wegen einer Zivilperson zusteht, eine eigens entworfene Klausel in die Verfassung aufgenommen, um zu verhindern, dass Aung San Suu Kyi den Posten übernehmen kann: Personen mit ausländischem Ehepartner oder Kindern (was bei ihr der Fall ist) können nicht dafür kandidieren. Sie war also ‒ als Ratsmitglied ‒ nur „faktisches“ Staatsoberhaupt, nicht dem Titel nach.

Bei den freien Wahlen im November 2020 errang die NLD einen überwältigenden Erfolg (83 % der Stimmen) auf Kosten der Partei der Militärs. Gestärkt durch ihre wiederholten Wahlerfolge war Suu Kyi in der Lage, ein Ende des institutionellen Stillstands zu fordern, was der Generalstab und Min Aung Hlaing ablehnten. Gegen ihren Willen konnten keine Verfassungsänderungen beschlossen werden, da sie über eine Sperrminorität an (nicht gewählten) Parlamentssitzen verfügten. Da die Junta zunehmend an Legitimation einbüßte, putschte sie präventiv.

Dass sich die Zeiten jedoch geändert hatten, sah man an dem sofortigen massiven Widerstand gegen den Militärputsch. Wieder einmal stehen junge Menschen – auch Schüler*innen – an vorderster Front des Kampfes. Diese sogenannte Generation Z ist ganz anders als ihre Vorgängerin bei den Mobilisierungen von 1988. Sie ist sehr weltoffen, beherrscht die modernen Kommunikationsmittel, ist sehr erfinderisch und reaktionsfreudig und greift auf die gleichen Aktionsformen zurück wie ihre Pendants in der Region, insbesondere in Thailand: vom Straßentheater bis zum Symbol der drei himmelwärts gerichteten Finger, in Anlehnung an die Buch- und Filmserie „Die Tribute von Panem“. Hierin zeigt sich ganz besonders der Epochenwechsel, zumal das Land lange Zeit durch das Militärregime isoliert gehalten wurde.

Auch Beschäftigte des Gesundheitswesens, Beamt*innen, Lehrer*innen, Journalist*innen, öffentliche und private Angestellte, Müllwerker*innen, Feuerwehrleute, Unternehmer*innen und Ladenbesitzer*innen – mithin die ganze Gesellschaft – bekundeten ihren Widerstand. Der Dachverband der Gewerkschaften von Myanmar (CTUM) rief für den 8. Februar zu einem Generalstreik auf, von dem viele vom Militär kontrollierte Betriebe betroffen waren. Die Bewegung hat sich auf die Bauernschaft ausgeweitet, die durch den Zustrom ausländischer Investitionen in Mitleidenschaft gezogen wurde. Lokale Gemeinden wehren sich gegen Bergbauprojekte oder den Bau von Staudämmen. Zu denjenigen, die bei diesen Protesten eine besonders wichtige Rolle spielen, gehören die Generation Z, die Älteren der Generation 88 und die Gewerkschaftsbewegung, die im Komitee für zivilen Ungehorsam (CDM) zusammenarbeiten. Sie propagieren einen (gewaltfreien) zivilen Ungehorsam und führen parallel Streiks sowie „fließende“ Aktionen oder Massenkundgebungen durch. Der CDM hilft insbesondere bei der Organisierung von Solidarität mit den Streikenden, die ohne Einkommen dastehen. Ein weiterer Teil der Widerstandsbewegung ist die NLD, deren Führer*innen systematisch von Repressionen betroffen sind. Die Mobilisierungen im birmanischen Kernland finden oft unter den Fahnen der Liga und dem Porträt von Aung San Suu Kyi statt.

Oppositionelle Bewegungen gibt es auch unter den meisten anderen Nationalitäten. Auch wenn sie Suu Kyi, einer birmanischen Ethnonationalistin, nicht vertrauen, befürchten sie, dass ihnen durch den Putsch eine militärische Intervention drohen könnte. Da die Frage der Verfassungsreform auf der Tagesordnung steht, erheben sie ihre eigenen Forderungen, etwa nach einem echten Föderalismus. Die Rechte der Nationalitäten sind ein Schlüsselthema für die Zukunft der Union Myanmar.

Die Generation der hochrangigen Offiziere an der Spitze der Armee hat nicht die gleiche Laufbahn durchlebt wie diejenigen, auf die sich die burmesische Diktatur früher gestützt hat. Sie kontrollieren zwei große Mischkonzerne, deren Gewinne vom regionalen Handel abhängen und die die Hauptstütze des „Khaki-Kapitalismus“ sind, und daneben den lukrativen Handel mit Jade und anderen Edelsteinen, Drogen und Holz. Die Militärspitze geht wohl (zu Recht) davon aus, dass sich die asiatischen Nachbarn, Handelskammern und transnationalen Konzerne mit dem Putsch arrangieren würden. Die Macht der Widerstandsbewegung ist jedoch so groß, dass Burmas Wirtschaftspartner (mit wenigen Ausnahmen wie China) nicht einfach wegsehen können. Vor allem transnationale Unternehmen haben Angst, wie in der Vergangenheit von Boykottkampagnen betroffen zu sein.

Die Junta setzt (zunächst) auf polizeiliche Repression, der (bis zum 24.2.) fünf Menschen zum Opfer fielen. Mehr als 700 Personen wurden allein bis dahin verhaftet. Sie demonstriert ihre Stärke, indem sie die Armee aufmarschieren lässt. Aber dies radikalisiert die Proteste nur noch mehr. Mittlerweile setzt die Junta wohl darauf, dass der Bewegung im Laufe der Zeit die Luft ausgeht, zumal die Bevölkerung unter fürchterlicher Armut leidet. Sie versucht, die Opposition zu spalten, indem sie einige bekannte Personen ins Kabinett beruft. Auch Abkommen mit Vertretern verschiedener Nationalitäten werden geschlossen. Da sich die klientelkapitalistischen Strukturen über das ganze Land erstrecken, können Mitglieder der lokalen Eliten kooptiert werden. Um die ausländischen Regierungen zu beruhigen, werden (kontrollierte) Wahlen in Aussicht gestellt. Jedoch ist nicht auszuschließen, dass sich das Regime zu gegebener Zeit für eine massive, blutige Repression entscheiden wird.

Unter diesen schwierigen Bedingungen bekräftigt die Vierte Internationale ihre volle Solidarität mit der großartigen Bewegung des zivilen Ungehorsams, deren Umfang, Engagement und Dynamik sie begrüßt.

  • Sie fordert die bedingungslose Freilassung aller politischen Gefangenen.
  • Sie unterstützt die Nationalitäten bei der Verteidigung ihrer Rechte.
  • Sie fordert die Aufhebung aller freiheitsraubenden Gesetze (insbesondere im Bereich der Cybersicherheit), die eine grenzenlose Repression ermöglichen, den Schutz der Demonstrant*innen und Streikenden sowie die Achtung der Meinungs- und Pressefreiheit, der Vereinigungsfreiheit, der Gewerkschaftsrechte …
  • Myanmars Mitgliedschaft in internationalen Organisationen, beginnend mit der ASEAN, muss ausgesetzt werden, bis demokratische Wahlen stattgefunden haben und eine zivile Regierung gebildet ist, die frei von militärischer Bevormundung ist.
  • Das Militär besitzt zwei riesige Mischkonzerne, die Myanmar Economic Corporation (MEC) und die Myanmar Economic Holdings Limited (MEHL). Jegliche Zusammenarbeit mit diesen Konzernen muss gestoppt und das Auslandsvermögen von Mitgliedern der Junta und ihren Verbündeten eingefroren werden. Die Produkte der vom Militär kontrollierten Industrien müssen boykottiert werden.
  • Die Bedingungen für eine weitreichende Verfassungsreform müssen geschaffen werden. Eine bloße Rückkehr zur Situation vor dem 1. Februar ist sinnlos: Die Armee stand damals bereits im Zentrum der Macht, sie war und wäre wieder in der Lage, jeden demokratischen Übergang zu blockieren.
  • Die Erfahrungen auf regionaler (Thailand etc.) und internationaler Ebene zeigen, dass die zunehmend härtere Gangart autoritärer Regime auf den (durchaus erfolgreichen) Widerstand der Bevölkerung trifft. Das Volk in Myanmar erhielt sofort die Unterstützung der informellen „Milchtee-Allianz“, die in Hongkong, Taiwan, Burma und Thailand aktiv ist. Es ist Zeit für einen neuen solidarischen Internationalismus!

24. Februar 2021

Internationales Komitee der Vierten Internationale