Kickls Machtträume von Kanzler- und Ministerämtern sind kurz vor dem Ziel – vorerst – geplatzt. Er hat es mit seinen provokanten und unannehmbaren Forderungen, die er der ÖVP zudem über die Medien ausgerichtet hatte, vermasselt. Spät, aber doch hat die ÖVP realisiert, worauf und mit wem sie sich da bei Kickl eingelassen hat: Der Mann, der sich als Extremsportler beim „Ironman-Triatlon“inszeniert, ist maßlos und zu allem entschlossen, wenn es um Macht geht.

Die ÖVP hatte seinen Köder geschluckt: Für seine Hilfe bei der Umsetzung eines radikal-neoliberalen Wirtschafts- und Sozialzerstörungsprogrammes, einer Umverteilung von unten nach oben, wollte er das Bundeskanzleramt und einige Schlüsselministerien mit entsprechendem Einfluss im Staats- und Beamtenapparat. Gerade führt sein Vorbild Trump in den USA vor, was das für die Staatsbeamten bedeutet. Jetzt scheint die ÖVP langsam aufzuwachen und zu kapieren, welchen Preis sie dafür zahlen müsste. Die ÖVP hat auch krass unterschätzt, wie hemmungslos Kickl seine Politik in Österreich und in der EU umsetzen will. Als Bundeskanzler wollte er mit seinen Störmanövern im Sinne der Fraktion „Verteidiger Europas“ ohne Abstimmung mit der ÖVP fuhrwerken. Niemand hätte ihn dabei bremsen können. Gleichzeitig wollte er diese einmal errungene Macht dauerhaft festigen, indem z.B. der öffentliche Rundfunk ORF geschwächt und an die politische Leine gelegt wird (Abschaffung der Beiträge, stattdessen Finanzierung aus dem Budget), während die gekürzten Mittel auf FPÖ-TV und andere blaue Kanäle umgeleitet werden. Kickl wollte auch andere demokratische Kontrollmöglichkeiten stark einschränken, beispielsweise die Arbeiterkammer oder Studentenvertretung entscheidend schwächen. Kurzum, die ÖVP hat den Machtwillen und die Entschlossenheit von Kickl total unterschätzt und wähnte sich in „normalen Koalitionsverhandlungen“, bei denen die ÖVP für die Abtretung einiger Machtpositionen ihr Umverteilungsprogramm zu Gunsten ihrer reichen und superreichen Sponsoren durchsetzen könnte. Im letzten Moment hat die ÖVP nun die Koalitionsverhandlungen abgebrochen.

Die ÖVP – obwohl bei den Wahlen am 29. September 2024 mit 2,6% Abstand nur an zweiter Stelle – hatte zunächst strategisch alle Trümpfe in der Hand: Sie konnte sich aussuchen, ob sie mit der FPÖ oder mit den Sozialdemokraten eine Regierung bilden wollte. Durch den Abbruch der Verhandlungen hatte sie sich die Option mit der Sozialdemokratie praktisch verbaut, gleichzeitig stürzte sie in den Meinungsumfragen gegenüber dem bereits historisch schlechtesten Wahlergebnis (- 11,2%) um weitere 9,3% auf bis zu 17% ab. Währenddessen schossen die Werte der FPÖ bei Meinungsumfragen um bis zu 10,1% auf 39% in ungeahnte Höhen. Die Flucht in Neuwahlen war für die ÖVP daher keine Option. Aber auch eine Wiederaufnahme der vor kurzem abgebrochenen Verhandlungen mit den Sozialdemokraten erschien sehr schwierig. Sie steckt also strategisch ganz schön in der Sackgasse.

Werden sich die Kickl-Fans vom erhofften Macher jetzt enttäuscht abwenden? Dieser Absetzungs-Prozess der Wähler*innen hat – wie aus inzwischen 6 Meinungsumfragen in Serie zu ersehen ist – jedenfalls bereits in den letzten Wochen in kleinen Schritten begonnen. Warum? Es sind immer mehr unpopuläre Details der FPÖ-Forderungen und Zustimmungen in den Regierungsverhandlungen durchgesickert (Einfrieren der Pensionen, Hinaufsetzung des gesetzlichen Pensionsalters, Verlängerung des Grundwehrdienstes auf 10 und des Zivildienstes auf 13 Monate, Erhöhung der Krankenkassenbeiträge für Pensionist*innen usw.) und die immer miesere Stimmung zwischen ÖVP und FPÖ war auch von aussen zu spüren. Trotzdem sind die Umfragewerte für die FPÖ noch immer um mindestens 4,1% über dem Rekordwert der Septemberwahl bei derzeit 33 – 34%.

Die ÖVP hat durch ihren Bruch eines zentralen Wahlversprechens viel Vertrauen verspielt. Es ist fraglich, ob sie mit dem Abbruch der Verhandlungen mit der FPÖ nun das Vertrauen der Wähler:innen wieder zurückholen kann. Bekanntlich hatte der Wirtschaftsflügel die Kontrolle im Parteivorstand übernommen, einen abrupten Kurswechsel zum Abbruch der ursprünglichen Verhandlungen mit der SPÖ hin zu einer Regierungsbeteiligung als Juniorpartner unter Kickl als Kanzler durchgesetzt und Nehammer damit zum Rücktritt gezwungen. Dieser Kurs ist jetzt krachend an den überzogenen Forderungen von Kickl gescheitert. In der ÖVP herrscht nun Katzenjammer. Der Wirtschaftbund will sich jetzt sogar von der Industriellenvereinigung, die am meisten Druck für eine Koalition mit der FPÖ gemacht hatte, abgrenzen. Fix ist, dass der Wirtschaftsflügel in der ÖVP durch das Verhandlungsfiasko jetzt etwas geschwächt dasteht. Ob das deren putschartige de facto-Machtübernahme in der Partei beendet?

Sozialdemokratie, Grüne und KPÖ im leichten Aufwind

Laut Umfrage vom 15.2. konnte die Sozialdemokratie ihr weiteres Abrutschen seit der Wahl allmählich umkehren und landet aktuell mit 22% auf dem 2. Platz vor der ÖVP. Die Grünen können um 1,8% auf 10% zulegen und die bei 9% stagnierenden Neos überholen. Die KPÖ gewinnt konstant 0,6% und steht jetzt bei 3%. Das Scheitern von Kickl bei der Regierungsbildung wird diese Trends wohl verstärken.

Die Falle neuer Regierungsverhandlungen für Sozialdemokratie und Grüne

Schon das Gefühl sträubt sich beim Gedanken an eine Wiederaufnahme der alten Regierungsverhandlungen zwischen ÖVP und SPÖ. Warum? Was soll denn dabei Gutes herauskommen? Das Beste daran wäre natürlich das Fernhalten der FPÖ von den Machtpositionen in der Regierung, in der Folge auch vom Beamtenapparat und von den Finanzquellen der öffentlichen Fonds. Aus diesen wollte sie sich in der Vergangenheit gerne und ungehemmt bedienen – siehe die Selbstoffenbarungen in IBIZA! Es gibt auch eine beschränkte Aussicht, dass eine Bankenabgabe durchgesetzt werden könnte. Dies hat ÖVP-Parteichef Stocker im ZIB2-Interview vom 12.2. bereits angedeutet. Aber würde diese reichen, um das Budget zu sanieren?

Wenn man sich die Größenordnungen vor Augen führt: 6,4 Milliarden Sanierungsbedarf beim Budget noch im Jahr 2025 im Vergleich zu einer möglichen Bankenabgabe, die in einer von der ÖVP akzeptierten Form vielleicht maximal eine halbe Milliarde bringen würde: Da sieht man gleich, dass die große Mehrheit der Bevölkerung, insbesondere der werktätigen Bevölkerung, bei einer Regierung unter ÖVP-Führung trotzdem die Hauptlast für die Budgetsanierung aufgebürdet bekäme.

Was tun?

Es gäbe mögliche Alternativen. Sogar der Bundespräsident Van der Bellen hat am 12.2. eine in seiner Aufzählung von vier möglichen Alternativen genannt: Eine Minderheitsregierung mit parlamentarischer Duldung der SPÖ (und den Grünen, ev. auch von Neos). Diese Variante hätte zwei Vorteile:

1. Kickl & FPÖ bleiben von Machtpositionen in der Bundesregierung und vom Zugang zu den öffentlichen Finanzen auf Bundesebene fern.
2. Die Sozialdemokratie muss nicht automatisch die politische Verantwortung für die Sanierung eines Budgetdefizits, das die ÖVP-Finanzminister hinterlassen haben, durch massiven Sozialabbau und höhere Massensteuern übernehmen. Sie könnte Klartext reden, dieses Versagen der türkisen Finanzminister offenlegen und kritisieren. Wenn die ÖVP Sozialabbau betreiben will, müsste sie sich die Parlamentsmehrheit halt bei den Blauen und Neos holen. Damit bliebe die politische Verantwortung dort, wo sie hingehört und es würde eine Konstellation geschaffen, die bei jedem Sozialabbau breite öffentliche Diskussionen – und die Organisation von Widerstand ermöglicht.

Diese Kombination würde günstige Dynamiken befördern, Transparenz herstellen und könnte zu einem Erstarken der Sozialdemokratie, der Grünen und Kräften links davon beitragen– wenn es diesen gelingt, sich klug in die Diskussion einzubringen.

Notwendig wäre, parallel dazu Widerstand gegen jeden Sozialabbau und auch gegen mögliche Maßnahmen des Abbaus demokratischer Kontrolle bzw. Eingriffe in die Unabhängigkeit der Justiz zu organisieren. Daran führt keine noch so kluge Taktik vorbei. Der Schlüssel für die Abwehr des drohenden Sozialraubes, der Zerstörung von in Jahrzehnten erkämpften sozialen und gesellschaftlichen Errungenschaften (Österreich ist bisher die „Agenda 2010 und Hartz IV erspart geblieben) halten die vielen Menschen in der Hand, die aktiv werden und sich kämpferisch einzumischen beginnen. Nur so kann das gesellschaftliche Kräfteverhältnis wieder für die arbeitende Klasse und für fortschrittliche Bewegungen verbessert werden. Zuerst organisieren wir die Verteidigung. Üben wir breite öffentliche Kritik, organisieren wir Proteste, vernetzen wir alle sich entwickelnden Widerstände, insbesondere auch bei Frauen, der Jugend, in der Klimaschutz- und Gewerkschaftsbewegung, organisieren wir Widerstandskonferenzen und aktiven Widerstand! Gelingt das, könnten wir wieder in die Offensive kommen!

Die politischen Bedingungen dafür sind aber leider denkbar schlecht: Der mediale Druck auf die Sozialdemokratie ist enorm, die Partei immer noch de facto in drei Flügel gespalten. Eine Führung durch die Klippen eleganter Manöver ist so schwierig. Im Moment sieht es so aus, als ob die Sozialdemokratie für ein paar Ministerien bereit ist, im Wesentlichen die von der ÖVP mit der FPÖ ausgehandelten Sozialkürzungen mitzutragen, ein bisschen versüßt mit einer Bankenabgabe, der die Giftzähne gezogen wurden. Wahrscheinlich könnte man sich so auch die Zerschlagung oder enorme Schwächung des ORF und einen Frontalangriff auf die Arbeiter:innenkammer ersparen. Mit einer Sozialdemokratie in der Regierung wird es aber schwierig, die Gewerkschaft für eine Beteiligung am notwendigen Widerstand gegen eine wesentliche Schwächung des Sozialstaates zu bewegen. Auch ist zu befürchten, dass die Kritik an den Ursachen des gewaltigen Budgetdefizits von der Sozialdemokratie begraben und keine nennenswerte Kritik am geplanten massiven Sozialabbau stattfinden wird.

Und die KPÖ, und LINKS? Oh weh – auf deren Websiten findet sich zwar die Wienwahl, in Graz Artikel zur Kommunalpolitik in Graz. Aber breite Kritik zum drohenden Volkskanzler Kickl oder zum ebenso drohenden Sozialabbau, zum Rechtsruck (auch der ÖVP) und den düsteren gesellschaftlichen Perspektiven ist schmerzlich zu vermissen. Andere Linke geben sich mit abstrakter Kritik am Kapitalismus zufrieden. Die Linke ist leider nicht wirklich fit und präsent, um sich den aktuellen Herausforderungen zu stellen.

Donnerstagsdemos und Demokratie-Initiativen

Bleiben die österreichweit, aber bisher nur lokal operierenden Demokratie-Initiativen – und die wieder begonnenen Donnerstagsdemos. Erstere haben begonnen, sich österreichweit zu koordinieren und zu organisieren. Im Unterschied zu Deutschland und trotz der viel größeren und akuteren Bedrohung in Österreich kamen selbst die bisher größten Wiener Demonstrationen gegen einen drohenden Volkskanzler Kickl nicht über 35 – 80.000 Teilnehmer:innen hinaus. In den Bundesländern protestierten gar nur Hunderte. Das ist zwar ein wichtiger Anfang, aber die Teilnahme ist noch viel zu schwach. Spannend ist der beginnende Widerstand bei Journalist:innen. Der Redakteursrat des ORF hat eine bemerkenswerte Resolution herausgegeben, in der vor der Zerstörung des Öffentlichen Senders gewarnt wird. Dafür gibt es Interesse und Unterstützung aus anderen gesellschaftlichen Bereichen. Über 1.000 Wissenschaftler haben ebenfalls eine Resolution in Umlauf gebracht, in der vor einem Angriff auf die Wissenschaft gewarnt wird. Das sind zwei wichtige, aber völlig ungenügende Ansätze. Allerdings meinen auch viele, mit dem Abbruch der Regierungsverhandlungen wäre die Gefahr im Wesentlichen ohnehin schon wieder vorüber. Dazu kommt die politische Schwäche der Proteste, die sich hauptsächlich auf demokratiepolitische Forderungen und auf Kritik am Rechtsextremismus beschränken und die sozialen Fragen sträflich vernachlässigt. Genau diese Schwächen zu überwinden wird die Aufgabe linker Kräfte in diesen Bewegungen sein, um einen weiteren Anlauf der FPÖ zur Macht zum Scheitern zu bringen. Täuschen wir uns nicht: Kickl hat möglicherweise den Abbruch der Verhandlungen nur provoziert, um seine Position durch erhoffte Neuwahlen nochmals zu verbessern. Die Chancen für Kickls Machtübernahme im nächsten Anlauf sind weiter intakt, vor allem, wenn es nicht gelingt, Widerstand gegen Sozialabbau und eine weitere Verschiebung nach rechts aufzubauen.

 

Eine Anmerkung zu den Maastricht-Kriterien:

Warum werden eigentlich Maastricht-Kriterien, mit denen krasse antisoziale Programme „begründet“ werden, als gottgewolltes Naturgesetz behandelt? Diese Kriterien wurden am 7. Februar 1992 politisch und willkürlich mit diesem Wert zwischen den damaligen EU-Ländern vereinbart. In der aktuellen Krisensituation hat die große Mehrheit der EU-Staaten große Probleme, diese einzuhalten (einige Mitgliedsländer standen dadurch bereits kurz vor dem Staatsbankrott). Warum wird also nicht versucht, gemeinsam mit anderen politischen Kräften in der EU diese Kriterien auszusetzen oder wenigstens zu entschärfen?