Am 12. Februar 2024 jährt sich zum 90. Mal der Beginn der Februarkämpfe 1934 gegen die Etablierung der austrofaschistischen Diktatur in Österreich. Der Zerschlagung proletarischer Strukturen wie des Republikanischen Schutzbunds der SDAP (Sozialdemokratische Arbeiterpartei) und dem Verbot der KPÖ (Kommunistische Partei Österreichs) stellten sich am 12. Februar 1934 bewaffnete Einheiten der Arbeiter:innen entgegen. Dies war der erste bewaffnete Widerstand in Europa gegen die wachsende Zahl autoritärer und faschistischer Staaten. Die Reaktion der Exekutive war hart und grausam: Standrecht, sofortige Todesstrafen, 2000 Getötete und unzählige zerstörte Wohnungen der Arbeiter:innen.
Im Januar 1927 erschossen rechtsextreme Heimwehrangehörige zwei Besucher:innen einer sozialdemokratischen Versammlung in Schattendorf. Die Täter wurden im Juli des gleichen Jahres freigesprochen. Im Kontext dieses Verfahrens kam es zu Massendemonstrationen und Aktionen des zivilen Ungehorsams wie die Stilllegung des Stromnetzes der Wiener Straßenbahnen durch die Elektrizitätsarbeiter.
Nach der Verkündung des Freispruchs stürmten empörte Massen den Justizpalast und brannten ihn nieder. Die mit Infanteriegewehren ausgestattete Polizei erhielt Schießbefehl und massakrierte in den folgenden beiden Tagen 89 Menschen. Der von der Sozialdemokratie darauf ausgerufene eintägige Generalstreik sowie ein unbefristeter Verkehrsstreik wurde von der Polizei und den rechtsextremen Milizen der Heimwehren mit Waffengewalt niedergeschlagen. Von diesen Niederlagen erholten sich Sozialdemokratie und Gewerkschaftsbewegung bis zu ihrem Verbot 1934 nicht mehr.
Der Ausschaltung des Parlaments am 4. März 1933 folgten Schikanen gegen Funktionär:innen der Sozialdemokratie bis hin zu ständigen Durchsuchungen von Privatwohnungen und Arbeiter:innenheimen. Ziel war die Demoralisierung und letztendlich Zerschlagung der gesamten proletarischen Bewegung. Die Kommunistische Partei und der Freidenkerbund wurden verboten. Neben der ständigen Zensur der Arbeiter:innenpresse wurden die Mai-Kundgebungen und die Republiksfeiern am 12. November untersagt. Die Milizen der Heimwehren erhielten den Status der Notpolizei und wurden vom Staat ausgerüstet und besoldet.
Anfang Februar 1934 wurde die Führung des Schutzbunds fast komplett inhaftiert. Die Ansage des Wiener Heimwehrführers und Vizekanzlers Emil Fey am 11. Februar 1934 war eindeutig: »Wir werden morgen an die Arbeit gehen und wir werden ganze Arbeit leisten.«
Der Aufstand
Daraufhin forderte der Linzer Schutzbund die Parteiführung auf, zum Generalstreik und zum bewaffneten Kampf aufzurufen. Die Forderung wurde abgelehnt; es entwickelte sich eine unkoordinierte und führungslose Rebellion.
Trotz der ungünstigen Rahmenbedingungen war sie nicht ganz chancenlos. Im Gegensatz zum vergleichbaren sozialdemokratischen Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold der Weimarer Republik war der Republikanische Schutzbund anders aufgestellt. Er entstand 1923 aus Kadern der Fabrik- und Arbeiterwehren. Es gab eine detaillierte Planung für eine republikweite militante Gegenwehr. Waffenlager mit Gewehren, MGs und Handgranaten waren vorhanden. Ein parallel stattfindender Generalstreik hätte die Verlegung von Bundesheer- und Heimwehrverbänden effektiv behindert. Viele Kolleg:innen warteten auf den Aufruf der Führungen der SDAP, der Gewerkschaften und des Schutzbunds zum Losschlagen.
Unmittelbarer Anlass des Aufstandes war die versuchte Beschlagnahmung von Waffen durch die Exekutive in einem sozialdemokratischen Arbeiter:innenheim in Linz. Die mobilisierten Schutzbundeinheiten verteidigten das Heim u.a. mit einem Maschinengewehr. Das war das sehnsüchtig erwartete Fanal für einen republikweiten Widerstand.
Ohne Rückendeckung durch die sozialdemokratische Parteiführung wehrten sich Teile des Schutzbunds und andere oppositionelle Strukturen militant, allerdings behindert durch Verrat aus den eigenen Reihen. Ein Wiener Schutzbundfunktionär lief zur Polizei über und händigte Kampfpläne und Waffenverzeichnisse aus.
Strategisch war der Schutzbund eher auf Defensive ausgerichtet, deshalb kam es mit wenigen Ausnahmen nicht zu Angriffen auf Funktionszentralen der Exekutive. Die sich bis zum 15.Februar hinziehenden Auseinandersetzungen hatten ihre Widerstandszentren in den »roten« Gemeindebauten und proletarischen Stadtteilen in Wien sowie in Graz, Steyr und in den Industriegebieten der Obersteiermark. Kleinere Aktionen gab es auch in anderen Bundesländern. Im Salzkammergut gab es Anschläge auf die Bahninfrastruktur. Es gelang allerdings nicht, auch nicht in Wien, die kämpfenden Einheiten zu verbinden. Auch gab es keine zentralisierte Aufstandsführung. Die isolierten Widerstandsorte konnten dem Einsatz des Militärs, der Polizei und der paramilitärischen Heimwehren nur drei Tage standhalten. Schwerste Kämpfe fanden am Wiener Karl-Marx-Hof statt, dem größten damaligen Gemeindebau der Welt. Durch den Einsatz von schwerer Artillerie (es wurden die schwersten Geschütze eingesetzt, die Österreich nach dem Friedensvertrag besitzen durfte – 10,5-cm-Haubitzen), Panzerwagen, Minenwerfer und sogar Flugzeugen wurde anhaltender Widerstand zwecklos.
Das radikale Vorgehen der Exekutive mit standrechtlichen Hinrichtungen und der Tötung von Gefangenen demoralisierte die Kämpfenden. Um weitere Zerstörungen und Todesopfer abzuwenden, zogen sich die Militanten in dieser ausweglosen Situation nach dreitägigen Kämpfen zurück, teilweise durch die Abwasserkanäle unter Mitnahme von Waffen und Munition. Etwa 1000 Schutzbündler emigrierten in die Sowjetunion. Nicht verwunderlich, dass sich später Februarkämpfer:innen bei den Internationalen Brigaden im spanischen Bürgerkrieg organisierten.
Etablierung des Ständestaats
Die Opposition resignierte aber nicht. Das » Auslandsbüro der österreichischen Sozialisten« agierte aus der Tschechoslowakei, während sich die inländischen Kader als »Revolutionäre Sozialisten« (RS) reorganisierten. Die KPÖ erstarkte durch ihre konsequente Haltung und vergrößerte erheblich ihre Mitgliederzahl durch Eintritte sozialdemokratischer Arbeiter:innen. Es kam auch zu einer engeren Kooperation mit den eher linkssozialdemokratischen RS. In den gleichgeschalteten Staatsgewerkschaften wurden Formen oppositioneller Arbeit aufgenommen. Illegale Großkundgebungen, zahlreiche Propagandaaktionen sowie einzelne bewaffnete Auseinandersetzungen mit der Polizei zeugten von einer nachhaltigen Widerstandsfähigkeit.
Nach den Februarkämpfen etablierte die Reaktion symbolträchtig am 1.Mai 1934 den österreichischen Ständestaat. Das Dollfuß-Regime genoss die Unterstützung der katholischen Kirche. Mit Verordnungen wurde die austrofaschistische Agenda durchgesetzt. Die »Vaterländische Front« war nach dem Verbot aller anderen Parteien die Massenorganisation der diktatorischen Regierung.?Bis zum »Anschluss« von Österreich an Nazi-Deutschland 1938 wurde die Arbeiter:innenbewegung durch das Regime systematisch verfolgt. Erst nach der Befreiung 1945 entwickelte sich ein würdiges Gedenken an die Februarkämpfe 1934.
Paul Stern ist LINKS-Aktivist in Wien
Ein Tipp für Wien-Reisende
Am 10./11. Februar 2024 findet in Wien das Symposium »Im Gebrüll der Dollfuß-Kanonen« zum 90.Jahrestag des Februaraufstands statt. Infos auf www.buendnis1202.at.
Am 12.Februar findet die alljährliche antifaschistische Bündnisdemonstration statt. Treffpunkt: 17.30 Uhr, Karl-Marx-Hof/U-Station Heiligenstadt. Es wird aufgerufen, am 12.Februar rote Fahnen/Tücher des Widerstands aus den Fenstern zu hängen.
Das Bündnis will aber mehr. Es tritt dafür ein, dass der 12.Februar als »Tag des Aufstands gegen den Austrofaschismus« ein gesetzlicher Feiertag wird.