Die Schweizer Feministinnen organisieren ihren Frauenstreik immer am 14. Juni, dem Jahrestag des großen Frauenstreiks für Lohngleichheit im Jahr 1991. Seit 2019 hat die Bewegung wieder an Fahrt aufgenommen. 2022 stehen die Themen Rentenvorsorge und Gesundheitswesen im Vordergrund.
2019 waren wir Tausende in der ganzen Schweiz, die dem Aufruf der Kollektive des Feministischen Streiks folgten und auf die Straße gingen, um für die Sichtbarmachung und das Ende der Diskriminierung einzutreten, die Frauen und vom Geschlechtersystem abweichende Personen erleiden.
Drei Jahre später hat vielleicht eine Bewusstseinsbildung hinsichtlich der Legitimität der Herausforderungen stattgefunden, die insbesondere durch das Manifest [1] aufgeworfen wurden. Doch die 19 Forderungen, die darin enthalten sind, werden immer noch nicht gehört.
Angesichts der neoliberalen Offensive der Regierung rund um das Projekt AHV 21 [2] haben feministische Kollektive in der ganzen Schweiz mobilisiert, indem sie die Rentenfrage aufgriffen und das Referendum unterstützten. Am 25. März 2022 wurden mehr als 150.000 Unterschriften, dreimal mehr als die erforderliche Anzahl, bei der Staatskanzlei eingereicht. Die Botschaft ist klar: Wir weigern uns, für die Reform eines kapitalistischen und patriarchalen Systems zu bezahlen, das uns unser ganzes Leben lang diskriminiert.
Im Durchschnitt erhalten Frauen in der Schweiz eine um 37 % niedrigere Pension als Männer und sind daher stärker von Prekarität und Armut betroffen. Dieser Unterschied resultiert vor allem daraus, dass einerseits insbesondere Frauen mit Migrationshintergrund vor allem in prekären und schlecht bezahlten Berufen beschäftigt sind. Grundsätzlich sind die überwiegend von Frauen ausgeübten Berufe schlecht bezahlt, weil die dafür erforderlichen Fähigkeiten als „natürlich“ Domäne von Frauen angesehen werden und die dafür erforderlichen Qualifikationen und Mühsal nicht anerkannt werden. Schließlich werden 70 Prozent der unentgeltlichen Haus- und Reproduktionsarbeit von Frauen verrichtet. Obwohl diese für das Funktionieren der kapitalistischen Wirtschaft unerlässlich sind, werden sie abgewertet und „unsichtbar“ gemacht.
Diese Not und Unsicherheit wirken sich auf die körperliche und psychische Gesundheit der Frauen aus. Aber auch im Gesundheitsbereich werden Frauen und Personen, die vom Geschlechtersystem abweichen, beim Zugang zur Versorgung und beim Anspruch auf menschenwürdige Betreuung nach wie vor diskriminiert. Auch heute noch werden in der Forschung zu oft weibliche, transsexuelle und nicht-weiße Proband*innen nicht in medizinische Studien einbezogen, was zu einem verzerrten Wissen führt und zu einer schlechten Versorgung und Prävention beiträgt.
Der Zugang zu medizinischer Versorgung ist für queere, rassifizierte, dicke Menschen und Menschen mit Behinderungen immer noch mit Abwertung und Stigmatisierung verbunden.
Indem unser Gesundheitssystem nur eine cis-heterosexuelle Sicht auf sexuelle Gesundheit anbietet, erhebliche Kosten für Verhütungsmittel aufrechterhält und unser Recht auf Zugang zu Abtreibung stigmatisiert, ist es Teil einer Gesellschaft, die versucht, weibliche und in keine binäre Geschlechterrolle passende Körper zu kontrollieren.
Aus diesem Grund werden wir weiterhin mobilisieren. Die Geschichte der Kämpfe hat uns gezeigt, dass Fordern alleine nicht genug ist, man muss auch handeln: Gehen wir am 14. Juni 2022 alle auf die Straße!
In Solidarität mit allen Feministinnen, die überall für ihr Recht auf ein Leben in Würde und für unsere Forderungen kämpfen, müssen wir so oft wie nötig streiken, um ein politisches Kräfteverhältnis aufzubauen, das in der Lage ist, das kapitalistische cis-heteropatriarchale System, das uns unterdrückt, ausbeutet und tötet, zu zerschlagen. Die Revolution wird feministisch, solidarisch und internationalistisch sein, oder sie wird nicht sein.
Effe Deux, 4.6.2022
[1] Manifest für den feministischen Streik / Frauen*streik am 14. Juni 2019
siehe u.a.: Aufruf 2019 und die 19 Forderungen und Einige Gedanken zum Manifest von BFS Frauen Zürich
[2] Reformpläne der Alters- und Hinterlassenen-Vorsorge, siehe auch https://www.frauenrenten.ch/
Zuerst erschienen auf Französisch in solidaritéS
Übersetzung durch deepl und Überarbeitung von CN, unter Zuhilfenahme der englischen Übersetzung in International Viewpoint