von E.F., W.H. und P.S., 30.9.2024
Die rechtsextremistische Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) unter Herbert Kickl erhielt laut vorläufigem amtlichen Endergebnis 28,9 % der Stimmen und wurde von 1,4 Millionen gewählt, also von fast doppelt so vielen Wähler:innen wie vor fünf Jahren. Damit haben die „Freiheitlichen“ ihr bestes Ergebnis seit ihrer Gründung 1955 erzielt; 2019 waren es noch 770.000.
Woher kamen die Wähler:innen im Vergleich zur letzten Wahl für den Nationalrat (das Parlament der Republik Österreich)? Es gab drei Wähler*innenströme: Stammwähler:innen – 76 % wählten erneut die FPÖ, 443.000 kamen von der ÖVP und 258.000 von den Nichtwähler:innen. Die FPÖ wurde vor allem von Arbeiter:innen, Beschäftigten mit Lehrabschluss und ohne Matura, der Altersgruppe 35 bis 59 Jahre und fast paritätisch von Frauen und Männern gewählt. Letzteres ist neu, Frauen hatten sich bei denen bisher eher zurückgehalten. Bei Älteren, Rentner:innen und Menschen mit Matura oder Hochschulabschluss kam die Partei weniger gut an. Die FPÖ profitierte stärker in ländlichen Gebieten und weniger in großen Städten.
Wahlmotive waren vor allem die Unzufriedenheit mit der Corona-Politik, der Teuerung, insbesondere der Wohn- und Energiepreise, Verschlechterungen im Gesundheitssystem, Migration/Flüchtlinge (dieses Thema ist mit den aktuellen Terrorangriffen verknüpft worden), aber auch die Themen Krieg und Neutralität.
Die FPÖ hat sich unter Herbert Kickl, ihrem „Bundesparteiobmann“ seit Juni 2021, deutlich radikalisiert. Sie vertritt Verschwörungsideologien (Corona), empfahl Pferdemedizin statt Impfungen, fordert u.a. „Remigration“ von Flüchtlingen und eine Meldestelle für politisierende Lehrer:innen, will dem öffentlichen Rundfunk durch Streichung der Gebühren die Finanzierung entziehen und sieht in Viktor Orbán in Ungarn ihr großes Vorbild. Sie hat auch eine wichtige Rolle bei der Umgruppierung der rechtsextremen Fraktionen im EU-Parlament gespielt, um Orbán ein Forum und eine Parlamentsfraktion zu bieten.
Sie vertritt eine scharf neoliberale Politik, verbrämt mit volkstümlichen Parolen für Steuersenkungen wie „mehr Netto vom Brutto“, was zulasten des Sozialsystems ginge. Ähnlich wie die AfD mimt sie die „Friedenspartei“, will die Energiepreise durch noch stärkere Importe von Gas aus Russland senken und verhält sich sehr verständnisvoll gegenüber Putins Krieg in der Ukraine. Klimaschutz hält sie wie viele Rechtspopulisten für Mumpitz. Sie will das Gendern und die Frauenhäuser abschaffen, weil letztere angeblich die Familien zerstören würden . Kickl nennt sich gerne „Volkskanzler“ und will „Flüchtlinge in Lagern konzentriert halten“ – eine bewusst-provokante Anspielung auf Nazi-Sprachgebrauch. Die Identitären – vom Parteichef als „wünschenswerte NGO“ charakterisiert – scheinen sich inzwischen als ideologische Kader der FPÖ etabliert zu haben.
Der Erfolg der FPÖ erklärt sich nicht aus besonderen Fähigkeiten ihres Parteichefs Kickl, sondern primär aus dem politischen Vakuum sowie der Rechtsentwicklung der konservativen Österreichischen Volkspartei ÖVP, die derzeit noch den Regierungschef in einer Koalition mit den Grünen stellt. Die ÖVP übernimmt zunehmend Themen und teilweise auch Kampfbegriffe der Rechtsextremen, um sie schön zu reden, was dazu führt, dass sie in breitere Schichten als „normal“ einsickern. Sie will Flüchtlinge an den EU-Außengrenzen in Lagern festhalten, hetzt gegen junge Klimaaktivist:innen und versucht, sie zu kriminalisieren, während ihr Bundeskanzler in einer „Rede zur Zukunft der Nation“ vom „Autoland Österreich“ spricht und Autogipfel eröffnet. Vorstöße für neoliberale „Reformen“ und Verschärfung von elektronischer Überwachung sind bisher am Veto des grünen Koalitionspartners gescheitert.
Die ÖVP ist mit ihrem führenden Personal auch als Partei mit schwerwiegenden Korruptionsvorwürfen und einer Serie von Gerichtsprozessen aus der Zeit der Koalition mit der FPÖ unter Bundeskanzler Sebastian Kurz (2017 bis 2019) konfrontiert. Sie verlor auf Grund ihres schlechten Corona- und Teuerungsmanagements, der Schwächung des (guten) öffentlichen Gesundheitswesens, schlechter Wirtschaftsdaten und unglaubwürdiger Politik mehr als ein Viertel ihrer Wähler:innen – ausgerechnet an die FPÖ (und an die Gruppe der Nichtwähler:innen).
Der ÖVP-Kanzler überraschte am Wahlabend mit der Aussage, dass er keine (allseits erwartete) Koalition mit der FPÖ unter Herbert Kickl eingehen will. Ob dies ernst gemeint oder nur ein taktisches Manöver gegenüber der Sozialdemokratie ist, um sie mit Scheinverhandlungen zu schmerzhaften Zugeständnissen zu drängen und dann plötzlich doch mit der FPÖ zu koalieren (wie schon unter Kanzler Schüssel in den Jahren 2000 bis 2006), ist heute noch nicht abzuschätzen.
Die Sozialdemokratie unter dem neuen, selbstbewusst-kämpferisch auftretenden Reformisten Andreas Babler stagnierte beim schlechtesten Wahlergebnis seit Jahrzehnten (21,1 %) und konnte nicht von den Verlusten der ÖVP profitieren. Der Zugewinn von den Grünen konnte die Verluste an die Nichtwähler:innen gerade noch wettmachen, führte aber zu keinem Zuwachs. Babler wurde von den Medien wegen seiner – sehr moderaten – Reformvorschläge als politischer Outlaw ausgegrenzt, während innerparteiliche Fraktionskämpfe und Intrigen der Wahlkampagne der SPÖ jeden Schwung geraubt hatten. Die meisten Medien waren geradezu süchtig nach Skandälchen und Querschüssen in der Partei, die programmatischen Vorschläge interessierten dagegen so gut wie gar nicht.
Die KPÖ konnte zwar ihr Ergebnis mehr als verdreifachen; sie erzielte 2,4 % (plus 1,7 %, insgesamt 115.695 Stimmen), was jedoch wegen der 4 %-Hürde bei weitem nicht für einen Einzug in den Nationalrat reicht. Ebenso scheiterten die Liste Gaza (0,4 %) und „Keine“ (Wandel; 0,6 %).
Am 20. September, eine Woche vor der Wahl, demonstrierten 13.000 Menschen in Wien – eine gemeinsame Aktion von Klimaaktivist:innen mit Dutzenden lokalen „Demokratie verteidigen“-Initiativen aus ganz Österreich. Kein Vergleich zum Lichtermeer am Heldenplatz im Januar 1993 mit an die 300.000 Teilnehmer:innen, aber immerhin ein guter Anfang. Dieser Zusammenschluss der beiden Bewegungen ist ein zartes Pflänzchen, könnte aber den Beginn einer Widerstandsbewegung gegen die Rechtsentwicklung markieren, wenn die Zusammenarbeit entwickelt und auch soziale Themen aufgegriffen werden. Es droht nämlich eine massive Schwächung des Sozialstaates und demokratischer Errungenschaften. Ab sofort wird auch wieder am Donnerstag demonstriert. Treffpunkt ist jeweils um 18 Uhr vor dem Parlament.