von Gilbert Achcar, 22. Oktober 2025,
Nur wenige Jahre später bestätigen Ereignisse die These, dass das, was am 17. Dezember 2010 in Tunesien begann und im folgenden Jahr in einer massiven Welle von Volksaufständen gipfelte, die sich auf sechs Länder in der Region ausbreitete und verschiedene Formen der Massenmobilisierung in anderen Ländern umfasste – die als „Arabischer Frühling“ bekannte Welle –, kein isoliertes oder zufälliges Ereignis war. Vielmehr markierte sie den Beginn dessen, was ich als „langfristigen revolutionären Prozess” bezeichnet habe (in The People Want: A Radical Exploration of the Arab Uprising, 2013, 2. Auflage 2022).
Diese Einschätzung beruhte auf der Erkenntnis, dass die soziopolitische Explosion in der arabischsprachigen Region Ausdruck einer tief verwurzelten strukturellen Krise war. Diese Krise resultierte aus der Abschaffung der entwicklungsorientierten Wirtschaftspolitik und ihrer Ersetzung durch neoliberale Maßnahmen im letzten Viertel des vergangenen Jahrhunderts. Diese Veränderungen fanden innerhalb eines Systems regionaler Staaten statt, die im grundlegenden Widerspruch zu den Anforderungen des Marktkapitalismus standen, auf dem das neoliberale Dogma basiert.
Infolgedessen litt die Region im Vergleich zu anderen Teilen des Globalen Südens unter einem besonders geringen Wirtschaftswachstum, das durch hohe Arbeitslosigkeit – insbesondere unter Jugendlichen – gekennzeichnet war. Die Jugendarbeitslosigkeit in der Region erreichte Rekordhöhen, insbesondere unter Hochschulabsolvent:innen. Diese sozialen Realitäten schürten die regionalen Revolten, die zwar lokal unterschiedliche politische Ursachen hatten, aber eine gemeinsame sozioökonomische Grundlage teilten. Die Schlussfolgerung aus dieser Analyse war klar: Solange die strukturelle Krise ungelöst blieb, würden die soziopolitischen Unruhen anhalten und weitere Aufstände und Volksbewegungen unvermeidlich folgen.
Trotz der Niederlage der revolutionären Schockwelle von 2011 – aufgrund der Unterdrückung durch die Golfmonarchien in Bahrain, des Militärputsches in Ägypten und des Abgleitens Syriens, Libyens und des Jemen in den Bürgerkrieg – begann am 19. Dezember 2018 im Sudan eine zweite Welle von Aufständen, die sich im folgenden Jahr auf Algerien, den Irak und den Libanon ausbreitete. Diese zweite Welle wurde letztendlich durch eine Kombination aus Repression und der COVID-19-Pandemie erstickt. Im Sudan hielt sie jedoch auch nach dem Militärputsch am 25. Oktober 2021 an, bis das Land am 15. April 2023 infolge eines Konflikts zwischen zwei Fraktionen der Streitkräfte in einen Bürgerkrieg stürzte.
Unterdessen wurde das demokratische System Tunesiens, der letzte verbliebene Erfolg der Aufstände von 2011, durch einen Staatsstreich unter der Führung von Präsident Kais Saied zerschlagen, der mit Unterstützung der Sicherheitsdienste am 25. Juli 2021 die Verfassung außer Kraft setzte. Zusammen mit dem Ausbruch des Krieges zwischen den Militärfraktionen im Sudan und dem zionistischen Völkermordkrieg in Gaza sechs Monate später, der die Hoffnungen der Region weiter dämpfte, schien es, als sei der soziale Aufbruch der arabischen Aufstände verpufft.
Solche Eindrücke sind jedoch unzuverlässig, wenn es darum geht, den tatsächlichen Stand der sozialen Spannungen in der Region zu beurteilen. Für diese Beurteilung muss man sich auf konkrete soziale und wirtschaftliche Daten stützen – insbesondere auf die Jugendarbeitslosigkeit, einen wichtigen Indikator. Laut der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) haben der Nahe Osten und Nordafrika nach wie vor die höchste Jugendarbeitslosenquote weltweit, wobei fast ein Viertel der jungen Bevölkerung (im Alter von 15 bis 24 Jahren) ohne Arbeit ist.
Die massive, von Jugendlichen angeführte Bewegung, die am 27. September in Marokko begann und trotz einer kürzlichen Pause noch nicht beendet ist, unterstreicht, dass der soziale Aufruhr in der Region weiterhin aktiv ist. Angesichts der alarmierenden Arbeitslosenzahlen des Landes ist es nicht verwunderlich, dass die marokkanische Jugend auf die Straße gegangen ist. Nach Angaben der marokkanischen Hohen Kommission für Planung lag die Arbeitslosenquote unter den 15- bis 24-Jährigen (der Gruppe, zu der die Mehrheit der Generation Z gehört) in diesem Jahr bei fast 36 %, wobei fast die Hälfte dieser Altersgruppe (47 %) in städtischen Gebieten arbeitslos war. Bei den 25- bis 34-Jährigen liegt die Quote bei 22 % und in städtischen Gebieten bei 27,5 %. Dies sind in der Tat sehr hohe Quoten, die durch die Arbeitslosigkeit unter Hochschulabsolvent:innen, die fast 20 % aller Absolvent:innen betrifft, noch verschärft werden. Darüber hinaus ist fast ein Fünftel der Frauen in der Erwerbsbevölkerung arbeitslos. Diese Zahlen erklären die hohe Beteiligung von Student:innen und jungen Frauen an der marokkanischen Gen-Z-Bewegung.
Diese neue Generation von Aktivist:innen führt auch neue Organisationsformen ein, insbesondere durch den Einsatz von Social-Media-Technologie. Gebildete junge Menschen, die sich gut mit digitalen Plattformen auskennen, sind zu einer zentralen Figur dieser Bewegungen geworden. Während die ersten beiden Wellen regionaler Aufstände stark auf Facebook setzten, hat die marokkanische Gen Z-Bewegung Discord für sich entdeckt, eine Plattform, die eine schnellere und dezentralere demokratische Entscheidungsfindung ermöglicht. Über 200.000 Nutzer:innen auf Discord stimmten darüber ab, ob sie ihre Demonstrationen fortsetzen sollten, was ein fortgeschritteneres Niveau der Basisorganisation widerspiegelt, selbst im Vergleich zu den sudanesischen „Widerstandskomitees“, die einen bedeutenden Schritt vorwärts in der demokratischen Selbstorganisation der revolutionären Jugendbewegung darstellten.
Was jedoch bei all diesen Erfahrungen fehlt, ist eine radikale, landesweite politische Bewegung, die in der Lage ist, sich mit der demokratischen Basisbewegung der Jugend zu verbünden, um eine glaubwürdige Alternative zum Status quo anzubieten. Diese Bewegung müsste die Bestrebungen nach Freiheit, Demokratie und sozialer Gerechtigkeit verkörpern und über die politische Fähigkeit verfügen, bestehende Regime zu ersetzen. Ohne das Entstehen einer solchen Alternative bleibt der Erfolg künftiger Aufstände in der Region ungewiss. Der revolutionäre Prozess in der Region wird zwar sicherlich weitergehen, doch das Fehlen einer tragfähigen Alternative könnte zu einer gefährlichen Pattsituation führen, in der bestehende Regime mit brutaler Gewalt an der Macht festhalten, während andere im Chaos eines Bürgerkriegs versinken.
22. Oktober 2025
Übersetzt aus dem arabischen Original, veröffentlicht in Al-Quds al-Arabi am 21. Oktober 2025 für den Blog des Autors. Die Weiterveröffentlichung oder Veröffentlichung in anderen Sprachen ist unter Angabe der Quelle gestattet.
Der Artikel erschien auf International Viewpoint in Englisch. Wir haben ihn maschinell übersetzt und auf grobe Fehler durchgesehen.


