Exportförderung auf dem Rücken der Beschäftigten
von Angela Klein und Peter Sachartschenko
Der Umstieg auf Elektromobilität schafft der Zulieferindustrie in Deutschland ein erhebliches Problem, weil viele Komponenten, die für einen Verbrenner notwendig sind, bei einem E-Auto wegfallen. Große Zulieferer wie Bosch oder ZF (Zahnradfabrik) Friedrichshafen haben die Zeichen der Zeit erkannt und versuchen umzusatteln, steigen in die Batterieproduktion ein oder entwickeln Technologie für das autonome Fahren. Sie versuchen, ihre Belegschaft zu halten. Schon im benachbarten Österreich gilt diese Regel aber nicht mehr. Hier werden Beschäftigte regelrecht verscherbelt.
Neben klassischen Zulieferbetrieben, die Autositze, Airbags etc. für mehrere Marken herstellen, gibt es in Österreich auch Fertigungsstätten von deutschen Automobilunternehmen. BMW hat in Steyr/Oberösterreich ein Motorenwerk mit 3400 Beschäftigten, dort werden BMW-Motoren gebaut. Und es gibt in Steyr das Fahrzeuglastwagenkabinenwerk von MAN, das Fahrerkabinen auf die Gestelle montiert. MAN ist ein Tochterunternehmen von VW, das Nutzfahrzeuge baut. Das Werk wird jetzt geschlossen. Es trifft 2400 Beschäftigte.
Die MAN Nutzfahrzeuge Österreich AG hatte von 2007 bis 2012 fast 100 Millionen Euro in das Werk Steyr investiert, um die Kapazität im Bereich leichter Lkw zu erhöhen. Dafür hat das Unternehmen vom österreichischen Staat erhebliche Subventionen kassiert und musste im Gegenzug vertraglich eine Bestandsgarantie für die Arbeitsplätze zusagen.
MAN wollte dann aber insgesamt 6000 Beschäftigte in der Lkw-Produktion abbauen, das gesamte Werk in Steyr sollte geschlossen und die restlichen Beschäftigten am deutschen Standort gekündigt werden. Die Anwälte erklärten, der Vertrag sei nicht einklagbar, d.h. man wollte sich nicht an die Vereinbarungen halten. Die Verhandlungen der IG Metall mit der MAN-Führung haben dann ergeben, dass die Zahl der in Deutschland vernichteten Arbeitsplätze deutlich reduziert wird.
Das Werk Steyr sollte allerdings weiter geschlossen werden, obwohl es laut Recherche des Betriebsrats profitabel ist – an dem Punkt hat MAN in den Verhandlungen keinen Millimeter nachgegeben. Erst auf enormen Druck hin ist es überhaupt gelungen, einen Sozialplan zu erreichen. MAN will die Lkw-Produktion jetzt nach Polen verlagern.
Hier geht es also nicht darum, Überkapazitäten abzubauen, sondern darum, eine billigere Produktionsstätte zu finden und die Profitrate zu erhöhen. Die IG Metall hat die österreichischen Kollegen nicht unterstützt. Trotz mehrerer Appelle, die Gewerkschaft möge doch Druck auf die MAN-Führung in Deutschland machen, hat sie die im Regen stehen lassen.
Der Deal war möglicherweise der, dass in Deutschland weniger Kolleg:innen gekündigt wurden, das war der IG Metall wichtiger als die Kolleg:innen in Österreich.
Das Geschacher
Für das Werk gab es verschiedene Investorengruppen, die bereit waren, es zu übernehmen. MAN hat aber ultimativ nur mit einem einzigen Investor verhandelt, mit Siegfried Wolf, dem früheren Vorsitzenden von Magna, einem kanadisch-österreichischen Automobilzulieferer; jetzt führt er ein ziemliches großes Firmengeflecht und sitzt im Vorstand des russischen Lastwagenproduzenten GAZ aus Nishni-Nowgorod. Den GAZ-Konzern kontrolliert Oleg Deripaska; Deripaska ist seinerseits an Magna beteiligt.
Wolf hat den Beschäftigten den Übertritt in die Beteiligungsgesellschaft WSA angeboten, in die er von 2400 Beschäftigten nur 1250 übernehmen wollte, bei einer dauerhaften Kürzung der Nettolöhne um 15 Prozent. Daraufhin gab es eine Urabstimmung in der Belegschaft, die hat das Angebot abgelehnt und von MAN gefordert, mit anderen Investoren zu verhandeln. Unter anderem hat sie eine Investorengruppe aus Linz vorgeschlagen, die in dem Werk alternative Antriebe herstellen wollte. Die MAN-Führung hat das als unseriös zurückgewiesen.
Wolf hat dann sein Angebot an die Belegschaft leicht verbessert und erklärt: MAN garantiert WSA für ein ganzes Jahr die bestehende Auftragslage (!), in der ersten Welle werden nur 400 oder 500 Beschäftigte gekündigt und für die gibt es einen zwar sehr schlechten, aber immerhin einen Sozialplan. Nach diesem Jahr ist die Produktion für MAN zu Ende und es werden 1400 Beschäftigte übernommen. Die Lohnkürzungen werden zurückgenommen. Dieses zweite Angebot wurde dann in einer Urabstimmung angenommen, weil die Arbeitenden mit dem Rücken zur Wand standen.
Es stellt sich die Frage, warum MAN ausgerechnet mit diesem Investor mit Verflechtung zur russischen Lastwagenproduktion verhandelt. Die Interessenslagen sind hier völlig undurchsichtig. MAN erklärt, sie wollen das Werk schließen und nach Polen verlagern, holen aber einen Investor an Bord, mit dem sie weiterhin verbunden sind, die Maschinen werden nicht abmontiert und das Werk wird als bestehendes Werk verkauft.
Es ist äußerst seltsam, dass ein Unternehmen wie MAN sagt, wir verhandeln nur mit einem einzigen Investor. Es muss also schon im Vorfeld klar gewesen sein, wer zum Zug kommt und was passieren wird. Es kann sein, dass MAN vor dem Hintergrund, dass die Sanktionen gegen Russland verschärft werden, eine Exportquelle sucht, um Lkw-Komponenten nach Russland zu exportieren. Österreich hat eine lange Tradition, Sanktionen zu umgehen, und es gibt eine enge Verflechtung mit russischen Unternehmen.