von Angela Klein
Brot und Spiele. Zeitschrift für Kultur und Politik, Nr.1, Wien, Dezember 2023. 100 S., Preis der Einzelausgabe: 10 Euro
Es ist ein ehrgeiziges und mutiges Projekt. In einer Zeit, in der Printprodukte für überholt erklärt werden, traut sich eine Kombo österreichischer Kulturschaffender mit einer neuen »Zeitschrift für Kultur und Politik«, oder auch: »für Politik und Kultur, mit verfließenden Grenzen zwischen beiden« auf den Markt. Brot und Spiele heißt sie, die erste Ausgabe kam im Dezember 2023 raus. Als zentrale »Macher:innen« treten Monika Mokre und Kurt Hofmann in Erscheinung; letzterer ist den SoZ-Lesenden durch seine Filmbesprechungen zu den vielen Festivals, die er besucht, wohl bekannt.
»Brot und Spiele« assoziiert spätrömische Dekadenz: Ein Reich, das bereits Verfallserscheinungen zeigt, täuscht sich darüber hinweg mit billigen Massenspeisungen (die Früchte kommen aus den kolonisierten Provinzen) und grausamen Massenspektakeln wie Gladiatorenkämpfen. Die Gesellschaft ist krank – so die Botschaft. Die Krankheit will diagnostiziert und möglichst geheilt werden. Doch erst einmal müssen ihre Symptome erfasst werden.
Der Titel der ersten Ausgabe bringt das Anliegen auf den Punkt: »Angst«. »Angst ist von Furcht zu unterscheiden«, schreibt Monika Mokre in dem zentralen Beitrag, der einige Themen des Heftes auffächert. »Furcht gilt als klar auf eine äußere Gefahr hinausgerichtet; Angst dagegen ist eher unbestimmt … [Sie ist] eher ein Gefühlszustand, der vielfältig ausgenützt werden kann, um Menschen bei der Stange zu halten, etwa im neoliberalen Spätkapitalismus.« Keine Angst muss haben, wer sich sicher fühlt. (Aber wer kann das heute schon?)
»Angst ist leichter zu ertragen, wenn sie sich in Aggression umwandeln lässt … in Hass gegen die, die nicht sind wie wir.« Psychoanalytisch betrachtet hat Fremdenfeindlichkeit etwas zu tun mit der Angst vor dem Verlust des vertrauten Gesichts der Mutter, schreibt Mokre. Sicherheit und Sicherheitspolitik bildet nunmehr den Kern autoritärer Gegenstrategien. Womit der Bogen zu Rassismus, autoritärem Bewusstsein, Gewaltphantasien, den gesellschaftlichen Grundlagen von Kriminalität usw. gespannt ist.
Die Zeitschrift geht nicht den ökonomischen Wurzeln und politischen Entwicklungen nach, die solche Gesellschaftszustände hervorbringen. Sie bewegt sich im Überbau der Gesellschaft, beschreibt Massenstimmungen und gesellschaftlich konditionierte Verhaltensweisen, sie geht vom Subjekt aus: Wie es »die stumme Macht der Verhältnisse« verarbeitet, welche Auswege zu seiner psychischen Entlastung es sucht, welche Ersatzhandlungen es vornimmt. Die Artikel beschreiben den Menschen, den wir vorfinden, noch bevor er zu sich und den Verhältnissen eine kritische Distanz gefunden hat.
Ein Artikel etwa spürt dem nach, wie eine so kolossale Umwertung von Werten möglich ist, dass das früher »Normale« nunmehr zum »Abnormalen« erklärt werden kann und umgekehrt. Die extreme Rechte arbeitet intensiv daran, gesellschaftliche Normen zu verschieben – wenn Medienmanipulation nicht reicht, dann mit Verboten, Provokationen, Tabuisierung, Gesinnungsterror… Es gibt auch hervorragende Artikel zur Frage, wie solche Verschiebungen zustande kommen: etwa über Zeitenwenden, Erinnerungskultur, fremd- und selbstbestimmten Tod, einen ganz ausgezeichneten Artikel von Helmut Dahmer über Pornomanie und ihre Ächtung… Letztlich geht es darum, wo Schutz gesucht wird, und um die Auseinandersetzung darum, was wirklich Sicherheit bietet und was nicht.
Eine materialistisch fundierte Kulturkritik – der fühlen sich die Herausgeber:innen verpflichtet – erschließt das Reich der Finsternis in seinen verschiedenen Facetten und Seitensträngen auch häufig durch die Vorstellung von Büchern und Filmen, die solche Themen behandeln. Die Rezensionen sind äußerst kenntnisreich, wissen den besprochenen Gegenstand einzuordnen und liefern Hintergrundwissen dazu.
Im großen und ganzen sind die Artikel auch für Laien verständlich, bis auf die Male, wo sie sich im Universum der Philosophie oder auch der Filmkunst verlieren und Unkundigen der Genuss der Gedankengänge somit verborgen bleibt. Es wäre aber gut, wenn die Redaktion sich bemühte, möglichst voraussetzungslos zu schreiben. Denn was sie dort unternimmt, ist eine wichtige Ergänzung zu der Art, wie traditionelle linke Publizistik versucht aufzuklären.
Es gab in Deutschland eine hervorragende linke Kulturzeitschrift, Melodie & Rhythmus. Die musste ihr Erscheinen als Printmedium einstellen, weil die notwendigen Personalkosten nicht aufgebracht werden konnten. Es gibt sie nur noch online. An Brot und Spiele könnte dieser Kelch vielleicht vorübergehen. Dank der staatlichen Kulturförderung in Österreich kann sich so ein professionell gemachtes Magazin für vier Ausgaben im Jahr einen Abopreis von 35 Euro leisten (Einzelpreis: 10 Euro). Den SoZ-Lesenden sei sie als wichtige Ergänzung der Monats-SoZ empfohlen.
Die Webseite befindet sich noch im Aufbau, über das Zusammenspiel von Print und Online kann deshalb hier noch nichts gesagt werden.
Der Artikel erschien in SOZ, Sozialistische Zeitung, Mai 2024: https://www.sozonline.de/2024/05/brot-und-spiele/