Politiker in Maßanzügen, die sich für unbesiegbar halten
von Manuel Kellner

Das vorliegende Buch gehört auf jeden Gabentisch zum Jahresende. Petra Hartlieb, Buchhändlerin in Wien, präsent in den großen Medien Österreichs mit ihren Buchempfehlungen und selbst Bestsellerautorin (das fing an mit Meine wundervolle Buchhandlung, inzwischen sind viele Romane dazu gekommen) hatte einige Jahre lang in Dezemberausgaben der SoZ auf bemerkenswerte Titel aufmerksam gemacht. Angesichts der Qualität ihrer jüngsten Buchveröffentlichung drängt es sich nun auf, unsererseits ihr letztes Werk zu empfehlen.

Es ist nicht nur ein außerordentlich spannender Kriminalroman. Es handelt sich zugleich um politische Aufklärung im besten Sinne des Wortes.
Es geht um einen bestimmten Typus zeitgenössischer Politiker, Sonnyboys mit viel Charme und umso weniger Skrupeln. Bis ganz zu Ende bleiben einige Ungewissheiten. Das von der Kommissarin Alma Oberkofler (der Heldin der Geschichte) mit Hilfe nicht nur ihrer Kollegen gesammelte Material reicht nicht für eine Anklage, sehr wohl aber für einen politischen Skandal erster Güte – dank der Veröffentlichung durch eine mutige Journalistin.

Zu Beginn stellt Petra Hartlieb in vordergründig recht konventioneller Weise klar: »Auch wenn Sie glauben, dass Ihnen in diesem Roman einiges bekannt vorkommt, möchte ich betonen: Die Geschichte ist zur Gänze von mir ausgedacht.« Nach der Lektüre des Romans musste ich darüber schmunzeln und dachte an den berühmten Satz zu Ende des Films Die verlorene Ehre der Katharina Blum nach dem gleichnamigen Roman von Heinrich Böll: »Ähnlichkeiten mit gewissen journalistischen Praktiken sind weder beabsichtigt noch zufällig, sondern unvermeidlich.« Nun geht es in der Freunderlwirtschaft nicht um journalistische, sondern um politische Praktiken. Aber eben darauf passt die Formel auch sehr gut.

Die Autorin spielt gekonnt mit Rückblenden und verschiedenen Zeitebenen. Die Spannungsbögen werden gut aufgestellt. Die Beziehungen der handelnden Personen zuein­ander ändern sich im Verlauf der Handlung. Tarik Babic etwa erscheint Alma Oberkofler zuerst als Streber, vor dem sie sich in acht nehmen muss. Im Laufe der Zeit, nachdem er ihr von den Problemen im Zusammenhang mit seinem Migrationshintergrund erzählt hatte, entstehen Vertrauen und Kollegialität. Ebenso ist es zunächst nicht erfreulich, dass ein Vertreter des Verfassungsschutzes dem Kommissariat zur Seite gestellt wird. Der erweist sich aber als gewissenhaft und wird zum Schluss, weil er zu tief gräbt, in Urlaub geschickt.

»Freunderlwirtschaft« nennen wir Piefkes »Vetternwirtschaft«, und Petra Hartlieb tut keineswegs so, als sei das eine neue Erscheinung in Österreich und anderswo. Im Gegenteil, viele Fälle wurden schon vor Jahrzehnten ruchbar, bei anderen liegt zumindest die Vermutung nahe, dass eine Hand die andere gewaschen hat – woran ohne Unterschied Konservative und Sozialdemokraten beteiligt waren. Neu ist eher ein unternehmend und progressiv tuender Schwung, mit dem fesche und vorwärtsstrebende, konservativ gesonnene junge Männer aus gutem Hause vorgeben, ­alte Verkrustungen und die Gegensätze von »links« und »rechts« aufzubrechen, fortschrittlich zu sein und das Land voranzubringen. Wie sich zeigt, wirtschaften sie in allererster Linie in die eigene Tasche.

Eine der Geschichten in der Geschichte handelt davon, wie Alma Oberkofler auf die Idee gekommen ist, Polizistin zu werden. Ihre ältere Schwester Maria war kaum 18jährig brutal ermordet worden. Der Fall wurde jedoch nie aufgeklärt. Gleichwohl war Alma von der Polizistin, mit der sie als Kind in diesem Zusammenhang Kontakt hatte, positiv beeindruckt. Darum wurde sie später selbst Polizistin, um für Gerechtigkeit zu kämpfen.

Sehr viel später recherchiert sie dazu, »um den Knoten in ihrer Brust aufzulösen«. Sie findet die Akte, die unvermittelt abzubrechen scheint. Sie kontaktiert die damals zuständige Polizistin Susanne Kramer, die inzwischen pensioniert ist. Die druckst herum und spricht von Verdächtigen und »mangelnden Beweisen.« Warum sie sich damit zufriedengegeben hätte? Der Chef habe »Druck gemacht.« Wieso? »Na ja, da kennt einer einen, der einen kennt, und der eine schuldet dem anderen noch etwas oder weiß irgendwas, was er nicht erzählen sollte.« Alma explodiert: »Es war sicher der Sohn von irgendeinem Provinzkaiser. Stimmt’s? Bürgermeister? Landtagsabgeordneter?« Susanne Kramer bricht das Gespräch und den Kontakt ab.

Alma Oberkofler war vor dem Beginn der Handlung des Romans aus ihrer vorherigen Stellung herauskomplimentiert worden, weil sie sich nicht damit abfinden wollte, dass eine Prostituierte massakriert worden war und in dem betreffenden Bordell unmenschliche Zustände herrschten. Sie zweifelte auch an der angeblichen Volljährigkeit einer jungen rumänischen Frau, die sie im Zuge der Ermittlungen kennengelernt hatte. Doch ihr älterer Kollege war guter Kumpel mit dem Bordellbetreiber und sorgte dafür, dass die Ermittlungen abgebrochen wurden. Alma, die sich beim Vorgesetzten darüber beschwert hatte, galt nun als Kameradenschwein und wurde erst gemobbt, dann abgeschoben.

Versetzt nach Wien als Leiterin der »Abteilung Leib und Leben« wird Alma Oberkofler bereits an ihrem vierten Tag im neuen Dienst mit einem spektakulären Fall betraut. Max Langwieser, Minister für Tourismus und Landwirtschaft, ist tot mit eingeschlagenem Schädel in seiner Wohnung neben einem massivem Glasdesignertisch aufgefunden worden. Fremdeinwirkung ist möglich, aber schwer festzustellen. Die Wohnung ist etwas seltsam: Er lebte dort mit seiner Verlobten Jessica Pollauer, der er einen guten Posten im Dienst der Regierung verschafft hatte. Die Wohnung hat jedoch getrennte Schlafzimmer und Badezimmer. Die beiden hatten sich schon auf der Schule kennengelernt. Jessica aber ist verschwunden.

Jessica war panisch geflohen, hatte dann aber recht besonnen gehandelt und war letztlich in Costa Rica gelandet. Im Gepäck hatte sie einen Laptop des Ministers. Sie findet Hilfe und knackt das Passwort. Schließlich meldet sie sich bei Alma Oberkofler zurück und trägt erheblich zur Aufklärung der Geschehnisse bei. Warum sie mit Max Langwieser verlobt war und zusammenlebte, ist eine komplizierte Geschichte. Sie war in ihn verliebt und von ihm verblendet. Er brauchte sie als Deckung, denn er war heimlich schwul und mit einem jungen Russen ein Paar. Sie ließ sich darauf ein und genoss auch den Luxus, den er bieten konnte.

Im Laufe der Zeit schöpft sie Verdacht. Max Langwieser erhält Gelder aus trüben Quellen. Er betreibt Riesenprojekte in Zusammenarbeit mit dem jungen Kanzler Stefan Fercher, mit dem er eng befreundet ist, und anderen maßgeblichen Regierungsmitgliedern. Diese Bagage, so stellt sich schließlich heraus, kaufte sich z.B. positive Umweltgutachten für gewaltige neue Skigebiete, einschließlich der Teilsprengung von Gletschern, und betrieb andere umweltpolitisch anrüchige ­luxuriöse Anlagen in ganz Österreich.

Eine Umweltaktivistin verunglückt unter nicht wirklich geklärten Umständen und liegt im Koma. Natürlich legen die »Freunderl« einen Fonds für ihre Genesung auf. Der Bruder des russischen Liebhabers von Max ist ein reicher Unternehmer, zugleich Führer und Förderer einer rechtsextremen und homophoben Partei in Russland. Sein kleiner Bruder Sacha, der Liebhaber von Max, wird, vollgestopft mit KO-Tropfen, ertrunken in der Donau aufgefunden. Kanzler und Minister versuchen alles zu vertuschen, die Leiche von Sacha wird so schnell wie möglich nach Russland verschoben.

Mit vielen Details zeigt Petra Hartlieb auf, wie die Rhetorik dieser Art von Politikern funktioniert. Unter dem Druck eher ökologischer und dem Tierschutz zugeneigter Reporter kann Max Langwieser im Fernsehen sagen, er esse nur Biofleisch und ohnehin nur noch sehr wenig Fleisch. Mag das auch gelogen sein, wer will es überprüfen? Es löst aber im Ministerium und in der Regierung große Geschäftigkeit aus: Wie kann der schlechte Eindruck geradegebogen werden, den diese öffentliche Äußerung des Ministers bei den Lobbys der Fleischindustrie und der Bauernverbände macht? Kein Wort ist ehrlich, keine Überzeugung ist vorhanden, stattdessen geht es nur darum, bei den entscheidenden Mächtigen nicht anzuecken und den potenziell Oppositionellen Honig ums Maul zu schmieren.

Petra Hartlieb: Freunderlwirtschaft. Kriminalroman, Köln: Dumont, 2024. 413 S., 18 Euro. www.buecherserien.de/petra-hartlieb/

Die Rezension erschien in SOZ, Dezember 2024