von Nikolaus Dimmel*
Bei den Landtagswahlen in Salzburg am 23.April erzielte die KPÖ, die bislang Wahlergebnisse um die 0,4 Prozent einfuhr, einen spektakulären Wahlsieg: 11,7 Prozent in Salzburg Land, 21,5 Prozent in der Stadt Salzburg. Solche Werte erzielt die KPÖ sonst nur noch in Graz. Den Wahlerfolg verdankt die KPÖ ihrem Spitzenkandidaten Kay-Michael Dankl, einem jungen Mann, der von der Grünen Jugend kommt. Das Wahlergebnis zeigt, dass das repräsentative politische System ins Rutschen gekommen ist. Der nachstehende Artikel ist die Zusammenfassung eines Beitrags, den Nikolaus Dimmel auf www.streifzuege.org geschrieben hat.
Salzburg ist eine reiche Stadt, in der die politische Macht seit Jahrzehnten in der Hand der Oberschicht liegt. Bei der Verteilung von Einkommen und Vermögen liegt sie an der Spitze. Besonders spürbar wird das beim Wohnen: Kaum irgendwo sind die Wohnkosten so hoch wie im Salzburger Zentralraum und zugleich die Spekulationsgewinne und der Wohnungsleerstand so erheblich. Die Boden- und Mietenpreise sind unerschwinglich geworden. Milliarden, die für den Wohnungsbau vorgesehen waren, wurden umgeleitet in die Haushaltsanierung und in die Agrar- und Wirtschaftsförderung. Korruption ist verbreitet: Jahrelang hat die Verwaltung im Grundverkehrsrecht Scheinlandwirte, Spekulanten und Investoren (Parteispender) bedient. Grünland wurde dabei rechtswidrig zu Bauland umgewidmet.
Die Liste KPÖ PLUS hatte ihren Wahlkampf deshalb ganz auf die Wohnungsfrage konzentriert und damit großen Erfolg. Wer KPÖ wählte, wählte: Ich will mir meine Wohnung noch leisten können.
Die Wohnungsfrage steht beispielhaft für einen allgemeinen Trend: Die bürgerliche Mitte erodiert, sie leidet unter der wachsenden sozialen Ungleichheit und darunter, dass im Wohnungsbau, aber auch in der Sozial-, Verkehrs-, Gesundheits- und Bildungspolitik nur noch Investoren und Aktionäre regieren. Sie sieht sich in den alten Mehrheitsparteien ÖVP und SPÖ nicht mehr vertreten, sucht ihr Heil bei der FPÖ – oder auch bei der KPÖ. Das waren die einzigen Gewinner bei der Wahl.
Die KPÖ PLUS hat keinen ideologischen Wahlkampf geführt. Sie hat einen zur Wohnungsfrage überaus detaillierten Katalog mit Forderungen vorgestellt, die als Staatszielbestimmungen und teils als soziale Grundrechte bereits dem UN-Sozialpakt, der Europäischen Sozialcharta, der Europäischen Grundrechtecharta (ESC-II), der Kinderrechts- und Behindertenrechtskonvention zu entnehmen sind und zu denen sich die Republik Österreich bereits verpflichtet hat.
Wen vertritt KPÖ PLUS?
Die KPÖ PLUS hat sich gar nicht als Partei im Sinn einer straffen, finanziell gepuderten Organisation präsentiert. Dazu fehlten ihr die finanziellen und organisatorischen Grundlagen; ihre Wahlkampagne war eher eine Bewegung junger, sekundär und tertitär qualifizierter Ehrenamtlicher. Ihr Agieren ähnelt eher dem einer Sozialberatungseinrichtung, die als »Rechtsladen« Menschen zur Wahrung und Durchsetzung ihrer Rechtsansprüche verhilft. Sie fungiert als »Political Action Committee«, als Lobbygruppe, die ein zentrales Anliegen (»single issue«) zu befördern und durchzusetzen trachtet. Sie gibt sich links, grün und inklusiv, mit dem etatistischen Ziel, regulativ in die Wohnungswirtschaft einzugreifen und die Privatwirtschaftsverwaltung der öffentlichen Hand zu reorganisieren. Sie verbindet hierzu drei gesellschaftliche Gruppen:
- Erstens das akademische Prekariat mit seinen unsicheren Beschäftigungs- und Einkommensperspektiven.
- Zweitens die sozialliberale Fraktion des Bildungsbürgertums, Leute in Einfamilienhäusern in den Vierteln der oberen Mittelschicht. Diese haben ansatzweise begriffen, dass Freiheit nicht Freiheit der Investoren, sondern die Verpflichtung zur Schaffung sozialen Zusammenhalts meint: sie möchten den Kapitalismus vor dem Kapital retten.
- Drittens das nichtakademische Prekariat der Vorstädte, das um Teilhabe, Integration und Inklusion ringt und sich bislang zwischen Nichtwählerschaft, FPÖ und SPÖ bewegt hat. Es wurde damit umworben, dass der Spitzenkandidat sich um die Anliegen der kleinen Leute kümmert. Sie hat damit ein zentrales Narrativ der SPÖ erfolgreich aufgegriffen.
Die extreme Mitte
Dem Filz aus ÖVP und FPÖ korrespondiert ein Amalgam aus groß- und kleinbürgerlichen reaktionären Milieus, die Tariq Ali als »extreme Mitte« bezeichnet hat. Allerdings kommt ihm augenfällig die Fähigkeit abhanden, Hegemonie als postbürgerlichen Klassenkonsens zu organisieren. Noch ist dies vor allem auf Landesebene und kommunale Ebene erkennbar. Die Grünen sind als Teil des ÖVP-Milieus schon (wieder) tot. Sie wissen es nur noch nicht. Die urban-bildungsbürgerliche Mitte (NEOS mit 4,2 Prozent, Teile der Bobo-Population sowie frustrierte Teile der sozialliberalen Grünen) ist dabei zu zerbröseln. Es hilft nicht: das zerfallende urbane Bildungsbürgertum muss sich zwischen Wirtschafts- und Sozialliberalismus entscheiden.
Nikolaus Dimmel schreibt dazu: »Das Bürgerliche ist als Format der Vergesellschaftung (Freiheit/Gleichheit/Solidarität) historisch an sein Ende gekommen. Es erweist sich unter den Bedingungen der ›Akkumulation durch Enteignung‹ bloß noch als Anrufung einer Attrappe. ÖVP und FPÖ sind unter diesen Vorzeichen postbürgerliche Parteien, die die Interessen der Charaktermasken eines refeudalisierten Finanzmarktkapitalismus durchsetzen.« Ihr Gestus ist paternalistisch-autoritär, feudal, faschistisch. Das ursprünglich Bürgerliche erscheint als links und positioniert sich als konservative Verteidigerin noch bestehender rechts- und wohlfahrtsstaatlicher Errungenschaften. Vor diesem Hintergrund erweist sich die KPÖ PLUS von ihrer Wählerschaft und ihrem sozialen Substrat her betrachtet als weltanschaulich bürgerliche, ökonomisch keynesianische, politisch linksgrüne Partei. Sie hat die Werte der bürgerlichen Revolution, das Erbe des Keynesianismus, den sozialökologischen Green-New-Deal sowie die Traditionslinie sozialinvestiver Sozialpolitik beerbt.
Was daran »kommunistisch« ist bleibt opak. Wir sehen Forderungen nach einer Politik der Verteilung und Beschränkung der destruktiv-pathologischen Praktiken des Finanzmarktkapitalismus, aber kein Programm zur Vergesellschaftung der Produktionsmittel oder etwa auch nur ein Programm einer genossenschaftlichen Reorganisation der Arbeitswelt bzw. der Etablierung von Commons. Kurz: wir sehen programmatische Forderungen nach verteilungs-, aber nicht nach ordnungspolitischen Maßnahmen.
Nikolaus Dimmel fragt: Deutet dies nicht darauf, dass die kommenden Kämpfe monothematisch, mosaikartig, klassenübergreifend und sozial-nahräumlich organisiert auf kommunaler Ebene ausgefochten werden, wobei es um konkrete Lebensbedingungen und die Aufrechterhaltung eines Mindestmaßes staatlicher Daseinsvorsorge geht?
* Zusammenfassung von Angela Klein.
Quelle: www.streifzuege.org/2023/bekuemmerung-in-mozartkugelland