von Kurt Hofmann

Auch in ihrer 62.Ausgabe bot die Viennale, der Höhepunkt des österreichischen Kinojahrs, wieder ein hochwertiges und variantenreiches Programm.

Fekete pont – Lesson Learned, Ungarn 2024, Regie: Bálint Szimler

Die junge Lehrerin Juci trifft in Fekete pont auf demotivierte Schüler:innen und Lehrer:innen, die »Dienst nach Vorschrift« anstelle pädagogischer Bemühungen betreiben. Dass Juci andere Unterrichtsmethoden einführen will, wird nicht gerne gesehen. Alles soll bleiben, wie es ist, Vorschriften und Rituale sind einzuhalten.
Schon bald wird klar, dass Fekete pont kein Schulfilm ist. Die Unbeweglichkeit, die Verbissenheit, mit der alles Ungewohnte abgelehnt wird, wie selbst eine streunende Katze, die alle Kinder lieben (und füttern), von einer älteren Lehrerin zur drohenden Infektionsgefahr erklärt und heimlich vergiftet wird, und ein despotischer Schulwart absurde Regeln aufstellt, an die sich alle zu halten haben, macht klar: Was hier gezeigt wird, ist keine Schule, sondern ein erstarrtes Land, das sich nach innen wie außen abschottet.

Nichts geht mehr – die Schule als Exempel.

Qing chun (Ku) – Youth (Hard Times), Frankreich/Luxemburg/Niederlande 2024, Regie: Wang Bing

Zhili ist innerhalb Chinas als »Metropole der Kinderkleidung« bekannt. In der Stadt, die in der Provinz Zhejiang liegt, haben 14.000 Firmen ihren Sitz, sie produzieren jährlich 1,45 Milliarden Kleidungsstücke für den nationalen und internationalen Markt.

Doch wie, unter welchen Bedingungen, die Kleidung in den Textilwerkstätten hergestellt wird, das ist die andere Seite der Medaille, für die interessiert sich Wang Bings Doku. Eines ist es, den Zustand der Werkstätten und die häufig veralteten und fehleranfälligen Maschinen (es soll »möglichst günstig« produziert werden) in Augenschein zu nehmen, ein anderes, wie die Arbeiterinnen, häufig aus entlegenen Provinzen kommend und meist im jugendlichen Alter, von ihren Vorgesetzten behandelt werden.

Was passiert, wenn der Chef samt Kasse verschwindet und die Arbeiterinnen um die (ohnedies schon Monate ausstehenden) Löhne geprellt werden? Zunächst nichts, so zeigt uns der Film, denn die Partei wiegelt ab und die herbeigerufene Polizei, wenn sie denn endlich kommt, interessiert sich mehr für die (unbotmäßigen) protestierenden Arbeiterinnen als für den mit der Kasse verschwundenen Chef.
Der Versuch der Selbstorganisation ist trotz heftiger Diskussionen in Versammlungen schwierig, weil die Angst vor Konsequenzen Entscheidungen behindert. Schließlich ergreifen die Arbeiterinnen die Initiative und wollen die Einrichtung der Werkstätten verkaufen, doch die Käufer:innen erweisen sich als gewieft im Drücken der Preise.

Wang Bing vermittelt eine erschreckende Bilanz der Lage der Arbeiter:innen in China. Sie sind rechtlos, schlecht bezahlt, die Arbeits- und (nicht zu vergessen) Wohnbedingungen sind »improvisiert«, die Solidarität für die Mitverschworenen ist häufig brüchig angesichts des äußeren Drucks.
Ein Desaster, dokumentiert durch den unbestechlichen Blick der (Hand-)Kamera. Erstaunlich, wie (und dass) es Wang Bing gelungen ist, das Vertrauen der jugendlichen Protagonistinnen zu erringen und – dies ist wohl teilweise den chaotischen Verhältnissen vor Ort geschuldet – Dreherlaubnisse zu erhaschen, im Zweifelsfall diese mögliche Hürde fraglos auch ignorierend.

Strangers in the Night, USA 1944, Regie: Anthony Mann

»Helene Thimig – (k)eine Filmkarriere« – unter diesem sorgfältig gewählten Titel hat das Filmarchiv Austria ein Programm beigesteuert. Es deutet damit an, dass es sich bei dieser Reihe um ein Porträt der großen Theaterschauspielerin Helene Thimig handelt, allein bei Strangers in the Night ist sie in einer Hauptrolle zu sehen.

Nur eines hat den jungen Sergeanten Johnny Meadow während der Zeit im Lazarett am Leben gehalten: die Briefe eines Mädchens, von dem er nichts weiß außer dem Namen und der Adresse.

Auf dem Weg zu seiner Rosemary trifft der gesundete Soldat im Zug auf eine junge Ärztin, die sein Interesse weckt.

An Klippen steht ein Haus, für dessen Abgeschiedenheit von der restlichen Welt die Hausherrin sorgt. Sie heißt Hilda Blake und hat noch eine ihr in Unterwürfigkeit und »Freundschaft« verbundene Haushälterin neben sich. Die Tochter, präsent durch ein übergroßes Porträt, ist abwesend, soll aber, will man Hilda Blake glauben, bald eintreffen.

Irgend etwas stimmt da nicht, dieses Gefühl hat auch Johnny, als er eingeladen und zugleich von der omnipräsenten Hausherrin wieder ausgeladen wird. Seine Freundin aus dem Zug, die ausgerechnet im nahe gelegenen Ort ihre erste Praxis aufmacht, bestärkt ihn darin. Dieser Hilda Blake, einer düsteren Erscheinung auf Krücken, widerspricht man besser nicht.

Strangers in the Night, ein Thriller des Westernregisseurs Anthony Mann, entstanden 1944, entwickelt eine perfekte Mischung aus Angst, Geheimnissen und unheimlicher Atmosphäre. Dass die Vorlage für den Film von Philip MacDonald, dem Drehbuchautor von Hitchcocks Rebecca stammt, ist dem Film deutlich anzumerken und ein Trumpf; das andere ist die Konzentration auf die Protagonistin, welche, einer Spinne gleich, ihr Netz ausbreitet.

Ohne die alle Facetten ihrer Figur unnachahmlich entwickelnde Helene Thimig würde wohl manch Schablonenhaftes in Strangers in the Night deutlicher sichtbar werden, doch deren Spiel mit der Erwartung des Publikums, was die mysteriöse Hilda Blake als nächstes vorhat, dominiert Manns raffinierten Noir.

 

Die Besprechung erschien zuerst in SOZ, Sozialistische Zeitung Dez. 2024