Venezuelas autoritärer Kurs und die Unterdrückung der Linken
von Edgardo Lander, 1. November 2025
Seit den umstrittenen Wahlen in Venezuela im Jahr 2024 hat die Regierung von Nicolás Maduro ihren autoritären Kurs verschärft. In den Tagen nach der Wahl wurden mehr als 2.000 Menschen festgenommen, und die gezielte Verfolgung wurde auf Journalist:innen, Gewerkschaft:inner, Akademiker:innen und Menschenrechtsverteidiger:innen ausgeweitet. Die Menschenrechtsaktivistin Marta Lía Grajales verschwand für zwei Tage, nachdem sie die brutale Misshandlung von Müttern angeprangert hatte, die die Freilassung ihrer inhaftierten Kinder forderten. María Alejandra Díaz, eine chavistische Anwältin und ehemaliges Mitglied der Verfassungsgebenden Versammlung, wurde ihrer Lizenz enthoben und schikaniert, nachdem sie Transparenz bei der Auszählung der Stimmen gefordert hatte. Diese Fälle veranschaulichen eine umfassendere Strategie der Einschüchterung und Kriminalisierung.
Die Repression trifft vor allem die kritische Linke. In den letzten Monaten haben die offiziellen Medien Edgardo Lander, Emiliano Terán Mantovani, Alexandra Martínez, Francisco Javier Velasco und Santiago Arconada beschuldigt, ein angebliches „Netzwerk ausländischer Einmischung“ zu bilden, das sich als akademische und ökologische Arbeit tarnt. Institutionen wie die Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der Zentraluniversität von Venezuela, CENDES, das Observatorium für politische Ökologie und die Rosa-Luxemburg-Stiftung wurden ebenfalls als Teil dieser angeblichen Verschwörung diffamiert.
Edgardo Lander – Soziologe, emeritierter Professor an der Zentraluniversität von Venezuela und eine führende Stimme in lateinamerikanischen Debatten über Demokratie, Rohstoffabbau und die Zukunft der Linken – gehört selbst zu den Betroffenen. Seine kritische Arbeit zum Orinoco Mining Arc und sein Beharren auf unabhängigem Denken haben ihn ins Fadenkreuz der Regierung gebracht.
In diesem Interview, geführt von Anderson Bean, reflektiert Lander über die zunehmende Unterdrückung in Venezuela, die Kriminalisierung abweichender Meinungen und die Gefahren für die akademische Freiheit, die Demokratie und die internationale Solidarität. Das Gespräch wurde übersetzt und aus Gründen der Klarheit und Kürze leicht überarbeitet.
Anmerkung der Redaktion: Dieses Interview fand vor dem illegalen Angriff der US-Marine auf ein unter venezolanischer Flagge fahrendes Schiff in der Karibik am 3. September statt, bei dem alle 11 Menschen an Bord getötet wurden. [1] [Tempest]
Anderson Bean: Seit den umstrittenen Wahlen von 2024 hat sich die Unterdrückung kritischer Stimmen verschärft, mehr als 2.000 Menschen wurden verhaftet und gezielte Verfolgungen haben zugenommen. Wie würden Sie das allgemeine Klima der Unterdrückung in Venezuela seit den Wahlen beschreiben?
Edgardo Lander: Diese Wahlen waren in vielerlei Hinsicht ein Wendepunkt im bolivarischen Prozess Venezuelas. In den letzten Jahren wurden Grenzen, die einst als unüberwindbar galten, immer wieder überschritten.
Bis zu den Präsidentschaftswahlen in Venezuela im letzten Jahr war das System im Großen und Ganzen vertrauenswürdig. Ja, es gab einige vereinzelte Fälle, in denen Betrug offensichtlich war, wie bei den Gouverneurswahlen in Bolívar und Barinas, aber diese hatten keinen Einfluss auf die Ergebnisse auf nationaler Ebene. Das automatisierte elektronische Wahlsystem Venezuelas mit seinen vielfältigen Sicherheitsvorkehrungen hatte groß angelegten Betrug sehr erschwert.
Der Ablauf war einfach: Man gab seine Stimme ab, die Maschine zeigte die Wahl auf einem Bildschirm an und druckte dann einen Papierbeleg aus. Man überprüfte, ob dieser mit der eigenen Stimme übereinstimmte, und warf ihn in eine Wahlurne. Am Ende des Tages erstellten die Maschinen einen Bericht, und in Anwesenheit von Zeugen wurden die Urnen geöffnet und mit den Maschinenauszählungen verglichen. Die Aufzeichnungen wurden von Zeugen unterzeichnet, um zu bestätigen, dass die elektronischen und die Papierauszählungen übereinstimmten. Deshalb waren die Wahlen in Venezuela bis zu diesem Zeitpunkt, ich wiederhole, grundsätzlich zuverlässig.
Aber als die Regierung diesmal die Ergebnisse erhielt, wurde ihr klar, dass sie nicht nur verlieren würde, sondern sogar deutlich verlieren würde. Sie dachte vielleicht, sie könne sich eine knappe Niederlage leisten und dann die Ergebnisse in einigen Bundesstaaten manipulieren, um doch noch einen Sieg davonzutragen. Aber die Niederlage war so vernichtend, dass dies unmöglich war. Also warfen sie einfach die Spielregeln über Bord.
Sie behaupteten, das System sei aus Nordmazedonien gehackt worden. Dann erschien der Vorsitzende des Nationalen Wahlrats – buchstäblich mit einer Serviette in der Hand – und verlas erfundene Zahlen, die nichts mit der tatsächlichen Abstimmung zu tun hatten. Nicht lange danach wurde Maduro zum Sieger erklärt.
Das war eine sehr wichtige rote Linie, denn sie markierte den Wandel von einer Regierung, die zwar öffentliche Ressourcen manipulierte, Staatsbedienstete bedrohte, die Opposition unterdrückte und einschüchterte, Oppositionsparteien an der Ausübung ihrer Aktivitäten hinderte und so weiter – aber wo am Wahltag selbst die Stimmen der Menschen zumindest getreu von den Maschinen erfasst wurden. Zum ersten Mal beschlossen sie unverhohlen, die Spielregeln zu brechen und den Begriff der Wahlen aus dem politischen oder demokratischen Spiel zu streichen. Das war ein Schritt in Richtung eines Regimes, das sich offen als autoritär erwies und sowohl die Verfassung als auch die Wahlnormen missachtete.
Das löste natürlich massive Proteste aus, auf die die Regierung mit Massenverhaftungen reagierte. Viele dieser Verhaftungen waren völlig willkürlich: Junge Menschen, die zufällig vor ihren Häusern standen oder gerade Brot kaufen gegangen waren, wurden des Terrorismus beschuldigt und abgeführt. Die Regierung hat im Grunde zugegeben, dass sie keine Mehrheit hinter sich hat und dass sie, wenn sie an der Macht bleiben will, dies durch Unterdrückung und Einschüchterung der Bevölkerung tun muss.
Deshalb kam es nach dem Wahltag zu zwei Tagen mit großen Demonstrationen. Mindestens 25.000 Menschen gingen auf die Straße, und fast 2.000 wurden unter brutaler Repression festgenommen. Damit gelang es ihnen, Terror zu verbreiten und die Menschen zurück in ihre Häuser zu treiben.
Seitdem hat sich diese Logik der systematischen Unterdrückung auf allen Ebenen fortgesetzt. Das bedeutete die Verhaftung von Journalist:innen, die Verhaftung von Ökonom:innen, weil sie Zahlen veröffentlicht hatten, die der Regierung nicht gefielen, die Inhaftierung von Gewerkschafter:innen und Universitätsprofessor:innen. Nach den massiven Verhaftungen in den Tagen nach der Wahl ist die Unterdrückung selektiver geworden, aber sie bewegt sich stetig in Richtung einer totalen Intoleranz gegenüber abweichenden Meinungen.
Die Regierung hat in den letzten Monaten weitere Medien geschlossen und eine Reihe von Gesetzen erlassen – das „Anti-Hass-Gesetz”, das „Anti-Terror-Gesetz” und andere –, die darauf abzielen, jede oppositionelle Handlung, egal wie friedlich sie auch sein mag, unter Strafe zu stellen, da jede solche Handlung sofort als Terrorismus gebrandmarkt wird.
Heute stehen wir einer Regierung gegenüber, die versucht, jede Möglichkeit der Meinungsäußerung, jeden Raum, in dem sie existieren kann, zu unterbinden. Das erklärt die Angriffe auf Universitäten, auf Journalisten und die systematische Kampagne gegen NGOs. Da die Regierung darauf besteht, alles als Kampf zwischen einer „revolutionären Regierung“ und „imperialistischer Aggression“ darzustellen, werden NGOs als von ausländischen Geldern finanzierte Instrumente der CIA bezeichnet, deren Ziel es sei, die Regierung zu untergraben. Zuletzt gehörte dazu auch die Rosa-Luxemburg-Stiftung, und die Kritik am Orinoco-Bergbauprojekt wurde als Angriff auf den Staat gebrandmarkt.
Ein sehr aktueller und bedeutender Meilenstein in der autoritären Entwicklung war der Angriff auf die Mütter politischer Gefangener, die eine Mahnwache abhielten. Diese Mütter, deren Söhne inhaftiert sind, waren von einer staatlichen Behörde zur nächsten gegangen, bis ihnen mitgeteilt wurde, dass nur der Präsident des Obersten Gerichtshofs über ihre Fälle entscheiden könne. Sie gingen zum Gericht, beantragten eine Anhörung, wurden abgelehnt und beschlossen dann, auf dem Platz vor dem Gebäude eine Mahnwache abzuhalten. Sie bauten ein Zelt auf, wurden von Menschenrechtsaktivisten unterstützt und hatten sogar Kinder dabei. Gegen zehn Uhr abends wurde die ständige Wache vor dem Gericht abgezogen, die Beleuchtung in der Umgebung ausgeschaltet, und dann trafen etwa 80 Mitglieder regierungsfreundlicher Colectivos ein, von denen einige maskiert waren. Sie schlugen die Mütter, stahlen ihre Mobiltelefone und Ausweise und vertrieben sie mitten in der Nacht vom Platz. Viele der Mütter waren aus den Provinzen angereist und saßen nun in der Stadt fest, ohne Kommunikationsmöglichkeiten.
Es war wirklich empörend, eine weitere Eskalation der autoritären Logik. Als die Mütter versuchten, bei der Generalstaatsanwaltschaft und dem Ombudsmann Beschwerde einzureichen, wurde ihnen gesagt, dass nichts unternommen werden könne, da es sich um eine „private Aktion” der Colectivos und nicht der Polizei gehandelt habe – eine absurde Behauptung.
Diese Offensive gegen Intellektuelle, gegen die Zentraluniversität von Venezuela – die zu einem wichtigen Ort des Denkens und des Widerstands geworden ist – ist Teil einer umfassenderen Strategie: Jeder einzelne Ort, an dem Stimmen existieren könnten, die von denen der Regierung abweichen, soll als Feind, als Agent des Imperialismus behandelt und verfolgt werden. Das sind die neuen Spielregeln.
Anderson Bean:
Im vergangenen Jahr gab es Fälle, in denen sogar Personen mit chavistischem Hintergrund unterdrückt wurden – zum Beispiel Marta Lía Grajales, die in einen nicht gekennzeichneten Kleinbus gezwungen und festgenommen wurde, nachdem sie die gewaltsame Prügelattacke auf Mütter angeprangert hatte, die für die Freilassung ihrer Kinder protestierten, ein Vorfall, den Sie gerade beschrieben haben, und María Alejandra Díaz, eine Anwältin und ehemalige Abgeordnete der Verfassungsgebenden Versammlung, der die Lizenz entzogen wurde, nachdem sie Transparenz bei den Wahlen 2024 gefordert hatte.
Was sagen diese Fälle über die Bereitschaft der Maduro-Regierung aus, ehemalige Verbündete und ihre eigene Basis ins Visier zu nehmen? Könnten Sie auch etwas mehr über ihre Situation erzählen und warum sie so bedeutend sind?
Edgardo Lander: Marta Grajales war tatsächlich etwa zweieinhalb Tage lang verschwunden. Ihr Ehemann und Menschenrechtsorganisationen suchten alle üblichen Haftanstalten auf, in denen Menschen unter solchen Umständen festgehalten werden, und in jeder einzelnen wurde ihnen gesagt, dass sie nicht dort sei. Die Reaktion war so stark – Mobilisierung in der lateinamerikanischen Öffentlichkeit, in akademischen Kreisen, Netzwerken sozialer Organisationen und sogar unter Teilen der chavistischen Basis –, dass die Regierung offenbar (ich kann das nicht mit Sicherheit sagen, aber es scheint wahrscheinlich) von der Stärke der Reaktion überrascht war und beschloss, Marta sofort freizulassen.
Das bedeutet nicht, dass sie frei ist: Sie sieht sich immer noch mit äußerst schweren Anklagen konfrontiert, die zu einer Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren führen könnten, wenn ihr Fall vor Gericht kommt und sie verurteilt wird. Aber es ist bereits klar, dass es hier nicht um die Unterdrückung der rechten Opposition geht. Marta ist keine Rechte – sie ist eine Compañera, eine langjährige Chavista-Aktivistin. Der Punkt ist, dass es keine Rolle mehr spielt, ob jemand einen Parteiausweis, eine militante Vergangenheit oder jahrelange Identifikation mit der Regierung hat. Chavist:in zu sein ist kein Schutz mehr.
Deshalb hebe ich eines der wichtigsten Merkmale der aktuellen politischen Lage hervor, das in einem Hashtag zum Ausdruck kommt, der in den letzten Tagen viele Regierungserklärungen begleitet hat: „Zweifeln ist Verrat.“ Das wird immer wieder wiederholt. Und das ist ein Zeichen von Schwäche, von Unsicherheit, denn es gibt Menschen innerhalb der Streitkräfte, der Polizei und sogar der chavistischen Basis, die mit dem, was geschieht, nicht einverstanden sind. In diesem Zusammenhang ist es nicht nur verboten, Missstände anzuprangern – es ist sogar verboten, zu zweifeln. Wer Zweifel hat, muss sie für sich behalten, denn das Äußern von Zweifeln wird als Verrat behandelt.
Dies ist ein neues autoritäres Modell, in dem nicht nur autonome Organisationen verboten sind, sondern sogar Gewerkschaften für überflüssig erklärt wurden – Maduro hat angekündigt, eine neue Struktur zu schaffen, die sie ersetzen soll. Er hat auch die Schaffung von Milizen am Arbeitsplatz angekündigt: 450.000 bewaffnete Menschen an Arbeitsplätzen im ganzen Land, angeblich um dem Imperialismus zu widerstehen, wenn die Marines kommen. All dies verschließt jeden möglichen demokratischen Raum, jedes Ventil für freie Meinungsäußerung. Das Ziel ist es, Angst zu erzeugen – Angst, auf die Straße zu gehen, Angst, sich zu äußern, Angst unter Journalist:innen, die sich selbst zensieren –, sodass wir am Ende ein geschlossenes Regime ohne jegliche Optionen haben.
Maduros Verhältnis zur Linken auf dem gesamten Kontinent hat sich enorm verschlechtert. Die einzigen Regierungen, mit denen er noch zusammenarbeitet, sind Kuba, Nicaragua und bis zu einem gewissen Grad Bolivien, zumindest bis zu den jüngsten Wahlen. Darüber hinaus ist Venezuela sehr isoliert. Natürlich gibt es immer noch einen Teil der Linken, der an der Idee festhält, dass „der Feind immer der Imperialismus ist – wer sich dem Imperialismus widersetzt, ist mein Verbündeter, wer das nicht tut, ist mein Feind“. Und so gab das São Paulo Forum – der Dachverband vieler „offizieller“ linker Parteien Lateinamerikas (nicht aller, aber einer bedeutenden Anzahl) – selbst in diesem Kontext schwerwiegender Vorwürfe eine Erklärung ab, in der Menschenrechte, Verfolgung oder Inhaftierungen mit keinem Wort erwähnt wurden. Sie sprachen nur von den Bedrohungen, die die Vereinigten Staaten für die Souveränität Venezuelas darstellen – also von etwas ganz anderem.
Das ist äußerst gravierend. Ich betone immer wieder, dass das Schlimmste, was man der Linken, jeder antikapitalistischen oder progressiven Option in der heutigen Welt antun kann, darin besteht, das, was in Venezuela existiert, als „Sozialismus“ oder „linke Regierung“ zu bezeichnen. Denn das ruft eine solche Ablehnung hervor, dass die Menschen verständlicherweise sagen: „Wenn das die Linke ist, wenn das Sozialismus ist, dann werde ich für die Rechte stimmen.“ Deshalb halte ich die Haltung des São-Paulo-Forums für so pervers: Es perpetuiert den Mythos, dass die Regierungen von Kuba, Nicaragua und Venezuela revolutionäre, progressive, demokratische Regierungen sind. Dabei kann jeder in den Zeitungen nachlesen, wie die Realität aussieht.
Im Falle Venezuelas ist dies aufgrund der schieren Zahl der Migranten, die das Land verlassen haben, noch deutlicher. Ihre Berichte aus erster Hand über das, was sie durchgemacht haben, können nicht zum Schweigen gebracht oder geleugnet werden – es gibt einfach zu viele Stimmen, die dasselbe sagen. Fragt man sie, warum sie das Land verlassen mussten, häufen sich die Antworten: wegen diesem und jenem und jenem. Die Zeugenaussagen sind überwältigend.
Anderson Bean: In diesem Zusammenhang wurden Sie und andere prominente Wissenschaftler in den offiziellen Medien beschuldigt, Teil eines angeblichen „Netzwerks politischer Einmischung zu sein, das sich als akademische und ökologische Arbeit tarnt“. Könnten Sie zunächst einmal erklären, worin diese Vorwürfe konkret bestehen und woher sie kommen? Und wie interpretieren Sie dann die weiterreichende Bedeutung dieser Angriffe für die akademische Freiheit und die kritische Debatte in Venezuela? Warum finden diese Angriffe Ihrer Meinung nach gerade jetzt statt, und was sagen sie über die Prioritäten und Ängste der Regierung in diesem Moment aus?
Edgardo Lander: Ich denke, diese Vorwürfe sind einfach ein weiterer Ausdruck dessen, was ich beschrieben habe – eine Regierung, die jede Form von Widerspruch gegen ihre Politik verhindern will. Es geht nicht nur darum, Arbeiter:innen zu unterdrücken, die für bessere Löhne kämpfen, oder Mütter, die die Freilassung ihrer inhaftierten Söhne fordern. Es geht auch darum, zu sagen, dass die intellektuelle Gemeinschaft selbst, allein durch die Erforschung der staatlichen Politik, eine Straftat begeht.
Nehmen wir den Fall der Forschung zu den Vorgängen im Orinoco-Bergbaugebiet. Allein die Untersuchung – die Frage, was mit den indigenen Bevölkerungsgruppen geschehen ist – zeigt beispielsweise, dass indigene Kinder einen hohen Quecksilbergehalt im Blut haben. Das ist Forschung: das Dokumentieren dessen, was tatsächlich geschieht. Für die Regierung ist dies jedoch ein Angriff auf ihre Autorität, auf ihr Recht, die Politik zu bestimmen, die sie für angemessen hält.
Wenn sie mich also persönlich nennen, dann nicht, weil ich etwas Außergewöhnliches getan habe – außer Meinungen zu äußern, an Debatten teilzunehmen und Ideen in Lateinamerika zu verbreiten. Aber die Regierung sieht das als Gefahr, als Bedrohung. Und deshalb muss es zum Schweigen gebracht werden. Sie muss versuchen, Intellektuelle, selbst diejenigen, die nur mäßig kritische Meinungen äußern, zur Selbstzensur zu zwingen – oder sie davon abzuhalten, Forschungen durchzuführen, die die Regierung kompromittieren oder unbequeme Realitäten aufzeigen könnten.
Das ist ein immer festerer Griff, eine Belagerung, die, ich wiederhole, immer enger wird – bis kaum noch Raum zum Atmen bleibt.
Anderson Bean: Neben Personen wie Ihnen sind auch bekannte Institutionen wie die Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften der UCV, CENDES und das Observatorio de Ecología Política angegriffen worden. Unter ihnen sticht der Fall der Rosa-Luxemburg-Stiftung hervor, insbesondere aufgrund ihrer öffentlichen Verbindungen zur deutschen Partei Die Linke. Könnten Sie für diejenigen, die damit vielleicht nicht vertraut sind, erklären, was die Stiftung ist, welche Arbeit sie in Venezuela geleistet hat und warum sie jetzt möglicherweise Ziel von Angriffen ist?
Edgardo Lander: Zunächst einmal ist es für diejenigen, die mit den deutschen politischen Stiftungen nicht vertraut sind, sinnvoll, deren Funktionsweise zu erklären. Im deutschen politischen System erhalten Parteien, die eine bestimmte Schwelle an Sitzen im Parlament überschreiten, öffentliche Mittel für eine mit dieser Partei verbundene politische Stiftung. Die Sozialdemokraten haben eine Stiftung, die Christdemokraten haben eine – die Adenauer-Stiftung – und die Linkspartei, Die Linke, hat die Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Diese Stiftungen sind hauptsächlich außerhalb Deutschlands tätig und konzentrieren sich auf kulturelle und politische Debatten. Sie sind keineswegs politische Aktivisten, die direkt in die Angelegenheiten anderer Länder eingreifen. Die Rosa-Luxemburg-Stiftung unterhält Büros in ganz Lateinamerika: in Mexiko (für Mexiko, Mittelamerika und die Karibik), in Brasilien, in Argentinien (für den Südkegel) und in Quito, das Venezuela, Kolumbien, Ecuador und Bolivien abdeckt.
Während der Jahre der progressiven Regierungen arbeitete die Rosa-Luxemburg-Stiftung – und insbesondere ihr Andenbüro in Quito – an einem Thema, das seit der Jahrhundertwende im Mittelpunkt der Debatten der Linken und sozialen Bewegungen in Lateinamerika steht: dem Extraktivismus. Dabei geht es um die Frage, was es bedeutet, die Bergbaugrenze immer weiter in neue Gebiete vorzustoßen, und welche Verwüstungen dies für die indigenen Völker auf dem gesamten Kontinent mit sich bringt.
Einerseits förderten, feierten und aktivierten progressive Regierungen Prozesse der Volksorganisation – von den städtischen Volksschichten bis hin zu indigenen Völkern, Hirten und Bauern. Aber die extraktivistische Politik bedeutete auch, dass der Staat mit Repression reagierte, wenn indigene Völker sich gegen die Besetzung ihrer Gebiete wehrten.
Die Frage des Extraktivismus und des von progressiven Regierungen verfolgten umfassenderen Entwicklungsmodells ist also untrennbar mit der Zivilisationskrise verbunden, mit der wir konfrontiert sind. Sie berührt die Grenzen des Planeten, die Rechte indigener Völker und Umweltbedrohungen. Dies sind von Natur aus politische Themen – sie sind keine neutralen, rein akademischen Fragen. Sie wirken sich direkt auf das Leben der Menschen aus.
Deshalb wird in Venezuela heute sogar die Forschung oder öffentliche Kritik an der extraktivistischen Politik – wie die Infragestellung der Strategie der Regierung im Orinoco-Bergbaugebiet – als direkter Angriff auf den Staat behandelt. Zuletzt wurde die Rosa-Luxemburg-Stiftung als Hauptfeind herausgegriffen, gerade weil sie Debatten, Studien und Bewegungen unterstützt hat, die die sozialen und ökologischen Kosten des Bergbaus und des Extraktivismus in Frage stellen. Was in Wirklichkeit akademische Forschung und Bewegungsaufbau ist, wird von der Regierung als politische Subversion umgedeutet.
Denken Sie zum Beispiel an Wasser. Es ist schwer vorstellbar, dass es heute irgendwo auf der Welt eine Bewegung zum Schutz des Wassers gibt, die nicht politisch ist. Denn wenn Menschen Wasser schützen, dann deshalb, weil jemand etwas tut, um es zu verschmutzen oder zu erschöpfen. Das macht es zwangsläufig zu einem Thema der Debatte, und Debatten beinhalten immer politische Positionen.
Der Punkt ist also nicht, dass die Rosa-Luxemburg-Stiftung unpolitisch ist. Die Themen, mit denen sie sich befasst – Rohstoffabbau, Rechte indigener Völker, Umweltbedrohungen – haben zwangsläufig eine politische Dimension. Aber sie ist keineswegs eine Stiftung, die Maßnahmen unterstützt oder finanziert, die darauf abzielen, die venezolanische Regierung zu untergraben.
Wenn es Gruppen gibt, die den Orinoco-Bergbau-Bogen untersuchen, und ihre Berichte zeigen die extrem negativen Auswirkungen des illegalen Bergbaus in dieser Region, nimmt die Regierung das als Angriff auf sich selbst wahr. Und von da an bleibt ihnen nur noch Schweigen als Alternative – niemand sagt mehr etwas zu irgendetwas.
Die Behauptung, die Rosa-Luxemburg-Stiftung werde von der deutschen Regierung finanziert und sei daher Teil eines imperialistischen Projekts der USA zur Untergrabung Venezuelas, ist nicht nur paranoid, sondern auch nur ein Versuch, alles in einen Topf zu werfen und NGOs insgesamt anzugreifen.
Natürlich gibt es viele kleine, vielfältige Organisationen, die sich mit Themen wie Wahlen, Umwelt, Menschenrechten, Frauenrechten und so weiter befassen. In ganz Lateinamerika erhalten viele dieser Gruppen externe Finanzmittel – manchmal von Kirchen, manchmal von der Europäischen Union, manchmal aus anderen Quellen. Und die Regierung versucht, all dies als Teil einer großen imperialistischen Strategie darzustellen, diese Organisationen zu finanzieren, um die Regierung zu untergraben.
Das ergibt zwar konkret keinen Sinn, aber politisch ist es absolut sinnvoll, um die Basis der Regierung davon zu überzeugen, dass Venezuela angegriffen wird und dass jeder, der neutral erscheint – oder sogar mit dem Chavismus sympathisiert –, aber dann die Politik der Regierung in Fragen kritisiert, die der Staat als entscheidend erachtet, sofort zum Feind wird. Und der Feind muss bekämpft werden.
Das bringt die Rosa-Luxemburg-Stiftung natürlich in eine sehr schwierige Lage. Es wird für sie außerordentlich schwer, ihre Arbeit fortzusetzen. Und die Gemeinschaften, mit denen sie zusammengearbeitet hat – Kleinbauern, Landwirte und andere – verlieren letztendlich die Unterstützung, die sie bisher hatten.
Auf jeden Fall muss man sich darüber im Klaren sein: Es handelt sich um eine kleine Stiftung. Sie sitzt nicht auf Millionen und Abermillionen von Dollar. Ihre Projekte sind bescheiden.
Anderson Bean: Warum finden diese Angriffe Ihrer Meinung nach gerade jetzt statt, und was sagen sie über die Prioritäten und Ängste der Regierung in diesem Moment aus?
Edgardo Lander: Ich denke, was gerade passiert, hat mit dem zu tun, was ich bereits erwähnt habe: Die Regierung fühlt sich zunehmend isoliert. Sie fühlt sich international immer mehr isoliert und innerhalb der globalen Linken zunehmend diskreditiert, auch wenn es in diesem Bereich Spannungen und Widersprüche gibt. Und natürlich sieht sie auch Unzufriedenheit innerhalb ihrer eigenen Basis.
Das liegt in erster Linie daran, dass sich die Lebensbedingungen der einfachen Bevölkerung nicht verbessern. Heute beträgt der Mindestlohn in Venezuela weniger als einen US-Dollar pro Monat. Er wird teilweise durch verschiedene Zulagen ausgeglichen, die willkürlich an wen auch immer und wann auch immer verteilt werden – als Instrument der politischen Kontrolle über die Bevölkerung.
Was wir haben, ist eine Regierung, die längst jedes politische Projekt aufgegeben hat. Der ganze Diskurs über die Vertiefung der Demokratie, über den Sozialismus – all das ist einfach aus dem Blickfeld verschwunden. Das praktisch einzige Ziel der Regierung ist jetzt ihr eigenes Überleben an der Macht.
Um sich zu erhalten, stützte sie sich früher auf ein gewisses Maß an Unterstützung durch die Bevölkerung. Aber da diese Unterstützung immer mehr schwindet, ist Repression ihre einzige Option geworden. Deshalb stützt sich ihre Rhetorik jetzt so stark auf Appelle an Patriotismus, Nationalismus, Antiimperialismus und externe Bedrohungen. In dieser Erzählung wird alles in einen Topf geworfen. Auch NGOs werden mit einbezogen – denn die Regierung muss all dies nicht als Bedrohung für sich selbst, sondern als Bedrohung für Venezuela darstellen.
Anderson Bean: Schließlich sind viele der Angegriffenen, darunter auch Sie selbst, langjährige Mitstreiter von Bewegungen und Genossinnen und Genossen im Ausland. Welche Formen der internationalen Solidarität sind in dieser Phase am nützlichsten?
Edgardo Lander: Zunächst möchte ich, nicht nur in Bezug auf die aktuelle Situation, sondern in einem eher dauerhaften Sinne, auf einen Punkt zurückkommen, den ich bereits zuvor angesprochen habe. Für Teile der venezolanischen Linken, die die Ereignisse der letzten Jahre in diesem Land miterlebt und darunter gelitten haben, ist es sehr schmerzhaft zu sehen, dass Intellektuelle, Organisationen und linke Journalist:innen Venezuela weiterhin als linke Regierung, sozialistische Regierung oder revolutionäre Regierung bezeichnen.
Das ist herzzerreißend, zutiefst schmerzhaft – denn es bedeutet, alle Beweise für das, was in diesem Land geschieht, zu ignorieren, die Augen vor der Realität zu verschließen, und das alles im Namen der Verteidigung gegen den Imperialismus.
Aber sich gegen den Imperialismus zu wehren, muss zwangsläufig bedeuten, eine Lebensweise anzubieten, die besser ist als die, die der Imperialismus bietet – nicht schlechter.
Deshalb halte ich Ihre Arbeit und die Initiative Ihres Buches für so wertvoll: Sie schafft Raum für eine ernsthafte, durchdachte und fundierte Diskussion darüber, was tatsächlich geschieht, anstatt in eine vereinfachende, manichäische Debatte zwischen „Guten und Bösen“ oder „Antiimperialisten und Proimperialisten“ zu verfallen.
Es geht hier um Solidarität – nicht um Solidarität mit einer Regierung, sondern um Solidarität mit den Völkern. Und das ist nicht nur für Venezuela wichtig, sondern auch international. Das Wort „Sozialismus“ wird in bestimmten Teilen der Welt immer populärer; tatsächlich zieht das Wort viele Menschen an. Aber wenn „Sozialismus“ mit Venezuela gleichgesetzt wird, untergräbt das seine Anziehungskraft. Deshalb ist es absolut notwendig, die venezolanische Erfahrung vom Traum einer anderen möglichen Welt zu unterscheiden.
Was die aktuelle Situation betrifft, so muss die internationale Reaktion auf die Verhaftung von Marta Lía Grajales und dann auf die Anschuldigungen gegen die Zentraluniversität von Venezuela, CENDES und die Rosa-Luxemburg-Stiftung für die Regierung überraschend gekommen sein – aufgrund des Ausmaßes der Ablehnung, die sie hervorgerufen hat. Und eines der bestimmenden Merkmale der Linken war schon immer der Internationalismus.
Wenn wir über die Krise der Zivilisation, Alternativen zur Entwicklung und Widerstand gegen den Extraktivismus nachdenken, dann können wir dies nicht innerhalb der Grenzen einer einzelnen Nation tun. Wir müssen uns ihnen über grenzüberschreitende Netzwerke nähern. So gab es beispielsweise während des Kampfes gegen die Freihandelszone der Amerikas (FTAA/ALCA) vor zwanzig Jahren eine bemerkenswerte Vernetzung auf dem gesamten Kontinent: Gewerkschaften, Student:innen, Beschäftigte des öffentlichen Dienstes, Bauern und Bäuerinnen, indigene Organisationen, feministische Bewegungen aus ganz Lateinamerika, einschließlich Kanada und den Vereinigten Staaten. Diese Vernetzung schuf Netzwerke, Wissen, persönliche Kontakte und Möglichkeiten zum Informationsaustausch.
Diese Netzwerke und dieses Wissen sind in Lateinamerika noch immer lebendig. Sie haben zwar nicht mehr die Kraft, die sie während des Kampfes gegen die FTAA hatten, aber sie bestehen weiterhin. Deshalb kommt es so oft vor, dass, wenn in einem Land der Region etwas passiert, es zu einer Reaktion auf dem gesamten Kontinent kommt – weil die Kanäle, um zu kommunizieren, was passiert, und um zu Reaktionen aufzurufen, noch immer vorhanden sind.
11. September 2025
Quelle: Tempest.
Fußnote
[1] Reuters, 3 September 2025 “US military kills 11 people in strike on alleged drug boat from Venezuela, Trump says.
Das Interview erschien in Tempest und International Viewpoint, wurde von uns maschinell ins Deutsche übersetzt und auf grobe Fehler durchgesehen.