Rosario Ibarra: Mexikanische sozialistische Feministin, 1927-2022. Presente!

Rosario Ibarra de Piedra, eine der wichtigsten Persönlichkeiten der mexikanischen Linken, starb am 16. April 2022 in ihrem Haus in Monterrey, Nuevo Leon, im Alter von 95 Jahren. Sie war die Leiterin der mexikanischen Menschenrechtsgruppe Eureka Committee of the Disappeared und trat 1982 als erste Frau für die mexikanische Präsidentschaft als Kandidatin der Revolutionären Arbeiterpartei (PRT) an. Sie kandidierte ein zweites Mal 1988. 2006 wurde sie dank des Verhältniswahlrechts in den mexikanischen Senat gewählt, wo sie zunächst als Senatorin der PRT und dann als Senatorin der Arbeiterpartei (PT) aktiv war.

Rosario Ibarra

Eneas de Troya,
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via Wikimedia Commons

Ibarra wurde zur Menschenrechtsaktivistin, nachdem ihr Sohn Jesús Piedra Ibarra am 18. April 1975 verschwunden war. Vermutlich wurde er von der mexikanischen Regierung entführt, gefoltert und ermordet, wie es auch 500 anderen Personen in den 1960er und 1970er Jahren erging. Er war Mitglied der Kommunistischen Liga des 23. September (LC23S), einer geheimen Stadtguerillagruppe, die gewaltsame Angriffe auf wohlhabende Institutionen und Einzelpersonen verübte und sich gegen die regierende Institutionelle Revolutionäre Partei stellte.

Nach dem Verschwinden ihres Sohnes gründete Rosario Ibarra zusammen mit 100 Müttern von Verschwundenen das Komitee zur Verteidigung der Gefangenen, Verfolgten, Verschwundenen und politischen Exilant*innen. Nachdem es dem Komitee gelungen war, das Schicksal von 148 dieser Verschwundenen herauszufinden, änderten sie den Namen der Organisation in Eureka, was so viel bedeutet wie „Wir haben sie gefunden“.

Durch ihren jahrelangen Kampf für die Menschenrechte wurde Ibarra zu einer in der Öffentlichkeit bekannten Person. 1982 wurde sie von der kleinen, neuen trotzkistischen Revolutionären Arbeiterpartei (PRT) als Präsidentschaftskandidatin aufgestellt und war damit die erste Frau, die für das höchste Amt des Landes kandidierte. Sie hielt im ganzen Land Wahlkundgebungen ab und sprach über die Bedürfnisse der arbeitenden Menschen und die Notwendigkeit einer sozialistischen Alternative. In diesem Wahlkampf definierte sie sich selbst als sozialistische Feministin und trat als Kandidatin der einfachen arbeitenden Frau und Hausfrau an. Miguel de la Madrid, Kandidat der Institutionellen Revolution (PRI), gewann die Präsidentschaft in einer typisch korrupten Wahl mit 75 Prozent der Stimmen, die konservative Partei der Nationalen Aktion (PAN) erhielt 15 Prozent. Ibarra erhielt 416.488 Stimmen, 1,77 % der Gesamtstimmen, etwa halb so viele wie die seit langem etablierte und viel bekanntere Kommunistische Partei Mexikos. Ihr Wahlkampf diente sowohl dazu, ihren Ruf zu verbessern als auch die PRT auf der politischen Landkarte zu verankern.

Sechs Jahre später kandidierte sie erneut, aber da bei diesen Wahlen Cuauhtémoc Cárdenas, der Sohn von Mexikos legendärem Präsidenten Lázaro Cárdenas, für das Amt kandidierte, erhielt sie nur wenige Stimmen.

Ibarra war eine großartige Rednerin im dramatisch-mexikanischen Stil. Sie begeisterte ihr Publikum mit Reden, die mit besonderem Nachdruck vorgetragen und pointiert zusammenfassend abgeschlossen wurden. Als ihr Dolmetscher bei einer großen öffentlichen Versammlung im Gewerkschaftshaus der United Electrical Workers in Chicago in den 1980er Jahren war ich begeistert und zugleich herausgefordert, ihre dramatische Rede ins Englische zu übertragen, vor allem, da sie ständig vom Applaus und Jubel der Zuhörer*innen unterbrochen wurde.

Von den 1970er Jahren bis zu ihrem Tod engagierte sich Ibarra für die Belange der arbeitenden Bevölkerung und der Unterdrückten in Mexiko, sei es als Privatperson oder nach 2006 als Senatorin.

Als der mexikanische Senat 2019 dafür stimmte, sie mit dem Belisario-Dominguez-Preis für Menschenrechtsarbeit zu ehren, ließ sie durch ihre Tochter Claudia Ibarra die Medaille an den mexikanischen Präsidenten Andrés Manuel López Obrador zurückgeben. Sie argumentierte, dass sie die Medaille nicht annehmen könne, solange Mexiko nicht die Wahrheit über die fast 100.000 Verschwundenen erfahre, von denen 98 Prozent seit 2006 während der Zeit des Drogenkriegs der Regierung verschwunden sind.


Der Autor Dan La Botz ist ein in Brooklyn ansässiger Lehrer, Schriftsteller und Aktivist. Er ist Mitherausgeber von New Politics.

Übersetung von Christian W. Nowak, Quelle: International Viewpoint: Rosario Ibarra: Mexican Socialist Feminist, 1927-2022. Presente!
Zuerst erschienen in: New Politics (da gibt es auch ein schöneres, fröhliches, kämpferisches Foto von Rosario Ibarra!)