Rechtsextremer Kanzler Kickl ante Portas!

Zur Zeit löst eine politische Hiobsbotschaft die nächste, noch schlimmere, ab. Bei der Nationalratswahl vom 29. September erhielt die rechtsextreme Partei FPÖ unter dem Scharfmacher Kickl unglaubliche 28,8% der Stimmen und wurde damit stärkste Partei. Kickl ist kein Wolf, der Kreide frisst, er hetzt ganz offen, er hofiert die Identitären als „interessante rechte NGO“ und das Wort „Remigration“ wird von ihm – lange vor Alice Weidel von der AfD – ganz ungeniert als sein Programm bezeichnet. Viktor Orban in Ungarn ist sein Vorbild.

Der nach den Nationalratswahlen neu gewählte FPÖ-Nationalratspräsident Walter Rosenkranz lud Orban konsequenterweise als ersten Staatsgast ins Parlament. Beim Empfang waren nur Mitglieder der FPÖ eingeladen, sie betrachten offenbar das österreichische Parlament als neue Lokation für ihre „Parteiparties“. Kickl machte als Innenminister einer Koalitionsregierung unter dem damaligen Parteichef Sebastian Kurz von sich reden, als er gesetzeswidrig eine Polizei-Razzia gegen das Zentrum des Inlandsgeheimdienstes BVT durchführen ließ.

Nach der Nationalratswahl: ÖVP als Zweite in der strategischen Pole-Position

Die ÖVP wurde mit 26,2% zwar nur zweitstärkste Partei, aber die Festlegung der Sozialdemokraten (21,3%) unter Parteichef Andreas Babler, auf keinen Fall eine Koalition mit der FPÖ in Betracht zu ziehen, versetzte die ÖVP in die strategisch günstige Lage, dass bei der Regierungsbildung kein Weg an ihr vorbeiführte. Die ÖVP konnte es sich also aussuchen, ob sie mit der FPÖ oder mit den Sozialdemokraten eine Regierungskoalition eingehen wollte. Allerdings erhob Kickl, der Parteichef der FPÖ, den unverhandelbaren Anspruch, dass er nur dann zu einer Regierungskoalition bereit sei, wenn er Kanzler wird.

Zunächst legte sich der bisherige Kanzler und Parteichef der ÖVP, Nehammer, darauf fest, dass er „nicht den Steigbügelhalter für Kickl ins Bundeskanzleramt“ mache, denn dadurch hätte die ÖVP die Kanzlerposition selbstredend verloren. Kickl, obwohl Parteichef der stimmenstärksten Partei, fand deshalb weder bei der SPÖ noch bei der ÖVP einen Koalitionspartner. Auf dieser Basis erhielt Nehammer (ÖVP) vom Bundespräsidenten den Auftrag zur Regierungsbildung, also zu Verhandlungen mit der Sozialdemokratie. Da eine Parlamentsmehrheit von ÖVP und SPÖ nur durch ein Mandat Überhang abgesichert war, wurde die neoliberale Partei NEOS zu den Verhandlungen hinzugezogen. Die Grünen wurden von der ÖVP ausgeschlossen, die Medien haben das nie hinterfragt.

Schwierige Koalitionsverhandlungen

Die Verhandlungen gestalteten sich sehr schwierig, weil die Kombination aus Wirtschafts-Rezession (drittes Jahr in Folge) und ein Budgetloch von 18 – 24 Milliarden (die Zahl ist nach wie vor umstritten) massive Kürzungen oder neue bzw. erhöhte Steuern (oder eine Kombination) forderten, um die Maastricht-Kriterien von maximal 3% Neuverschuldung zu erfüllen. Die Sozialdemokratie forderte sehr sanft und kompromissbereit eine „gerechte Beteiligung von Reichen und Superreichen“ an der Budgetsanierung. ÖVP und Neos hingegen betonierten sich ein, dass es weder eine Wiedereinführung einer Erbschaftssteuer (ab über einer Million) noch sonstige Vermögenssteuern oder eine Bankenabgabe geben dürfe. Kickl lobbyierte erfolgreich beim Wirtschaftsflügel der ÖVP und von NEOS mit seiner „blauen Mappe“, in der sich offenbar nichts anderes als das Wirtschaftsprogramm der ÖVP befand. Sie warf den Köder für einen Deal aus: Die FPÖ hilft euch, eine massive neoliberale Strukturveränderung umzusetzen, dafür müsst ihr Kickl zum Kanzler machen. Nehammer konnte unter dem Druck des Wirtschaftsflügels keinerlei Konzessionen an die Sozialdemokratie machen und NEOS-Chefin Meinl-Reisinger hätte keine Chance gehabt, eine erforderliche 2/3-Mehrheit des Parteivorstandes für ein Koalitionsabkommen mit einer neuen Kapitalsteuer zu bekommen. Um einer solchen Ablehnung durch den Parteivorstand zuvorzukommen, erklärte Meinl-Reisinger (Neos) nach 44 Tagen die Verhandlungen. Am nächsten Tag folgte ÖVP-Parteichef Nehammer – und trat gleichzeitig als Parteichef und Kanzler zurück. Die Sozialdemokraten blieben – trotz weitgehender Zugeständnisse – alleine am Verhandlungstisch sitzen.

Kickl mit Auftrag zur Regierungsbildung, ÖVP in strategischer Sackgasse

Jetzt ging es Schlag auf Schlag: Die ÖVP bestellte – provisorisch – den bisherigen Parteisprecher Stocker zu ihrem Obmann und ihr Außenminister Schallenberg wurde vom Bundespräsidenten vorläufig mit der Fortführung der Regierungsgeschäfte betraut. Gleichzeitig wurde FPÖ-Chef Kickl mit der Regierungsbildung beauftragt. Seitdem laufen Koalitionsgespräche zwischen FPÖ und ÖVP.

Der massive Wortbruch der ÖVP, die sich im Wahlkampf und auch nach der Wahl ganz klar gegen einen Kanzler Kickl ausgesprochen hatte, kostete ihr neuerlich jede Menge Vertrauen bei ihren Wähler:innen. In der neuesten Umfrage vom 10.1.25 verliert sie weitere 9% und stürzt auf 17% (!) ab, während die FPÖ seit der Wahl nochmals um 10,1 % (!!!) zulegt und auf ein historisches Rekordhoch von 39% hochschnellt. Die ÖVP hat sich durch den Abbruch der Regierungsverhandlungen und den Bruch eines ihrer zentralen Wahlversprechen in eine auswegslose strategische Sackgasse manövriert. Sie hat sich dem Wohlwollen der FPÖ völlig ausgeliefert. Die Flucht in Neuwahlen würde laut Umfragen in einem noch größeren historischen Desaster für sie enden.

Kickl hat jetzt weitgehend freie Hand: Er kann in dieser Situation das Kanzleramt sowie wichtige Schlüsselministerien, mindestens das Innen- und Verteidigungsministerium, maßgebliche Besetzungen von Positionen im Beamtenapparat und dem Höchstgericht sowie eine weitgehende Zerschlagung oder jedenfalls Abschaffung der Unabhängigkeit des staatlichen Rundfunks ORF und der bereits unter der Regierung Sebastian Kurz sehr angeschlagenen Unabhängigkeit der Printmedien fordern. Zudem könnte die Arbeiter:innenkammer durch eine Abschaffung oder starke Reduktion der Pflichtbeiträge ausgeschaltet oder massiv geschwächt werden. Entscheidende Schritte der Orbanisierung Österreichs scheinen vorprogrammiert. Es wäre ein Fehler, Kickl zu unterschätzen. Er ist zwar kein guter Redner und seine tremulierende Stimme klingt unangenehm schrill. Aber er ist ein erfahrener rechtsextremer Politiker und hat schon die Reden und Plakattexte von Jörg Haider geschrieben. Er ist hoch motiviert, machtgeil und zu allem entschlossen.

Wird Österreich jetzt ein zweites Orban-Land?

Ist damit die – bürgerliche – Demokratie in Österreich verloren? Wird Österreich ein zweites Ungarn wie unter Orban? Das ist zu befürchten, wenn man nicht die inneren und äußeren Widersprüche der Situation berücksichtigt: ÖVP und FPÖ sind sich spinnefeind und für die ÖVP steht ihre jahrzehntelange Macht im Staats- und Beamtenapparat auf dem Spiel. Die möchte Kickl am liebsten zerschlagen, um seine Gefolgsleute zu installieren und die Kontrolle im Staatsapparat zu übernehmen. Die Koalitionsgespräche könnten daher – mit geringer Wahrscheinlichkeit – immer noch scheitern. Dazu müsste die ÖVP aber ein Abkommen mit den Sozialdemokraten zuwege bringen. Eine Bereitschaft dazu ist nach dem Putsch des Wirtschaftsflügels innerhalb der ÖVP wenig wahrscheinlich. Der politische und soziale Preis für die Sozialdemokratie wäre gleichzeitig ein sehr hoher, weswegen die aktuelle Führung Andreas Babler auch nicht zu einer bedingungslosen Unterwerfung unter das Diktat der ÖVP bereit war.

Das voraussichtliche Programm von Blau-Schwarz

Das zu erwartende Programm der Blau-Schwarzen Koalition richtet sich allerdings direkt gegen die sozialen und gesellschaftlichen Interessen des Großteils der Wähler:innen beider Parteien, insbesondere gegen die überwiegende Mehrheit der Wähler:innen der FPÖ, die Lohnabhängigen. Diese machen letztlich die Mehrheit der Bevölkerung aus. Auf dem Spiel stehen letztlich die gesamten Reform-Errungenschaften seit der Kreisky-Ära. Österreich steht – vergleichsweise zu Deutschland – noch relativ gut da. Eine „Agenda 2010“ wie unter Schröder, die Einführung von Hartz IV, die Konter-„Reformen“ bei Pensionen und im Gesundheitssystem, hat es in Österreich noch nicht gegeben, das öffentliche Sozial- und Gesundheitssystem ist noch weitgehend intakt, wenn auch geschwächt. Auch die Eisenbahnen sowie die Öffis fahren wesentlich pünktlicher und decken ein breiteres Netz ab, die staatliche Verwaltung und Infrastruktur funktionieren im internationalen Vergleich noch relativ gut. Und die Grünen haben auch ein paar – sehr bescheidene – ökologische Reformen erstritten: Das Klimaticket, eine CO2-Abgabe in Verbindung mit einem Klimabonus, der an alle ausgezahlt wird. Auch wurden einige Transparenz- und Anti-Korruptionsbestimmungen in die Gesetze eingebaut.

Wie kann Widerstand gelingen?

Alles das ist durch die zu erwartenden Angriffe und eine Privatisierungswelle v.a. im Sozial- und Gesundheitssystem höchst gefährdet. Gefordert sind deshalb die Gewerkschaften und die Sozialdemokratie, die etwas erstarkte KPÖ (laut Meinungsumfragen derzeit bei 3%) und die – allerdings sehr schwache, zersplitterte – Linke. Widerstand gegen die geplanten massiven Zerstörungen des Sozialstaates und demokratischer Errungenschaften, gegen rassistische, frauenfeindliche und minderheitenfeindliche Hetze sowie autoritäre Bestrebungen muss jetzt aufgebaut werden.

Das intelligente und kreative Knüpfen breiter Bündnisse und das Wiedererlernen zu kämpfen sind der Schlüssel, um dieser historischen Herausforderung und Bedrohung zu widerstehen. Wird es gelingen, Widerstandskonferenzen auf die Beine zu bringen und eine breite Abwehrfront zu entwickeln? Kann aus einer solchen Verteidigung von sozialen und demokratischen Errungenschaften ein neuer gesellschaftlicher und politischer Aufbruch erwachsen? Werden sich daran auch kritische Journalist:innen, Wissenschaftler:innen und Künstler:innen beteiligen?

Ohne Überwindung der bürokratischen Behäbigkeit, die durch die jahrzehntelange Sozialpartnerschaft in Österreich weltrekordverdächtig ist und vor allem ohne Überwindung der österreichischen Mentalität des „Suderns“, des passiven ohnmächtigen Lamentierens, ohne die Entwicklung einer kreativen, aktiven, internationalistischen, selbstbewussten Widerstandskultur, die auch die neoliberale Ideologie sprengt, ohne die Verbindung der unterschiedlichen sozialen, ökologischen, feministischen, emanzipatorischen und antirassistischen Bewegungen wären verheerende Niederlagen und eine düstere reaktionäre Zukunft unausweichlich. Nehmen wir die Herausforderungen an!

Wilfried Hanser, Stand 15.1.2025