Brasilien: Öl brüllt am lautesten. Rückschritte im Umweltschutz und die Grenzen der Energiewende
von Subvertacomunica, 28. Oktober 2025
Die jüngste Entscheidung der brasilianischen Umweltbehörde Ibama, dem staatlichen Ölkonzern Petrobras eine Umweltgenehmigung für Explorationsbohrungen entlang des Äquatorialrandes nahe der Mündung des Amazonas zu erteilen, ist ein großer Rückschritt für die Umwelt- und Energiepolitik des Landes. Sie zeigt, dass die Logik der auf fossilen Brennstoffen basierenden Entwicklung innerhalb des brasilianischen Staates weiterhin vorherrscht, was wir dringend überwinden müssen.
Am Vorabend der COP 30, die in Belém in Pará stattfinden wird, ist diese Entscheidung keineswegs nur eine technische Entscheidung, sondern vielmehr eine politische Neupositionierung Brasiliens angesichts der globalen Klimakrise. Sie widerspricht dem Bild eines Landes, das eine globale gerechte Energiewende anführen will, und verstärkt den Eindruck, dass Brasilien weiterhin in einem historischen Kreislauf aus Abhängigkeit und Ausbeutung gefangen ist.
Obwohl das Programm der aktuellen Regierung auf einem ökologischen Wandel mit sozialer und ökologischer Gerechtigkeit basiert, verdeutlicht diese Genehmigung zur Ölförderung in einer der sensibelsten Regionen der Erde die Widersprüche zwischen Theorie und Praxis. Die Rhetorik eines „gerechten Wandels” kollidiert mit der Fortsetzung eines extraktiven Modells, das von fossilen Brennstoffen abhängig ist und mit Energiesouveränität und nationaler Selbstversorgung begründet wird.
Die Exploration am Äquatorialrand wird Auswirkungen haben, die weit über das brasilianische Territorium hinausreichen. Ein Großteil des geförderten Öls würde exportiert werden, wodurch Emissionen in andere Länder verlagert würden und Brasiliens globale Klimaverantwortung untergraben würde. Nach Schätzungen von Klimaorganisationen könnte die Verbrennung des potenziell aus dieser Region geförderten Öls mehr als 11 Milliarden Tonnen CO₂ freisetzen. Das sind etwa 5 % des gesamten verbleibenden Kohlenstoffbudgets, das zur Verfügung steht, wenn die Erwärmung auf 1,5 °C begrenzt werden soll. Mit anderen Worten: Dies hat nicht nur regionale, sondern globale Auswirkungen, die die Rolle des Landes im internationalen Kampf gegen den Klimawandel gefährden.
Dies versetzt uns in eine Situation noch größerer Klima-Unsicherheit und Ungewissheit. Der Planet hat bereits sieben der neun planetarischen Grenzen (die von der Wissenschaft als Stabilitätsgrenzen für die Ökosysteme des Planeten definiert wurden) überschritten, und die fossile Brennstoffindustrie ist dafür in erster Linie verantwortlich. Es ist ein Fehler, die Bohrungen für weitere Ölquellen auszuweiten, wo auch immer sie sich befinden mögen.
Neben den Auswirkungen auf die Umwelt und das Klima gibt es auch ein wirtschaftliches Argument, das nicht ignoriert werden darf. Mehrere internationale Studien, darunter die des International Institute for Sustainable Development (IISD), warnen davor, dass die Expansion von Petrobras im Ölbereich eine risikoreiche Investition darstellt. Sie schätzen, dass bis zu 85 % der neuen Förderprojekte nur in einem Szenario mit einer globalen Erwärmung von über 2,4 °C rentabel wären, d. h. in einem Kontext, der mit den Zielen des Pariser Abkommens unvereinbar ist. Auch wenn wirtschaftliche Faktoren und Zahlen nicht die wichtigste Motivation für die Ablehnung der Ölförderung sein sollten, zeigen sie doch, dass das Land selbst nach der Logik des Profits in Anlagen investiert, die durch den globalen Übergang zu erneuerbaren Energien schnell wertlos werden könnten.
Petrobras nimmt als strategisches Unternehmen in dieser Situation eine paradoxe Position ein. Während es versucht, sich mit vielen Projekten im Bereich der erneuerbaren Energien (trotz einer Reihe von Konflikten um Wind- und Solarkraftwerke im Nordosten Brasiliens) und viel grüner Werbung als Vorreiter der Energiewende neu zu positionieren, investiert es gleichzeitig massiv in neue Ölfelder. Die Entscheidung von Ibama legitimiert diese Zweideutigkeit und schiebt die Notwendigkeit einer sozialen und territorialen Umstrukturierung des Energiesektors auf die lange Bank.
Die Küstenregion des Äquatorialrandes, die sich von Natal im Nordosten Brasiliens bis zur Grenze zu Französisch-Guayana erstreckt, ist bekannt für ihre hohe Meeres- und Flussbiodiversität und beherbergt traditionelle Fischergemeinden, Quilombolas und indigene Völker, die direkt von den Küstenökosystemen abhängig sind. Selbst die Installation von Infrastruktur für Forschung und Exploration in der Amazonas-Mündung wird erhebliche Auswirkungen haben, ganz zu schweigen vom zukünftigen Risiko von Ölverschmutzungen und Kontaminationen, die ganze ökologische Ketten schädigen und die Fischerei, die Wasserqualität und traditionelle Lebensweisen beeinträchtigen könnten.
Aus ökosozialistischer Sicht zeigt die Genehmigung für Petrobras, dass Gebiete an der Peripherie weiterhin für ein zentralisiertes, abhängiges Entwicklungsprojekt geopfert werden; sie veranschaulicht in der Praxis die Sackgasse eines „Übergangs”, der vom Kapital vereinnahmt wurde. Es geht nicht darum, den Energiebedarf zu leugnen, sondern zu hinterfragen, wer ihn produziert, nach welcher Logik und im Dienste welcher Gesellschaft.
Die Ölförderung im Amazonas-Mündungsgebiet offenbart einen Konflikt zwischen zwei Arten von Denkweisen: der produktivistischen Denkweise (der „“Warenvölker“, wie Davi Kopenawa sie nennt), die die Natur in eine Ware verwandelt, und der ökologischen Denkweise (der Waldvölker), die die gegenseitige Abhängigkeit zwischen Lebenssystemen, Territorien und Kulturen versteht. Die Verteidigung des Amazonas ist keine „umweltpolitische” Forderung im engeren Sinne, sondern ein politischer Kampf für andere Lebensweisen und andere Formen der sozialen Reproduktion. Der Schutz der Amazonasmündung bedeutet, für eine Zukunft unserer Zivilisation zu kämpfen, die nicht in Barrel Öl gemessen werden kann, sondern in Strömen des Lebens, der Autonomie und der sozio-ökologischen Vielfalt.
Dieser Konflikt zwischen unterschiedlichen Denkweisen zeigt auch, wie der Weg zu mehr Ölbohrungen historische Ungleichheiten reproduziert. Die indigenen, quilombola und traditionellen Gemeinschaften, die an der Amazonasküste leben, sehen sich mit dem Vormarsch der Energiefront konfrontiert, ohne Zugang zu echten Entscheidungsmechanismen zu haben. Das Fehlen einer freien, vorherigen und informierten Konsultation, wie sie in der ILO-Konvention 169 festgelegt ist, verstärkt die Marginalisierung dieser Völker. Die koloniale Logik der Ausbeutung und des Umweltrassismus wird wiederbelebt und bürdet denjenigen, die am wenigsten von den geförderten Reichtümern profitieren, sozio-ökologische Risiken auf.
Die Herausforderung für das progressive Lager, insbesondere für diejenigen, die die soziale und politische Basis der Regierung bilden, besteht darin, darauf zu bestehen, dass es ohne einen Bruch mit dem fossilen Kapitalismus keine sozio-ökologische Gerechtigkeit geben kann. Wir müssen Initiativen stärken, die zur Entwicklung einer neuen Energieinfrastruktur beitragen, wobei die Gemeinden bereits ab der Planungsphase eine aktive Rolle spielen müssen. Das Ziel muss sein, die Wärmeenergie und fossilen Brennstoffe durch dezentrale, zugängliche, erneuerbare und umweltfreundliche öffentliche Infrastruktur auf allen Ebenen zu ersetzen.
Wir lehnen neue Wärmekraftwerke, die Bohrung neuer Ölquellen und alle anderen umweltschädlichen Projekte sowie Projekte für erneuerbare Energien ab, denen es an sozialer und ökologischer Gerechtigkeit mangelt. Wir müssen den Dialog mit den Gewerkschaften der Ölarbeiter:innen und anderen Arbeitnehmer:innen im Bereich fossiler Brennstoffe weiter fördern. Nur ein organisierter Kampf kann den fossilen Kapitalismus stoppen, und wir rufen alle auf, sich diesem Kampf anzuschließen!
22. Oktober 2025
Übersetzt von International Viewpoint aus Subverta.
Fußnoten:
(1) Davi Kopenawa, siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Davi_Kopenawa_Yanomami
Der Artikel erschien in International Viewpoint in englischer Sprache und wurde von uns maschinell übersetzt und auf grobe Fehler durchgesehen.