Kommunismus in Graz: Verankerung, Verankerung, Verankerung
von Violetta Bock
„Sprechstunde mit Elke Kahr unter der Treppe“ – so steht es auf einem unscheinbaren weißen Zettel am Volkshaus in Graz. Das Volkshaus ist ein großzügiges Gebäude in der Lagergasse 98a im Bezirk Gries. Hier, im Arbeiterstadtteil, befindet sich der Sitz der KPÖ. Direkt nebenan ein Bildungs- und Kulturzentrum.
Fast 38 Prozent wählten hier die kommunistische Partei. In ganz Graz wurde die KPÖ mit 28,84 Prozent stärkste Kraft, verglichen mit 2017 legte sie um satte 8,5 Prozent zu und landet damit bei der Gemeinderatswahl am 26. September 2021 vor ÖVP (25,91%), Grünen (17,32%), FPÖ (10,61%) und SPÖ (9,53%). Vor allem in den Innenstadtbezirken hat die KPÖ ihre Mehrheit erhalten, in den äußeren Bezirken ist noch die ÖVP am stärksten.
Die Stadt am südöstlichen Alpenrand hat ein junges Flair. Gut 290.000 Menschen wohnen hier und damit ist Graz, Landeshauptstadt der Steiermark, die zweitgrößte Stadt Österreichs. Im Jahr 2003 wurde sie zur Kulturhauptstadt. Durch die Lage im Südosten Österreichs, geprägt durch den Fluss die Mur und die Universität mit circa 50.000 Studierenden ist Graz Innovations- und Dienstleistungszentrum und wichtiger Standort der Autozulieferindustrie. Das größte Unternehmen ist der Magna-Konzern, bei dem die KPÖ auch durch eine Betriebsgruppe eine Rolle spielt. Liest man die Presseberichte zum Wahlausgang müsste man meinen, der Kommunismus müsste an jeder Ecke zu finden sein. Antikommunistische Schreckgespenster werden bedient. Weltweit berichten Medien über den für alle überraschenden Wahlerfolg der kommunistischen Partei.
Auf der einen Murseite ist das touristische Zentrum, den Hügel bergauf gelangt man zum Schlossberg. In der Sonne tummeln sich Grazer:innen und Tourist:innen. Auf der anderen Murseite sieht es schon anders aus. Vielleicht ist es die Suche nach der Stärke der Kommunisten. Rote Fahnen sind hier nicht zu entdecken, dafür aber jede Menge Second-Hand Läden und Beratungsstellen der Caritas, für Frauen und Jugendliche. Die Suche nach Alternativen ist sichtbar. Im Kunsthaus findet passenderweise gerade eine Ausstellung zu den Themen Zukunft und Zukünfte statt, in der vergangene Zukunftsvisionen und bereits mögliches ausgestellt werden. Nicht nur am Fuße des Schlossbergs sondern auch hier vor dem Kunsthaus und Volkshaus gibt es eine Wandzeitung. Mal als Gedicht, als Essay wird hier von den Fragen einer anderen Form der Mobilität, des Arbeitens, aber auch von Zwangsräumungen, Besetzungen und Obdachlosigkeit berichtet. Wie konnte die KPÖ, die ansonsten in Österreich bei den Nationalratswahl nicht mal an die 1% heranreicht, in Graz so stark werden?
Die Gründe für den Wahlerfolg
Ich treffe mich mit Hans Peter Meister zum Kaffee, um mir erklären zu lassen, wie der Erfolg der KPÖ zu erklären ist. Er war die letzten eineinhalb Jahre selbst im Gemeinderat für die KPÖ und ist Mitglied der KPÖ und SOAL (Sozialistische Alternative). Er bestätigt, was man in vielen Berichten seit der Wahl lesen kann: die Rolle von Personen und die Verankerung im Alltag durch unzählige Beratungen und – „die KPÖ ist Meisterin im Unterschriften sammeln“. Elke Kahr, höchstwahrscheinlich die nächste Bürgermeisterin, trifft in der Woche etwa 150 Personen bei Sozialberatungen der KPÖ. Ihre Glaubwürdigkeit, Bescheidenheit und Aufrichtigkeit wird selbst von Gegnern anerkannt. Angetrieben wird sie von dem Glauben an eine sozial gerechtere Welt, in der auch die, die jetzt alle vergessen werden, zu ihrem Recht kommen. Auf den Wahlplakaten hatte sie sogar ihre persönliche Handynummer stehen. In ganz Graz finden sich auf Plakaten die Hotlines, bei denen man schnell Gehör findet, wie etwa der Mieternotruf, der täglich von 10 bis 20 Uhr besetzt ist. Es ist nicht nur Rechtsberatung, was die KPÖ hier anbietet, es ist das Teilen eines Netzwerks. So geht es ebenso darum, Jobs zu vermitteln oder eine Wohnung zu finden, ohne Ansehen der Person – jedem wird geholfen und zugehört. In manchen Fällen wird gar finanziell ausgeholfen. Das ist möglich, da Mandatsträger:innen alles über 2000 Euro (ein Stadtrat erhält 6100 Euro netto) in einen Sozialfond der Partei abführen. Oft reicht diese Ermutigung schon, dass Menschen sich trauen vor Gericht zu gehen und so zu ihrem Recht kommen. Gerade in der Pandemie, als viele ihre Jobs verloren, waren viele auf die unbürokratische Hilfe angewiesen. Dadurch kennen viele Grazer:innen die Partei in ihrem Alltag. So liefen die plumpen Angriffe der Gegner, die sich ausschließlich des Antikommunismus bedienen, ins Leere. Die ÖVP versuchte sogar den Sozialfonds als Kauf von Stimmen darzustellen. Doch zu klar ist der Unterschied zu anderen Parteien. Während die Abgabe der Mandatsgelder über 2000 Euro bei der KPÖ allgemein bekannt ist, zeigt Österreich durch die Korruptionsaffäre und den Rücktritt von Kurz, wieviel Geld andernorts nicht bei den Menschen landet, sondern wie Schlagzeilen davon gekauft werden. Auch wenn die Wahlbeteiligung bei gerade mal 54 Prozent lag, konnte die KPÖ ihre Wählerschaft mobilisieren. Sie erhielt viele Stimmen von ehemaligen Nichtwähler:innen, aber reichte ebenso weit ins bürgerliche Lager hinein. Denn das Ergebnis ist nicht nur auf die Arbeit der KPÖ, sondern auch auf die Gesamtlage und das Versagen der anderen Parteien zurückzuführen. Der bisherige Bürgermeister Siegfried Nagl hat es sich mit vielen verscherzt. Durch seinen Fokus auf Groß- und Neubauprojekte trägt er den Spitznamen „Beton-Sigi“. Die KPÖ als aussichtsreichste Kraft neben der ÖVP, wurde daher von manchen explizit gewählt, um ihn nach 18 Jahren Bürgermeisteramt abzulösen. Er trat nach dem Wahlergebnis bereits offiziell zurück. Ein nicht zu unterschätzender Teil der Stimmen kam außerdem von den Kurd:innen, eine große Community in Graz. Auf der Liste der KPÖ stand ebenso Max Zirngast, der durch seine Inhaftierung als Journalist in der Türkei bekannt geworden ist. In einem Interview mit dem online Magazin Telepolis legt er dar, dass die Entscheidung, das „K“ im Namen zu behalten, sehr bewusst war und es in den letzten Jahrzehnten darum ging, eine Politik zu entwickeln, die sich an den alltäglichen Sorgen der Menschen orientiert und organisch mit der Arbeiter:innenklasse verbunden ist.
Der Aufbau der KPÖ in Graz
Unter den bekannten Namen der KPÖ fällt einer immer wieder. Ernest Kaltenegger, heute Landtagsabgeordneter, hat in den 90ern wesentlichen Anteil daran getragen, dass die Partei zu einem nützlichen Werkzeug für den Alltag vieler Menschen wurde. In einem Gespräch auf dem KPÖ-eigenen Youtube-Kanal „Auf Augenhöhe“ beschreibt er, wie sie als KPÖ vorgegangen sind und was sie von anderen Parteien unterscheidet. Da es als kleine Partei schwierig ist, alle Themen abzudecken, hatten sie schon früh den Schwerpunkt auf die Mietenfrage gelegt. Er ist bekannt dafür, dass er in Mietwohnungen selbst mit der Rohrzange Hand anlegte, wenn eine Heizung undicht war. Mit dem Mietennotruf und dem Rechthilfefond für Spekulantenopfer sollte über Rechte informiert werden und Menschen ermutigt werden, ihr Recht einzuklagen. Eingeführt wurde außerdem ein Tag der offenen Konten für die Überprüfbarkeit der abgegebenen Gelder. Weiterhin wurden ausgehend von der Mietberatung Spekulanten öffentlich gemacht und Pressekonferenzen vor den entsprechenden Häusern abgehalten. Flankiert von einem Bürgerbegehren konnte die KPÖ trotz der parlamentarischen Grenzen 1997 eine Belastungsobergrenze bei Gemeindewohnungen durchsetzen, so dass in diesen Mieten über 33 Prozent des Einkommens von der Stadt übernommen werden. So konnten sie bei Wahlen zugewinnen.
Das politische System in Graz sieht vor, dass alle Parteien gemäß ihres Stimmanteils an der Regierung beteiligt sind, wobei aber die Ressortverteilung in den Händen des amtierenden Bürgermeisters oder der Bürgermeisterin liegt. Dies bedeutete natürlich eine Herausforderung, wenn man dann „in der Verantwortung steht“, weshalb die KPÖ beanspruchte, sich der Funktion nicht zu unterwerfen, sondern klare rote Linien formulierte. Zuerst erhielt die KPÖ 1998 das Wohnungsressort. Als sie sich dort ebenfalls profilieren und gestützt auf ein Bürgerbegehren 2004 die Privatisierung öffentlicher Wohnungen verhindern konnte, wies man ihr nach der letzten Wahl das Gesundheits- und Verkehrsressort zu. Die Hoffnung der bürgerlichen Parteien war wohl, dass sie dort nicht punkten könnten. Doch durch die Pandemie erhielt das von den anderen unterschätzte Gesundheitsressort eine große Bedeutung und auch im Verkehrsbereich konnte die KPÖ unter der Leitung von Elke Kahr Stadtpolitik im Sinne der Bewohner:innen machen. Wichtig ist der KPÖ also immer wieder die Einbindung von Betroffenen und die Rolle der KPÖ als Hilfsinstrument.
Was sich lernen lässt
Die KPÖ ist fleißig. Mit ihren etwa 300 Mitgliedern (vor der Wahl) konzentriert sie ihre Kräfte darauf, vor Ort bei den Menschen präsent zu sein. Etwaige Lifestyle Debatten scheinen hier keine Rolle zu spielen, denn sie ist verankert in der werktätigen Bevölkerung. Die regelmäßigen Infostände (auch abseits von Wahlen) werden von Ehrenamtlichen getragen. Neben der Beratung und dem Pflegenetzwerk, gelangt monatlich das „Stadtblatt“ der KPÖ in alle Haushalte, zusätzliche werden nach den Gemeinderatssitzungen gesteckt. Außerdem gibt es regelmäßig Feste in den Bezirken, wie etwa das Yugofest am 2. Oktober. Die kommunistischen Überzeugungen zeigen sich vor allem in den Handlungen der Partei und weniger durch das Verwenden simpler Phrasen. In den Veröffentlichungen der KPÖ taucht das Wort Kommunismus fast gar nicht auf. Wach gehalten wird hier das kommunistische Erbe vor allem durch die Gegner.
Die neue Rolle als führende Kraft im Gemeinderat bringt sicherlich viele Herausforderungen mit sich. Die KPÖ will hier viele kleine Sachen schnell voran bringen, damit der Unterschied gemerkt wird. Ein akutes Thema sind Möglichkeiten zur Deckelung der steigenden Preise. Daneben will sie, dass ein neuer und demokratischer Politikstil Einzug hält und spricht daher mit allen Parteien. Eine Koalition strebt sie mit Grünen und SPÖ an. Doch Elke Kahr macht auch in Interviews immer wieder klar: „Die Wunschkoalition ist die mit der Bevölkerung, und der werden wir auch treu bleiben.“
Der Artikel erschien in SOZ-online https://www.sozonline.de/2021/10/kommunismus-in-graz/