Italien: Ist Giorgia Melonis Migrations-Politik ein „Modell“ für Europa?
von Hélène Marram, 8. November 2024
Seit mehreren Jahrzehnten verfolgt Italien eine erbärmliche Migrationspolitik, die die Menschenrechte missachtet und das Leben vieler Menschen gefährdet, die versuchen, Europa zu erreichen. Bewegungsfreiheit kriminalisieren, das Recht auf Asyl einschränken, Grenzkontrollen auslagern, Migranten in sogenannten „sicheren“ Ländern inhaftieren: Dies ist die fremdenfeindliche Politik, die die italienische Premierministerin Giorgia Meloni nun als „Vorbild“ für andere EU-Länder durchsetzen will.
Die Kunst, mit der Angst zu regieren
Maßnahmen zur Schließung von Grenzen sind zu einer Methode geworden, um durch die Angst vor den Anderen zu regieren, obwohl sie unmenschlich und ineffektiv ist. Die Festung Europa hat ein institutionalisiertes System der räumlichen und sozialen Ausgrenzung von Nicht-EU-Bevölkerungsgruppen geschaffen. Die Ideologie der nationalen Präferenz („our country first“ usw.), die das Prinzip der Gleichberechtigung bedroht, wird von der extremen europäischen und internationalen Rechten immer offener verteidigt. In Einwanderungsfragen scheinen die Staats- und Regierungschefs der Nationalisten sehr einig zu sein. Dies wurde bei dem von Meloni in Brüssel organisierten Treffen deutlich, an dem auch Ursula von der Leyen teilnahm.
Jahrzehnte unmenschlicher Politik
Anfang der 2000er Jahre beschleunigte das „Bossi-Fini“-Gesetz (benannt nach den beiden ehemaligen Ministern der Lega Nord und der Nationalen Allianz, die es als Teil der ersten Regierung Berlusconis initiierten) den Prozess der Kriminalisierung von Migranten, die als in einer irregulären Situation befindlich galten. Mitte-Links-Regierungen haben es nicht besser gemacht. 2017 unterzeichnete Italien unter Gentiloni ein Abkommen mit Libyen, das Wirtschaftshilfe und technische Unterstützung für die libyschen Behörden vorsah, um die Migrationsströme zu reduzieren. Zurückweisung, willkürliche Inhaftierung, Vergewaltigung und Gewalt: Was in libyschen Haftanstalten geschieht, wurde unter den Augen Europas, das sich mitschuldig macht, ausführlich dokumentiert. Einige Jahre später war es an dem ehemaligen Innenminister Matteo Salvini, der nun an der Spitze einer Koalitionsregierung mit der Fünf-Sterne-Bewegung steht, harte Sanktionen einzuführen und Rettungsschiffe humanitärer Organisationen zu beschlagnahmen.
Die neue Propaganda der „sicheren Länder“
Für die regierende rechtsextreme Partei dient die propagandistische Steuerung der Migrationsströme in Kombination mit antisozialen und freiheitszerstörenden Maßnahmen dazu, die Unbeweglichkeit der bürgerlichen Wirtschaftsordnung zu verschleiern. In diesem Bereich hat sich Meloni als wahrhaft migrantenfeindlich erwiesen.
Das Dekret 20/2023 (zynisch als „Cutro-Dekret“ bezeichnet, nach dem kalabrischen Dorf, in dem sich im Februar 2023 der tragische Schiffbruch von Migranten ereignete) schränkte das Asylrecht stark ein und erweiterte die Kategorie der Migranten, die ausgewiesen werden konnten, insbesondere wenn sie von der Liste der „sicheren Länder“ stammten. Das von Rechtsexperten heftig kritisierte „Flussdekret“ vom 2. Oktober stellt das Recht auf Berufung gegen Entscheidungen über internationalen Schutz wieder her. Die kürzlich im Dekret über den Süden verabschiedete Regelung sieht die Verdoppelung der Haft- und Rückführungszentren vor und verlängert die Haftzeit für rückzuführende Migranten von 6 auf 18 Monate. Das vom Staatsoberhaupt Sergio Mattarella unterzeichnete „Dekret über sichere Länder“ zielt darauf ab, die Massen von Migranten, die vor Wirtschafts- und Umweltkrisen oder vor Ausbeutung und Unterdrückung fliehen, zurückzudrängen, wobei vorgegeben wird, humanitäre Regeln zu berücksichtigen.
Auf diese Weise, so Meloni, würden die Überstellungen von Migranten nach Albanien unter Missachtung der Urteile italienischer Gerichte fortgesetzt, die auf der Grundlage der Genfer Konvention die massenhafte Inhaftierung von Asylbewerbern ablehnen. Erste Untersuchungen in den Migrantenlagern in Albanien zeigen, dass das angewandte Verfahren völlig unrechtmäßig ist: Die nach Albanien geleiteten Migranten werden auf der Grundlage allgemeiner Fragen wie Dokumente und die Angabe ihrer Staatsangehörigkeit sortiert.
Das zentrale Mittelmeer ist nach wie vor eine der gefährlichsten Migrationsrouten der Welt. Laut der Internationalen Organisation für Migration haben dort zwischen 2014 und heute mehr als 30.000 Menschen ihr Leben verloren. Die Tatsache, dass Europa die Maßnahmen der italienischen Regierung begrüßt, ist ein beunruhigendes Signal für die reaktionäre und autoritäre Wende, die der alte Kontinent offenbar mit Riesenschritten vollzieht.
L’Anticapitaliste
Englischer Originalartikel auf International Viewpoint https://internationalviewpoint.org/spip.php?article8733