Impfstoffe für das Volk, nicht für den Profit!

Joe Biden hat beschlossen, „die Forderung nach der vorübergehenden Aufhebung des Schutzes geistigen Eigentums für Impfstoffe gegen Coronaviren“ zu unterstützen. Eine Forderung, die seit Oktober 2020 von Südafrika und Indien vor der Welthandelsorganisation erhoben wird und der sich Hunderte von Regierungen armer Länder und zivilgesellschaftliche Organisationen angeschlossen haben.

Das ist eine Überraschung und ein Sieg für Aktivist*innen auf der ganzen Welt, die gegen einen absoluten Skandal demonstriert haben: eine Pandemie, die bereits 3,3 Millionen Menschen getötet hat; Impfstoffe, die zu mehr als 95 % gegen schwere Formen von Covid wirksam sind, finanziert mit Milliarden öffentlicher Gelder –15 Milliarden in den USA, 2,5 Milliarden in der EU. Aber die Menschen, vor allem in armen Ländern, werden aufgrund von Patenten von Impfstoffen ausgeschlossen. In den USA sind 45% der Bevölkerung geimpft, in Indien, das Impfstoffe für die ganze Welt produziert, nur 9,7%.

Gründe für eine Umkehrung

In den 1990er Jahren setzten die USA in der WTO den Schutz des geistigen Eigentums durch, der für Millionen von Todesfällen, unter anderem auch durch HIV, verantwortlich ist. Biden erhielt für seinen Wahlkampf 3,3 Millionen Dollar von der Pharmaindustrie. Nach sechs Monaten der Weigerung und hunderttausenden weiteren Toten mussten sie sich dem Druck von Aktivist*innen, der renommierten Zeitschrift Nature, den Appellen des Papstes und vieler anderer öffentlichen Personen und Organisationen beugen. Aber diese Umkehr ist auch ein Ausgleich zwischen den verschiedenen Sektoren des Kapitalismus. Sollten die Patente des Impfstoff-Kapitalismus und seine 25%-ige Rentabilität geschützt und die Impfung auf die reichsten Länder beschränkt bleiben? Damit würde das Risiko einer länger andauernden Blockade des Flugverkehrs, des Tourismus, des Welthandels und der Gewinne einhergehen. Ganz zu schweigen von dem Risiko einer neuen Variante des Virus, die eventuell Impfstoffe unwirksam machen würde. Eine sehr reale Bedrohung, die mit einer starken zweiten Welle in Indien, der Impfstofffabrik der Welt, offensichtlich wurde. Nach Angaben der Internationalen Handelskammer wird es die reichen Länder in diesem Jahr 4.500 Milliarden Dollar an entgangenen Einnahmen kosten, wenn die Entwicklungsländer keine Impfstoffe erhalten. Trumps Niederlage hat die Sache entschieden. Und Macron, der sich dreimal gegen den Antrag auf Aussetzung der Patente bei der WTO ausgesprochen hatte, musste folgen.

Die Pharmaindustrie läuft gegen diesen Vorschlag Sturm, um die durch ihre Patente geschaffenen Einnahmen zu verteidigen. Pfizer*) hat für 2021 bereits für 20 Milliarden Dollar Aufträge, Moderna*) für 18,4 Milliarden Dollar. Die Industrie kritisiert den Vorschlag aber auch, um zu vermeiden, dass ein Präzedenzfall geschaffen wird, der gegen andere Pandemien oder global verbreitete Krankheiten eingesetzt werden könnte, wie z. B. gegen Krebs- oder Hepatitis-C-Behandlungen, deren Preise explodieren. Und um den Transfer der RNA-Technologie zu vermeiden, die für andere hochprofitable Impfstoffe verwendet werden könnte, die jedes Jahr erneuert werden, wie z. B. Grippeimpfstoffe, oder die morgen verwendet werden könnten, um neue ultraprofitable Therapiegebiete gegen Krebs zu erschließen.

„Patente sind nicht das Problem“?

Aber da diese Argumente nicht sehr sexy waren, musste ein anderes erfunden werden. Im Land der Big Pharma-Lügen erklären sie, dass „Patente nicht das Problem sind. Das Problem ist die Produktionskapazität.“ Teva*), Moderna und Sanofi*) behaupten aber das Gegenteil. Teva ist weltweit die Nummer eins unter den Generikaherstellern. Kare Schulz, der CEO des israelischen Unternehmens, enthüllte, dass er sich an die Patentinhaber von RNA-Impfstoffen gewandt hatte, um Lizenzen zu kaufen und in seinen Fabriken in den USA und Europa zu produzieren. Die Labore weigerten sich mit der Begründung, sie hätten „genug Produktionskapazität“. Big Pharma hat kein Interesse, RNA-Technologien mit einem zukünftigen Konkurrenten zu teilen. Moderna war ein kleines Biotech-Unternehmen ohne industrielle Produktionskapazitäten. Das Werk in Norwood, Massachusetts, war kaum in der Lage, die Dosen für die klinischen Studien zu liefern. Im April 2020 erhielt Moderna 483 Millionen Dollar an US-Steuergeldern für den Bau einer Produktionsanlage. Doch am 1. Mai 2020 entschied sich das Unternehmen für einen Vertrag mit dem Schweizer Konzern Lonza*), der noch nie einen einzigen RNA-Impfstoff produziert hat! Lonza baut zwei bestehende Anlagen um, in Visp in der Schweiz (frz. Viège, walliserdt. Fischp) und in Portsmouth, New Hampshire. Dank eines massiven Technologietransfers ging das Werk in Portsmouth innerhalb von zwei Monaten in die kommerzielle Produktion. Und Visp produziert nach einer 210-Millionen-Dollar-Investition jetzt 6 Millionen Dosen pro Woche und will bis 2021 die Produktion auf 300 Millionen Dosen steigern. Sanofi produzierte im letzten Jahr zwar 3,8 Milliarden an Dividende, aber keinen Corona-Impfstoff. Öffenlich mit diesem Skandal konfrontiert, beschloss Sanofi, den Impfstoff anderer Unternehmen in Flaschen abzufüllen! Aber laut den Gewerkschaftern von Sanofi hat das Unternehmen mindestens zwei Fabriken mit Kühlkammern, die leicht RNA-Impfstoffe produzieren könnten, und nicht nur in Flaschen abfüllen.

Nur ein erster Schritt

Eine erste Hürde ist mit Bidens Entscheidung gefallen. Im Mai beginnt eine neue Verhandlungsrunde bei der WTO. Es wird Einstimmigkeit benötigt, um die Patente aufzuheben. Und unsere Mobilisierung, um dies zu unterstützen. Aber das ist nur der erste Schritt. Wir müssen Big Pharma, das sich geweigert hatte, mit dem Covid-19-Technologiezugangspool der WHO zusammenzuarbeiten, dazu zwingen, seine Technologien zu teilen, nicht nur seine Patente. Aussetzung von Patenten, Transfer von Technologien, Beschlagnahme der Pharmaindustrie unter gesellschaftliche Kontrolle. Unsere Mobilisierung muss weitergehen, für den sofortigen, effektiven, universellen und freien Zugang zu diesen Gemeingütern! Der genetische Code von Covid 19 ist Gemeingut, es waren und sind öffentliche Subventionen, die die Forschung finanziert haben und weiter finanzieren. Es sind unsere Impfstoffe, nicht ihre Patente.

Frank Cantaloup

Entnommen, übersetzt und bearbeitet (Christian W. Nowak) aus: Gauche anticapitaliste (Belgische Sektion der 4. Internationale)


*) Informationen zur WHO und den genannten Pharmaunternehmen: