Glasgow flops, direct action rocks!
Die Klimaverhandlungen der Vereinten Nationen sind abermals gescheitert
von Gerhard Klas
Mit 40.000 Teilnehmenden war Glasgow der größte Klimagipfel, den es je gab. Ähnlich wie der Gipfel in Kopenhagen 2009 wurde seine Bedeutung symbolisch aufgeladen: Der britische Premier Boris Johnson sprach vom «inklusivsten Gipfel» aller Zeiten und meinte damit die Teilnahme vieler Betroffener vor allem aus dem globalen Süden. Sie sollten eine Stimme bekommen. Aber es kam ganz anders.
Mehr als 500 fossile Lobbyisten und die vielen ihnen nahe stehenden Mitglieder von Regierungsdelegationen verhinderten faktisch politische Entscheidungen, die eine Wende zur Rettung des Klimas herbeiführen könnten. Die Freude der deutschen Umweltministerin über vermeintliche Fortschritte teilen nicht viele, und das Schönschreiben des Gipfels durch Medien wie die Taz – er sei doch immerhin ein wichtiger Ort des Dialogs – kann gemessen an der aktuellen Lage bestenfalls als ein Akt der Verzweiflung interpretiert werden.
Ob Abholzungsstopp oder Ende der Kohlekraftwerke – mehr als freiwillige Selbstverpflichtungserklärungen, also das Gegenteil von verbindlichen Abkommen, ist dabei nicht herausgekommen. Und das obwohl die heutigen Treibhausgasemissionen noch viel höher sind als bekannt: Eine Recherche der Tageszeitung Washington Post hat ergeben, dass die Datenlage unvollständig sei, teils wegen untauglicher Erfassungstechnik, teils wegen bewusster Manipulation. Allein für das Jahr 2019 hat sie eine Differenz von etwa 10 Milliarden Tonnen errechnet – bei einem jährlichen Gesamtausstoß von 50 Milliarden Tonnen.
Kritiker:innen an Einreise behindert
Während sich die Delegierten mit Vorstandsvorständen und Prominenten umgaben, blieben sie von den Opfern der Klimaerhitzung tatsächlich weitgehend unbehelligt. Die COP26 Coalition, ein internationaler Zusammenschluss von Betroffenen – Indigenen, Umweltgruppen und mehreren britischen Gewerkschaften –, beklagte den faktischen Ausschluss von Teilnehmern aus dem globalen Süden. Der Zusammenschluss, der u.a. einen «Alternativgipfel» organisierte, hatte sogar eine professionelle Visa-Agentur zu einem Sonderpreis engagiert, um möglichst vielen eine Teilnahme zu ermöglichen.
Bis zu zwei Drittel derjenigen, die sich hilfesuchend an sie wandten, hätten es schließlich aufgegeben, nach Glasgow zu kommen. Ihre Anwesenheit sei durch eine Kombination aus Visa- und Akkreditierungsproblemen, fehlendem Zugang zu Covid-Impfstoffen und sich ändernden Reisebestimmungen sowie «knappen und teuren» Unterkünften verhindert worden. Kritiker bezeichnen Glasgow deswegen als den «weißesten und privilegiertesten Gipfel», der je stattgefunden hat – allenfalls vergleichbar mit dem Gipfel 2009 in Kopenhagen, der später als «Floppenhagen» in die Geschichte einging.
Das Urteil der Klimaschützer
Zum Auftakt des Alternativgipfels hatte die COP26 Coalition ein Tribunal zum UN-Klimagipfel (UNFCCC) organisiert. Daran nahmen auch mehrere Insider teil, die den UNFCCC sehr gut kennen, weil sie unter anderem als Delegierte an vergangenen Klimagipfeln teilgenommen haben – darunter der ehemalige Unterhändler der bolivianischen Regierung, Pablo Solón, und der ehemalige Chefverhandler für die G7 und China, Lumumba Di-Aping.
In allen fünf Anklagepunkten erhielten die Kläger:innen, viele aus dem globalen Süden, Recht:
- Die UNFCCC bekämpft nicht ausreichend die Ursachen des Klimawandels. Es gibt weder verbindliche Reduktionsziele, noch Strafen bei Nichteinhaltung. Stattdessen wird auf die Rolle privater Investoren gesetzt.
- Ökonomische und soziale Ungleichheit kommen nicht zur Sprache. Es gibt keine Strategien zur Ermächtigung der Benachteiligten – Frauen, rassistisch Diskriminierte, indigene Völker und Jugend. Deren Rechte müssen, zusammen mit denen der Natur, an erster Stelle stehen.
- Betroffenen Ländern werden keine angemessenen Finanzmittel zur Verfügung gestellt. Statt Kohlenstoff zu besteuern, setzt die UNFCCC weiter auf den gescheiterten Handel mit CO2-Emissionen, Kompensationen und andere «Finanzierungsspielereien». Gerade bei der Finanzierung von Wiedergutmachung und Anpassungsmaßnahmen fehlt außerdem eine ausreichende Berücksichtigung des Verursacherprinzips. Die großen Emittenten haben Klimaschulden angehäuft, die nicht bezahlt werden.
- Die UNFCCC versäumt es, Wege zu einem gerechten Übergang zu schaffen. Das gilt vor allem für die Arbeiter:innen in den fossilen Industrien und verschiedene Gemeinschaften von Völkern; sie müssen in einer radikal veränderten Gesellschaft eine Perspektive haben.
- Die UNFCCC versagt bei der Regulierung der Wirtschaft, die Klimaverhandlungen werden durch Konzerne vereinnahmt. Diese setzen auf «falsche Lösungen», die sich auf derzeit noch gar nicht existierende Technologien und die Kernenergie gründen. Arme Länder werden daran gehindert, klimafreundliche Technologien ohne Beschränkungen des geistigen Eigentums zu übernehmen.
Zu den «falschen Lösungen» gehört auch die in Glasgow vielzitierte «Netto-Null-Strategie». Sie ist vor allem Augenwischerei und kalkuliert sogar eine «vorübergehende Überschreitung» der 1,5-Grad-Grenze ein.
Das Urteil des Tribunals ist vernichtend: Die Weltklimakonferenz der UNO «ist eine enge Partnerschaft mit genau den Konzernen eingegangen, die die Klimakrise verursacht haben. Sie hat es mächtigen Regierungen ermöglicht, armen Ländern mit Unterwerfung zu drohen. Hunderten von Millionen Menschen in den ärmsten Teilen der Welt wird das in den nächsten zwei Jahrzehnten zwangsläufig Elend und Tod bringen.»
Greta Thunberg fasste ihre Kritik an der Rolle der Klimaverhandlungen kurz so zusammen: «Bla-bla-bla». Sie ist Ausdruck einer immer größer werdenden Skepsis großer Teile der jungen Generation gegenüber etablierten Institutionen. Eine weitere Radikalisierung der Klimabewegung ist vorprogrammiert. Auch der Koalitionsvertrag der Ampel in Deutschland, der bei Redaktionsschluss noch nicht vorlag, wird wie die Abschlusserklärung aus Glasgow nicht ausreichen, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Selbst die gemäßigteren Teile der Klimabewegung haben schon das Wahlprogramm der Grünen diesbezüglich als völlig unzulänglich bezeichnet.
Auf die Reaktionen der Klimabewegung auf den Koalitionsvertrag darf man gespannt sein: Direkte Aktionen wie die Blockade von Kraftwerken und Autobahnen gehören sicher mit zu den Optionen.