Gewerkschaft der Lokführer vs. Deutsche Bahn

Die Medienschlacht tobt schon längst, der Arbeitskampf beginnt jetzt

von Violetta Bock

Die erste Arbeitskampfmaßnahme, die der GDL-Vorsitzende Weselsky in der Pressekonferenz am 24. Juni ankündigt, ist die Urabstimmung unter den 37.000 Mitgliedern, die bei der Bahn beschäftigt sind.

Es ist eher ungewöhnlich, dass die Gewerkschaft nicht zuerst mit Warnstreiks beginnt, doch dahinter steckt ein klarer Plan. Stärke beweisen müsse die GDL nicht, die Streiks von 2014/15 sind vielen noch ein Begriff und haben anschaulich vor Augen geführt, was passiert, wenn Eisenbahner:innen die Arbeit niederlegen. Grund für die Urabstimmung ist jedoch die komplizierte Situation, in der die Tarifverhandlungen stattfinden. Es geht nicht nur um 1,5 Prozent mehr oder weniger, sondern auch um das Tarifeinheitsgesetz.
Liest man die Pressemitteilungen von der DB AG und der GDL, klingen manche Passagen recht ähnlich. Beide Seiten stellen sich selbst als verhandlungsbereit dar und die andere Seite als stur. Die DB AG wirft der GDL eine Blockadehaltung und eine verantwortungslose Geisterfahrt vor, DB-Personalvorstand Seiler meint: «Mit immer neuen Drohungen und Ankündigungen verunsichert der GDL-Chef Millionen Bahnkunden, die sich nach der schweren Zeit der Pandemie endlich wieder aufs Reisen freuen, und macht mitten im Sommer das zarte Pflänzchen Aufbruch zunichte.» Nicht gerade versöhnliche Worte. Die DB AG erklärt ihre Bereitschaft zur Schlichtung und sagt, sie hätte ein Angebot auf Höhe des Tarifabschlusses des öffentlichen Dienstes vorgelegt.

So läuft das bereits seit Wochen, und manchmal scheint die Frage eher, wer kommt öffentlich besser durch. Claus Weselsky räumt in der ersten Hälfte seiner Pressekonferenz daher zuerstmal mit der scheinheiligen Darstellung der Bahn AG auf. So hat sich die Bahn ausgerechnet den Notlagentarifvertrag für die Beschäftigten des Flughafens als Referenz herausgesucht. Laut dem gäbe es 2021 keine Erhöhung, 2022 1,4 Prozent und 2023 1,8 Prozent mehr bei einer Laufzeit von 40 Monaten und einer Corona-Beihilfe von 600 Euro.

Ganz unabhängig davon, was man von diesem Abschluss hält, gibt es einen entscheidenden Unterschied zur Bahn, auf den die GDL hinweist: Die Züge sind auch während des Lockdowns durchgehend und auf Anordnung des Bundes gefahren.
Tatsächlich hat die GDL Ende Mai ihre Forderungen nach unten auf die Höhe des Abschluss des öffentlichen Dienstes angepasst: Plus 1,4 Prozent im April 2021 (mindestens 50 Euro) und eine Corona-Beihilfe in Höhe von 600 Euro, und zum April 2022 eine weitere Erhöhung um 1,8 Prozent und das alles bei einer Laufzeit von 28 Monaten. Ursprünglich hatte sie insgesamt 4,8 Prozent mehr gefordert, eine Prämie von 1.300 Euro und einen größeren Beitrag der Führungskräfte. Die Anpassung nach unten wird nun auch mit der Gleichbehandlung der systemrelevanten Arbeiter:innen in der Daseinsfürsorge begründet.

Zahlen sollt ihr

Vor allem geht es jedoch nicht nur um die Prozente. Im Unterschied zum ÖD kündigte die Bahn der GDL den Zusatzversorgungstarifvertrag. Und sie verlangt zur Finanzierung einen Solidarbeitrag, und wenn Kapitalisten das Wort Solidarität in den Mund nehmen, heißt das meist: Zahlen sollt ihr! So auch hier. Die Ansage der Bahn an die GDL lautet: Wenn ihr mehr als 1,5 Prozent wollt, müsst ihr dies selbst finanzieren durch Änderungen bei Arbeitszeiten. So soll rückgängig gemacht werden, was in den letzten Jahren gegen Flexibilisierung und Arbeitsverdichtung erreicht wurde. Damit würde den Beschäftigten zudem aufgedrückt, was falsche Zielvorgaben des Bundes und das Missmanagement der letzten Jahre verursacht haben. Und das in einer Zeit, in der Boni in Höhe von 220 Millionen Euro ausgezahlt wurden.
Daher formuliert der GDL-Vorsitzende eine klare Botschaft an den Bahn-Tower: «Sie können noch 723mal wiederholen, dass Sie verhandlungsbereit dort sitzen. Allein ein wesentlich verbessertes Angebot kann den Arbeitskampf abwenden.»

Urabstimmung als Arbeitskampfmaßnahme

Für die Urabstimmung ist nun bis 9. August Zeit. Dann wird ausgezählt und die Streiks können beginnen. Erwartet wird ein Ergebnis über 90 Prozent. Weselsky beschreibt die Stimmung unter den Kolleg:innen als explosiv. «Die KollegInnen warten nur darauf, dass es los geht.»

Neu ist, dass die GDL nicht nur einzelne Berufsgruppen, sondern alle Beschäftigten im Eisenbahnverkehr aufrufen will. Das Mittel der Urabstimmung wurde gewählt, weil hier mit Zeitverzögerungen durch Gerichtsverfahren einfacher umzugehen ist als bei Warnstreiks. Zudem kommuniziert sich das einfacher gegenüber der Öffentlichkeit, weil diese damit erst einmal nicht von Auswirkungen betroffen sind.

Es wird damit gerechnet, dass die DB gerichtlich gegen die Arbeitskampfmaßnahmen vorgeht. Wenn die erste Phase gerichtlich unbeschadet überstanden ist, verbessert das die Ausgangsbasis für die Streiks danach. Die GDL betont, dass sie die drei Voraussetzungen Rechtmäßigkeit, Verhältnismäßigkeit und Zulässigkeit immer abwägt.

Dass Gerichte die Tarifrunde begleiten werden, liegt am Tarifeinheitsgesetz (TEG). Schon jetzt laufen zwanzig einstweilige Verfügungen zur Frage, ob die DB AG oder die Gerichte feststellen dürfen, welche Gewerkschaft in den 174 Betrieben, die mit dem Kerngeschäft Eisenbahn betraut sind, jeweils die Mehrheit hat.

Es geht um viel – bis zur Existenz der GDL. Die Form des Aufschubs erhöht den Druck auf die Bahn nun einmal mehr, aber einknicken wird sie dadurch wahrscheinlich noch nicht. Solidarität mit den Kolleg:innen ist in jedem Fall angebracht – für die Koalitionsfreiheit, für das Streikrecht … und für die Verkehrswende.

Aus: SOZ, Sozialistische Zeitung, Juli/August 2021: https://www.sozonline.de/2021/07/gewerkschaft-der-lokfuehrer-vs-deutsche-bahn/