Frauen und Natur – für einen ökosozialistischen Feminismus

Frauen – weltweit an der Spitze im Kampf gegen die Umwelt­zerstörung

von Jess Spear*

Wo immer die Kräfte der Zerstörung versuchen, Bäume zu fällen, unsere Luft und unser Wasser zu verschmutzen und die Erde für Mineralien abzureißen, führen Frauen den Widerstand an.

Natürlich sind auch viele Männer erbitterte Kämpfer gegen die kapitalistische Zerstörung und organisieren Massenbewegungen zur Verteidigung der Wälder und des Landes – wie Chico Mendes im Amazonasgebiet und Ken Saro-Wiwa im Nigerdelta, die beide für ihren Aktivismus ermordet wurden. Die bekanntesten Umweltaktivist*innen heute sind jedoch zweifellos Frauen: Vanessa Nakate und Greta Thunberg, Alexandria Ocasio-Cortez, Naomi Klein und Vandana Shiva.

Der Aufstieg der «neuen Frauenbewegung» zusammen mit den Umweltbewegungen in den 1970er Jahren führte zur Entstehung einer ökofeministischen Politik, die einen Zusammenhang zwischen der Ausbeutung und Degradierung der natürlichen Welt und der Unterordnung und Unter­drückung von Frauen sah.
Dass sowohl Frauen als auch die Natur dominiert und ausgebeutet werden, ist unbestreitbar wahr. Die Frage ist: Warum und was kann dagegen getan werden?

Die gemeinsame Wurzel
Als Subsistenzbäuerinnen, die weltweit die Hälfte der Nahrungsmittel produzieren, im globalen Süden sogar 80 Prozent der Nahrungsmittel anbauen und ernten, haben Frauen mehr als Männer mit Wüstenbildung, Mangel an gesunder Nahrung, Zugang zu sauberem Wasser und Zerstörung der Natur im allgemeinen zu kämpfen. Bei einer Naturkatastrophe haben Frauen ein 14mal höheres Risiko zu sterben. Und Frauen machen die Mehrheit der ärmsten Menschen auf dem Planeten aus. Ihre Erfahrungen sollten daher in den Mittelpunkt der Diskussion über Lösungen für den Klimawandel und den ökologischen Zusammenbruch gerückt werden.

«In den meisten Kulturen sind Frauen die Hüterinnen der biologischen Vielfalt. Sie produzieren, reproduzieren, konsumieren und bewahren die biologische Vielfalt in der Landwirtschaft. Doch wie bei allen anderen Aspekten von Frauenarbeit und Frauenwissen wird ihre Rolle bei der Entwicklung und Erhaltung der bio­logischen Vielfalt als Nichtarbeit und Nichtwissen abgetan», schreibt ­Vandana Shiva dazu.

Zentral für den Ökofeminismus ist die Ablehnung menschlicher Herrschaft und Kontrolle über die Natur. Dafür ist die Anerkennung, dass Menschen Teil der Natur sind, entscheidend. Dies ist auch in Marx’ Kapitalismuskritik ein zentraler Punkt. Marx schreibt in den Ökonomisch-Philosophischen Manuskripten: «Der Mensch lebt von der Natur, heißt: Die Natur ist sein Leib, mit dem er in beständigem Prozess bleiben muss, um nicht zu sterben. Dass das physische und geistige Leben des Menschen mit der Natur zusammenhängt, hat keinen anderen Sinn, als dass die Natur mit sich selbst zusammenhängt, denn der Mensch ist ein Teil der Natur.»Wenn wir also nicht für eine vollständige Transformation unserer Interaktion zwischen Gesellschaft und Natur und eine ökologisch ausgewogene Produktion kämpfen, wird sich die Kluft zwischen Natur und Menschheit mit verheerenden Folgen für die menschliche Gesundheit, das Klima und die biologische Vielfalt vertiefen.
Für einige Ökofeministinnen ergibt sich die Affinität von Frauen zur Natur aus «ihren physiologischen Funktionen (Gebären, Menstruationszyklus) bzw. aus einem tiefen Element ihrer Persönlichkeit (lebensorientierte, nährende/pflegende Werte)». Auf diese Weise «verstehen» sie die Natur, während Männer das nicht tun und nicht können. Frauen hätten eine spirituelle Verbindung zur «Mutter» Erde.

Kapitalismus und Patriarchat
Diese Ökofeministinnen verorten die Ausbeutung und Unterdrückung von Frauen und Natur allein im Patriarchat, wo Männer beides kontrollieren, plündern, vergewaltigen und zerstören. Der Klimawandel ist für sie buchstäblich ein «männergemachtes Problem, das eine feministische Lösung erfordert». Das bedeutet mehr Frauenstimmen, mehr Frauen in Machtpositionen und mehr Frauen am Tisch, die ihre Erfahrungen und ihre Ideen diskutieren, was gegen Umweltprobleme getan werden kann.
Die Gesellschaft ist unbestreitbar patriarchalisch. Wir wissen es aus den Statistiken und wir Frauen wissen es aus den Millionen und einer Erfahrung, die wir gemacht haben, die alle die Vorstellung stark machen, Männer seien besser, stärker, klüger und insgesamt fähiger.

Patriarchalische Vorstellungen, Normen und Verhaltensweisen haben verheerende Auswirkungen auf Frauen. Nicht nur wegen der Diskriminierung, des Missbrauchs und der Gewalt, denen sie seitens von Männern wie auch des Staates und der von ihm unterstützten Institutionen ausgesetzt sind. Die in hohem Maße geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in der Gesellschaft bringt es mit sich, dass Frauen nicht nur außerhalb des Hauses arbeiten, um das Lebensnotwendige für ihre Familien zu sichern, sondern im Durchschnitt auch dreimal so viel Stunden im Haus arbeiten wie Männer. Das wirkt sich auf die Art der Jobs aus, die sie annehmen können, und somit auf Lohn, Gehalt, Arbeitsbedingungen und auch darauf, ob sie ihre Interessen und Talente voll entfalten können.

Die Fixierung von Frauen auf gesellschaftliche Reproduktionsarbeit bis auf den heutigen Tag hat zur Folge, dass sie zwar durch hartnäckigen Kampf in vielen Ländern politische und Bürgerrechte erlangt haben, die Fähigkeit vor allem von Frauen der Arbeiterklasse und armer Frauen, diese Rechte auszuüben, jedoch weiterhin eingeschränkt ist.

Ökosozialistischer Feminismus
Ökofeministinnen, die allein im Patriarchat die gemeinsame Ursache für die Unterordnung und Beherrschung von Frauen und der Natur eine gemeinsame Ursache haben, verorten die Verbindung von Frauen zur Natur in ihrer Fortpflanzungsbiologie. Die naturalisierende Identitätszuschreibung einiger Stränge des Ökofeminismus führt uns jedoch auf einen Pfad des biologischen Determinismus, gegen den so viele Feministinnen der zweiten Welle gekämpft haben und gegen den wir immer noch kämpfen. Er ignoriert auch die Revolution im Verständnis des Geschlechterverhältnisses als ein rein binäres, die von trans- oder intersexuellen Menschen oder solchen gefordert wird, die sich nicht in ein spezifisches Rollenverhalten einpassen wollen und können.
Frauen haben ein einzigartiges Wissen in bezug auf Fürsorgearbeit, Familie und Natur. Doch dieses Wissen ist ihnen nicht angeboren. Das Haus putzen, Mahlzeiten kochen, Kinder erziehen, Landwirtschaft betreiben, täglich Wasser holen ist keine Arbeit, die Frauen von Natur aus zufällt, sie entspricht einem Bedürfnis der Gesellschaft, die ihnen diese Arbeit aufzwingt. Auch die Rettung des Planeten ist nicht per se Frauenarbeit oder -verantwortung.

Im Gegensatz zu diesem «essentialistischen» Ökofeminismus betrachtet der ökosozialistische Feminismus das Verhältnis von Frauen zur Natur und zur Umwelt deshalb als sozial konstruiert. Frauen sind nicht «eins» mit der Natur – wir sind in ein Bündnis mit ihr geworfen worden. Denn der Kapitalismus behandelt die Natur und die soziale Reproduktionsarbeit der Frauen als «kostenlose Geschenke», die außerhalb der formellen Wirtschaft liegen und daher keinen Wert haben, obwohl sie absolut zentral sind für seine Fähigkeit, Profite zu generieren. Er ist angewiesen auf die unentgeltliche Arbeit, die Frauen zu Hause verrichten, auf die Unterbewertung der Pflegearbeit und ihre oft prekäre Teilzeitarbeit in der formellen Wirtschaft. Sexistische Vorstellungen sorgen dafür, dass die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung Generation für Generation reproduziert wird.

Die sexistische Arbeitsteilung beenden
Für ökosozialistische Feministinnen ist die Vorherrschaft von Männern über Frauen in der Gesellschaft und der Natur im allgemeinen deshalb nicht allein ein Ergebnis patriarchalischer Vorstellungen. Wir wollen die Geschlechtertrennung in- und außerhalb des Hauses beenden und fordern, dass auch die Hausarbeit in breiterer Gemeinschaft organisiert wird, z.B. durch kostenlose öffentliche Kinderbetreuung, Gemeinschaftswaschsalons und Kantinen. Dies würde die Tür zu einer Gesellschaft aufstoßen, in der die Gemeinschaft als Ganzes für die Organisation der sozialen Reproduktionsarbeit verantwortlich ist und sexistische Vorstellungen von «Frauenarbeit» vs. «Männerarbeit» allmählich absterben können.

Der aufs Patriarchat fixierte Ökofeminismus behauptet manchmal ein «totalisierendes» Bild einer Frau «an sich» und ignoriert dabei die Unterschiede zwischen ihnen. Doch die Bedürfnisse und Forderungen von Frauen aus der Oberschicht sind nicht dieselben wie die von Frauen aus der Arbeiterklasse oder von Bäuerinnen – obgleich alle Frauen Sexismus erleben. Und nicht alle Frauen der Arbeiterklasse wurden in die alleinige Rolle als Hausfrau gezwungen.

Unter dem patriarchalischen und rassistischen Kapitalismus arbeiten Frauen der lohnabhängigen Klasse und Bäuerinnen in- und außerhalb des Hauses. Diese Doppelrolle gibt ihnen einen Einblick in den zerstörerischen Charakter des Kapitalismus. Deshalb werden so viele Bewegungen für radikale Veränderungen von Frauen angeführt, trotz der zusätzlichen Hindernisse, die ihnen im Weg stehen. Doch die meiste Macht zu kämpfen und zu gewinnen haben wir dort, wo wir für das Kapital produzieren. Deshalb brauchen wir einen Ökofeminismus, der zugleich unbeirrt antikapitalistisch und sozialistisch ist.

*Jess Spear ist US-Amerikanerin und lebt seit 2017 in Irland. Sie ist Redakteurin des ökosozialistischen Magazins Rupture sowie Organisationssekretärin des ­marxistischen Netzwerks RISE (Radical Internationalist Socialist Environmentalist), das seit März 2021 Teil der Organisation People Before Profit ist.

Quelle: https://rupture.ie/articles/women-and-nature

Aus SOZ Juni 2021: https://www.sozonline.de/2021/06/frauen-und-natur-fuer-einen-oekosozialistischen-feminismus/