Die sich nicht anpassen: Zur Viennale 2021

von Kurt Hofmann

Wofür kann subversives Kino heute stehen? Diese Frage stellte sich die Retro der Viennale im Österreichischen Filmmuseum; sie stand im Zeichen des 100. Geburtstags des legendären Kurators und Autors Amos Vogel (Film as a Subversive Art). Aber auch viele Filme der diesjährigen Programmauswahl von Viennale-Direktorin Eva Sangiorgi in den anderen Festivalkinos rückten anpassungsresistente Protagonist:innen ins Zentrum ihrer Erzählung.

Delo (House Arrest)
Russland, Deutschland, Kanada 2021
Regie: Alexej German
Offen auszusprechen, was alle wissen, doch tunlichst für sich behalten, kann mancherorts gefährlich sein: Das muss auch der Literaturprofessor David erfahren, der den korrupten Bürgermeister der russischen Provinzstadt, in deren Spielregeln er sich nicht einfügt, in einer Karikatur öffentlich bloßgestellt hat.

Plötzlich wird David beschuldigt, öffentliche Fördergelder veruntreut zu haben, und unter Hausarrest gestellt. Da bedarf es keiner Beweise, es genügen Anschuldigungen, und schon ist David zu Persona non grata geworden. Nachbar:innen distanzieren sich pflichtschuldig von ihm, seltsame Mitbürger:innen halten Demos von seinem Haus ab und schmeißen Steine durch sein Fenster, selbst seine Familie rückt aus Angst vor Konsequenzen von ihm ab.

An der Uni hat man ihn suspendiert, wenngleich seine Studierenden, die ihn gelegentlich besuchen, immer noch zu ihm halten. Andere Besucher:innen verschaffen sich allerdings gewaltsamen Zutritt, etwa der unbekannte Schläger, der ihn in unregelmäßigen Abständen verprügelt, oder der Polizeioffizier, welcher auf seinen Fall angesetzt ist und ihn zu einem Geständnis «bewegen» will. Dann würde alles für David besser, meint der ungebetene Besucher. Aber David spielt nicht mit.

Delo ist die Geschichte eines Intellektuellen, den es in die Provinz verschlagen hat. Wo er lebt, ist für ihn jedoch nicht gleichbedeutend mit wie er lebt. Er hat den Ort, aber nicht seine Maßstäbe gewechselt. Diese «Sturheit» kommt ihn teuer zu stehen. Es ist nicht so sehr das Gefühl, im Recht zu sein, das ihn die Isolation und die gewaltsamen Übergriffe ertragen lässt, vielmehr der Blick auf seine Bibliothek und die Gedanken an all das, was er gelesen und nicht vergessen hat… So wenig David, ein Mann von fragiler Statur, den stetig wachsenden Druck ignorieren kann, so viel ist es ihm gleichermaßen wert zu wissen, was schon seine «Zeugen» – Gogol, Dostojewski… – zu seinem Fall und zu seinem Umfeld zu sagen hatten.

Historya ni Ha (History of Ha)
Philippinen 2021
Regie: Lav Diaz
1957: Während auf den Philippinen eine korrupte, von den USA gestützte Clique an der Macht ist, hat einer wie Hernando, der sich einst für Demokratie und soziale Gerechtigkeit engagierte, resigniert. Auch seine Karriere als Variéte-Star interessiert ihn nicht mehr. Hernando, der diesem verkommenen Land nichts mehr zu sagen hat, ist verstummt und lässt nur noch seine Bauchrednerpuppe Ha für sich sprechen.

Ein neues Ziel könnte für ihn sein, eine sagenumwobene «Insel des Glücks» zu erreichen. Auf dem Weg dorthin wird er von einer Nonne, einem jungen Goldsucher und einer Geschäftsfrau begleitet. Jedes Mitglied dieser seltsamen Gruppe hat eigene Vorstellungen von der Insel, projiziert seine Glücksvorstellungen in das unbekannte Eiland.

So bescheiden ihre Wünsche auch sind, scheinen sie doch vermessen angesichts dessen, was sie auf ihrer langen Wanderung durch ein unwirtliches Land erleben, wo Armut, Ungerechtigkeit und Verzweiflung ihre ständigen Begleiter werden… Um die Überfahrt zur Insel zu finanzieren, müsste Hernando für den örtlichen Despoten noch einmal auftreten. Aber was sagen sein Spiegelbild und seine Handpuppe Ha dazu?

Wie stets geht es Lav Diaz auch in seinem neuen Film um einen kritischen Blick auf (s)ein verkommenes Land, diesmal in historisierender Perspektive. Deutlich wird: Es gibt keine Inseln. Und: einer wie Hernando kann sich auf Dauer nicht heraushalten…

Yuheisha (Prisoner/Terrorist)
Japan 2006
Regie: Adachi Masao
Kozo Okamato ist in Isolationshaft, weil er ein Terrorist gewesen sein soll. Doch auch ausgeklügelte Varianten der Folter bringen ihn nicht dazu zu gestehen oder gar zu bereuen. Unter Drogen gesetzt imaginiert er, wie seine wundersame Befreiung gelingt und sich seine Genoss:innen aufs neue um ihn versammeln…

Der Film war im Rahmen der diesjährigen Retro zu sehen. Das Subversive an ihm – der Regisseur war einige Jahre lang selbst ein politischer Gefangener – erschließt sich schon durch die Darstellung der Taktiken der Macht: Das Versuchsobjekt Kozo Okamato soll gebrochen werden, egal wie. Doch zum Subversiven gesellt sich, ganz in Amos Vogels Sinn, bei Yuheisha auch Film and Art.

Wie der Regisseur die (drogengesteuerte) Reise des Gefangenen in den Wahnsinn visuell auflöst und aus der Illusion einer Befreiung Kozo Okamatos sich ein letztlich unzerstörbarer Freiheitsdrang herauskristallisiert, ist sehenswert.