Coronaleugner und ihr Spiel mit „Diktatur und Widerstand“
Helmut Dahmer, Wien
Ein paar Hunderttausend Menschen demonstrieren seit Monaten in verschiedenen europäischen Staaten – nicht gegen den desolaten Zustand der „ökonomisierten“ Gesundheitssysteme, die der Covid 19-Seuche (und ihren Derivaten) nicht gewachsen sind, sondern gegen die staatlichen Notmaßregeln, die zur Eindämmung der Massen-Infektion getroffen wurden, also gegen die Verpflichtung zum Tragen von Schutzmasken und gegen die Aufforderung, sich impfen zu lassen (oder gegen den Übergang zur Impf-Pflicht). Was diese Demonstranten eint, ist der Schrei nach „Freiheit“ – nämlich von Maske und Vakzin – beziehungsweise der Wunsch nach einer Rückkehr zu dem, was ihnen als „Normalität“ gilt. Sie wollen ihr „Leben“, ihr „Land“ und ihren „Spaß“ zurück, und wer ihre Aufzüge und Parolen sieht, könnte glauben, es handele sich um Statisten, die für einen Historien-Film proben.
In Deutschland und Österreich, Ländern mit einer unbewältigten faschistischen Vergangenheit, die in der Bevölkerungsmehrheit als autoritäre Mentalität fortlebt, dekorieren sich die Demonstranten, die gegen die Corona-Maßnahmen auf die Straße gehen, mit Requisiten aus der unseligen Vergangenheit, die ansonsten möglichst beschwiegen und angestrengt vergessen wird.
Aus der von den 1933 in die Vereinigten Staaten geflohenen Sozialwissenschaftlern des „Frankfurter Instituts für Sozialforschung“ entwickelten Typologie „faschistoider“ Charaktere ist der „autoritäre Rebell“ ebenso bekannt wie dessen Neigung zu „Aberglauben und Projektionen“. Ihm begegnen wir zur Zeit nicht nur im Internet, sondern auf unsern Straßen und Plätzen. Leute, denen es nie zuvor eingefallen wäre, für oder gegen etwas auf die Straße zu gehen, wähnen sich plötzlich in einer „Diktatur“, nämlich der „Corona-Diktatur“. Jede Woche brüllen sie im Chor „Widerstand!“, treten als „Juden von heute“ (mit selbstgenähtem, gelben „Judenstern“ und der Aufschrift „Nicht geimpft“) auf und protestieren gegen „Diskriminierung“, nämlich die der noch nicht Geimpften…
Das schwelende Unbehagen am gesellschaftlichen und politischen Status quo hat mit „Covid 19“ einen Katalysator gefunden, und die neuen Protestanten laufen beglückt in einem Kollektiv mit, das nicht weiß, was es eigentlich auf die Straßen treibt, und das sich darum dankbar von Neonazis die Parolen vorgeben lässt. Die tarnen sich als „Demokraten“ und Israel-Freunde und rufen nicht nur zur Verweigerung von Maske und Vakzin auf, sondern zum „Sturz“ des ganzen „Systems“ der Corona-Diktatur…
Angst und Ohnmachtsgefühl gegenüber einer (zuvor unbekannten und schwer einzuschätzenden) Gefahr lässt sich für einige Zeit bewältigen, indem man leugnet, dass es überhaupt eine Gefahr gibt. Wie jeder Wahn muss auch dieser gegen die ihm widerstreitende Realität verteidigt werden, und dazu braucht man „Gleichgesinnte“ und „Gegner“. So werden private Illusionen „anschlussfähig“: Die vielen Unzufriedenen, Verängstigten und Ratlosen schließen sich unversehens zu einer Masse zusammen, die sich als „Elite der Bescheidwisser“ fühlt, die der von Milliardären wie Gates oder Soros – beziehungsweise von Pharma-Konzernen und Berufspolitikern – manipulierten Mehrheits-Herde haushoch überlegen ist. Diese „Bescheidwisser“ leben und phantasieren in einer Art „spendid isolation“: Sie nehmen weder das Elend in den Intensivstationen der hiesigen Krankenhäuser wahr, noch interessieren sie die Verhältnisse in Armuts- und Diktaturstaaten, in denen die Corona-Toten nicht mehr beerdigt werden können und demokratische Aufstandsbewegungen niedergeschlagen werden. Unübertrefflich ist ihre Ahnungslosigkeit in Sachen „Diktatur“. Hier rächt sich die seit dem Untergang des „Dritten Reichs“ eingeübte Strategie des „Ungeschehen-Machens“ der „Großen Zeit“ der Volks-, Kriegs- und Mordgemeinschaft der Jahre 1933-1945. Die neuen Widerständler „spazieren“ gegen eine vermeintliche „Diktatur“, die sie gewähren lässt und ihr Versammlungsrecht auch dann gegen Gegendemonstranten verteidigt, wenn die Protestmeetings nicht einmal „angemeldet“ sind. Und da sie sich weder um die aktuellen Verhältnisse in Russland, Belarus oder in den nordafrikanischen Staaten scheren, ganz zu schweigen von Nicaragua, Venezuela oder Brasilien, werden sie weiter träumen und sich auch in der nächsten Woche wieder einfinden, um ihr ebenso albernes wie aggressives Spiel von „Diktatur und Widerstand“ aufzuführen.
(18. 1. 2022)