Andreas Babler und der Marxismus
Mag ja sein, dass Andreas Babler ein bisschen widersprüchlich argumentiert hat in Bezug auf den Marxismus. Er hat einmal den Marxismus als „eine brauchbare Brille, mit der man auf die Gesellschaft schaut“, bezeichnet und dann wieder in der ZIB2 bei Armin Wolf, der behauptete, Marxisten wollen doch alle enteignen, sich etwas ungeschickt distanziert in dem Sinne: Wenn das so interpretiert wird, bin ich halt kein Marxist. Bekanntlich hat sich auch Karl Marx selbst von vielen seiner Schmalspur-Apologeten mit den Worten distanziert: „Ich bin kein Marxist.“
Was aber jetzt, nicht nur in der Kronenzeitung, sondern durchaus auch in Qualitätsmedien wie Standard, Falter usw. daraus gemacht wird, spottet jeder Beschreibung. Vielleicht kennen sich manche Journalist*innen auch einfach nicht aus in der Geschichte der Arbeiter*innenbewegung und speziell in der Geschichte der Sowjetunion? Oder ist es absichtliche boshafte Unterstellung, um im Kampf um die Delegiertenstimmen am SPÖ-Parteitag den Kandidaten Doskozil direkt oder indirekt zu unterstützen, indem Andreas Babler angepatzt wird?
Nehmen wir mal das freundlichere an. Wenn jetzt eine gerade Linie der Kontinuität von Marx zu Stalin, Mao oder Pol Pot gezogen wird, übernehmen derartige Geschichtenerzähler*innen die Rechtfertigungslegenden der stalinistischen Diktatoren, wobei die Linie absurderweise oftmals sogar noch bis Putin weitergezogen wird.
Ist in Vergessenheit geraten, dass Stalins Diktatur eine Million Kommunist*innen ermordet hat, sogar mehr als es der Hitler-Diktatur gelungen ist? Wissen die so Argumentierenden nicht, dass vom Zentralkomitee der Oktoberrevolution 1917 im Jahr 1938 (nach den monströsen Moskauer Schauprozessen) KEINE EINZIGE Person übriggeblieben ist – ausser Stalin selbst? ALLE anderen, soweit sie nicht bis dahin eines natürlichen Todes gestorben sind, waren 1938 ins Exil vertrieben (wie Leo Trotzki), verschollen, in Gulags gesteckt oder hingerichtet. Wie kann unter solchen Umständen von einer „Kontinuität“ gesprochen werden?
Und ist den betreffenden Journalist*innen nicht bekannt, dass es zahlreiche Strömungen innerhalb der sich „Marxisten“ nennenden Strömungen gibt, die sich als sozialdemokratisch, stalinistisch, maoistisch, titoistisch, eurokommunistisch, trotzkistisch, basisdemokratisch, autonom, graswurzelbewegt, anarcho-marxistisch, als Anhänger*innen von Otto Bauer, Alexander Dubcek, Gorbatschow, Rosa Luxemburg, Alexandra Kollontai, Leo Trotzki, Antonio Gramsci, José Carlos Mariátegui, Ernest Mandel, Paolo Freire oder der Frankfurter Schule, um nur einige wenige zu nennen, verstehen?
Wie einfach ist wohl die Welt jener, die versuchen, alles in einen Topf zu werfen, Marx posthum als den eigentlich Schuldigen an den monströsen Verbrechen des Stalinismus zu „entdecken“ glauben und diesen auf dem Müllhaufen der Geschichte entsorgen wollen? Ähnlich absurd, wenn Jesus dafür veranstwortlich gemacht würde, dass zahlreiche Herrscher in dessen Namen gigantische Verbrechen begangen haben, die von der Inquisition und Hexenverfolgung über den 30-jährigen Krieg, die Abschlachtung der aufständischen Bauern des großen Bauernkrieges bis zur Sklaverei und Kolonialismus sowie Machtmissbrauch gegenüber Heimkindern reichen. Wäre demnach das alles gelöst und erledigt, wenn man heute die Figur Jesus ächten und das Christientum verbieten würde?
Mich erschrecken diese blinde Hasskampagne und die Ahnungslosigkeit in Bezug auf die reale Geschichte insbesondere auch von denjenigen, die vielleicht noch gestern irgendeiner dogmatischen Gruppe, die sich auf den Marxismus berufen hat, angehört haben oder sich auch nur ein bisschen links verstanden haben. Lautet das Motto heute: Jetzt nur schnell sich von allem distanzieren, es könnte der Karriere schaden? Oder ist es einfach so, dass panische Angst herrscht, zu den Kritikern am real existierenden den Globus dominierenden Kapitalismus gezählt zu werden, auch wenn die Kritik noch so schaumgebremst ist? Wollen wir, dass ab sofort jede Kritik am Kapitalismus geächtet wird, weil sie angeblich zwingend in einer Diktatur endet? Arme Geister!